
Ein Krankenzimmer im Tygerberg-Krankenhaus in Südafrika. Die AIDS-Stiftung Hope ermöglicht Müttern und Kindern die Behandlung Foto: S. Adrian
Mein Schild mit dem Wort Besucher drauf trägt die Nummer 1350. Es ist windig und kühl an diesem Donnerstagmorgen Ende Februar, als ich das Gebäude des Tygerberg Campus der Universität Stellenbosch betrete. Pfarrer Stefan Hippler flitzt in Jeans und Poloshirt an mir vorbei zum Aufzug. Dieser Mann steckt voller Energie, das fällt einem sofort auf.
Es ist erst kurz vor neun Uhr morgens, und obwohl Hippler darauf besteht, dass er noch nicht wach sei, blitzen einen seine blauen Augen lebensfroh an. Der Arbeitstag bei der NGO (Non-governmental Organization) HOPE beginnt mit viel Gelächter. HOPE ist eine AIDS-Stiftung, 1997 vom katholischen Priester Stefan Hippler gegründet, finanziell unterstützt von der Provinz Western Cape und u.a. auch vom Bayerischen Staat – und natürlich von Spenden.
Wir sitzen im siebten Stock des Health Science Gebäudes, während Stefan Hippler erst einmal einen starken Kaffee bei seiner Mitarbeiterin Kerstin Behlau bestellt, bin ich einen Moment alleine in seinem Büro. Der Raum ist klein, wirkt steril. Auf der linken Seite befindet sich ein Regal, voller Dokumente und ein Waschbecken mit riesigen schwarzen Wasserhähnen. Das Büro ist karg eingerichtet, auf dem Schreibtisch wenige Unterlagen, ein Computer, ein Schreibblock, auf dem er sich Notizen macht, was noch zu erledigen ist.
Hoffnung trotz steriler Krankenhausgänge
Nach dem Gespräch mit Stefan, wie ihn alle nennen, führt mich Kathrin Krauß herum. Sie ist Anfang zwanzig, studiert Verwaltungswissenschaften in Kehl am Rhein und macht gerade ihr Auslandssemester. Sie ist seit drei Wochen als Freiwillige bei HOPE. Sie macht die erste Führung mit mir, im Ward G7 wie die Krankenstation für die an AIDS erkrankten Kindergenannt wird.
Bis zu 18 Kinder können aufgenommen werden, abhängig ist die Aufnahme von der Schwereder Erkrankung. Das Gebäude der Klinik ist verwinkelt, die Gänge sind ewig lang und diegelb-blassen Wände sehen alle gleich steril und nackt aus. Ohne Katrin hätte ich mich niemals zurechtgefunden in diesem Wirrwarr. Der Aufzug ruckelt und zuckelt, er bleibt wohlauch recht häufig stecken. „Na servus“, denke ich im Stillen und atme auf, als wir im siebten Stock sicher angekommen sind.
Giraffen und Erdnussbutter-Sandwiches
Es gibt keine Schwestern auf den Gängen, keine Rezeption. Die jungen Assistenzärzte verbringen ihre Pause auf den Bänken im offenen Wartezimmer. Die Schwestern ruhen sich in freien Krankenzimmern aus. Als wir den Gang der Ward G7 entlang laufen, sind nicht alle Zimmer offen, manche der Babies haben auch TB (Tuberkulose) und das ist ansteckend. Da bleibt die Tür dann zu.
Alles ist ruhig, die Mütter dürfen bei ihren Kindern bleiben und werden von HOPE auch mit Sandwiches versorgt. Sie laufen die Gänge auf und ab oder hängen bei der Visite an den Lippen der Ärzte. In den Augen der Mütter ist die nackte Angst zu erkennen und ich fühle mich sehr hilflos. In manchen Krankenzimmern sind die Wände mit Tiermotiven bemalt, aber auch die können nicht über die trostlosen Gitterbettchen und ansonsten nackten Wände hinweg täuschen.
Katrin berichtet mir auch über die Trostlosigkeit in den Townships, kleine Hütten, in denen bis zu zwölf Personen schlafen, ohne Wasseranschluss oder gar Elektrizität. Die Frustration der Menschen, die auf die Einhaltung der Versprechungen der Regierung Mandela warten, nämlich ein eigenes Haus oder zumindest die vorbereiteten Betonböden mit Wasseranschluss zu bekommen, scheint greifbar zu sein.
On Tour mit Pauline
Pauline Jooste ist Training & Compliance Officer, so wie ich das sehe, macht sie einfach alles. Schult die so genannten „health worker“ (Gesundheitsmitarbeiter), fährt in die Townships, klärt auf, eine unermüdliche Kriegerin im Kampf gegen HIV/AIDS. Mit stoischer Ruhe hängt sie am Telefon, organisiert ihren Tag, und hält gleichzeitig Blickkontakt mit den Kolleginnen.
Seit Januar 2005 arbeitet Pauline für HOPE. Seit Ende der 1970er Jahre ist sie als
Krankenschwester tätig, seit 1992 war sie auch als Krankenschwester für die umliegenden Community Hospitals unterwegs. Das sind die staatlichen Krankenhäuser, die alle Personen kostenfrei behandeln. Viele Südafrikaner haben keine Krankenversicherung, da diese nicht gesetzlich vorgeschrieben ist.
Pauline ist um die fünfzig, hat kurze krause Haare und hat zwei erwachsene Kinder. Sie erzählt, dass sie eigentlich Stewardess werden wollte. Aufgrund der damals vorherrschenden Apartheid war dies jedoch nicht möglich. Sie wurde damals als „Coloured“, also Farbige eingestuft, und die durften eben keine Stewardessen werden.
Auf die Frage, ob sie denn schon einmal in eine beängstigende Situation bei ihrer Arbeit in den Townships geraten sei, antwortet sie: „Nein, niemals. Die Menschen kennen mich und sie kennen HOPE und unseren guten Ruf. Wir setzen wirklich um, was wir versprechen und das merken sich die Leute.“
Lebensunfähig anstatt mutig
Als ich frage, ob sie einen Unterschied feststellen kann, in der Aufgeklärtheit der
insbesondere jungen Südafrikaner zu ihren Anfangszeiten als Krankenschwester bejaht sie dies zwar, stellt aber gleich klar, dass obwohl viele über AIDS und die Ansteckungsgefahr Bescheid wüssten, sie ihr Verhalten nicht ändern würden. Pauline erklärt mir, dass die Menschen hier „nicht lebensfähig sind und auch in ihren Beziehungen nicht die Verantwortung übernehmen, die sie übernehmen müssten.
Insbesondere die Frauen müssten mutiger werden, und einstehen für ihre eigene Gesundheit und die ihrer Kinder. Die Sexualität ist oftmals von den Männern dominiert, und wenn sie sich weigern, mit Kondom zu verhüten, fügen sich die meisten Frauen, anstatt beispielsweise mit dem Frauenkondom zu verhüten.“
Goodwood – Alltag der Schwestern
Unser Ziel ist das Community Hospital in Goodwood. Das Backsteingebäude ist flach und unscheinbar, am Eingang blüht eine magentafarbene Bogainvilla. Eine bessere Gegend,
erklärt Rochelle Paka, „health worker“ im Community Hospital für HOPE. Sie ist eine kleine quirlige Person, sehr aufgeweckt und gesprächig.
Kaum betreten wir den Wartesaal, schlägt uns ein muffiger Geruch entgegen. Auf
Holzbänken und Stühlen sitzen um die 100 Personen, viele Mütter mit ihren Babies. „Heute ist nicht viel los“, so Rochelle. Katrin und ich schauen uns erstaunt an. Rochelle kümmert sich um die Babies, wiegt sie, klärt auf, wenn es um Durchfall, Familienplanung und den HIVirus geht. Sie hat ihren eigenen Behandlungsraum, er ist grün gestrichen – eigens von ihrem Mann, wie sie uns stolz erzählt – an die Wand hat sie lauter Sticker mit Kindermotiven geklebt.
Sie erzählt uns von einer Patientin, die am HI-Virus erkrankt ist und seit November die antiretroviralen Medikamente bekam. Sie hat zuerst gut darauf reagiert, aber jetzt ist TB ausgebrochen, und sie warten täglich auf die Mitteilung, dass sie verstorben ist. Manchmal sei es schon schwer, nach Feierabend abzuschalten.
Männer bestimmen Familienplanung
Sister Koegelenberg erzählt Pauline die Geschichte einer 18-jährigen Kongolesin, die mit ihrem wohl wesentlich älteren Lebenspartner ins Krankenhaus kam. Offensichtlich sind um die 80 Prozent der behandelten Personen aus dem Kongo, aus Simbabwe oder Sambia. Dieses junge Mädchen hatte ein drei Monate altes Baby zuhause und kam mit Unterleibsblutungen ins Krankenhaus. Als nach Familienplanung und Verhütung gefragt wird, antwortet der Lebenspartner für sie – er will noch weitere Kinder und sie wird nicht verhüten.
In einem Einzelgespräch mit Rochelle bekommt die junge Kongolesin eine Hormonspritze, die sie zumindest die nächsten drei Monate vor einer Schwangerschaft schützen wird. Ein Kind, das schon Mutter ist und vom Partner bevormundet wird.
Eine alltägliche, und doch emotionale Situation, auch für die Schwestern. Würde sie die Verhütung weiter wollen, müsste sie sich davon schleichen, lügen und würde sich in Schwierigkeiten bringen. Wäre sie in einem weiteren Jahr nicht schwanger, würde der Lebenspartner misstrauisch, oder sogar gewalttätig werden, da nur eine fruchtbare Frau einen Wert hat. Mir wird klar, wie anders die Kultur hier ist. Dinge, die für uns in Europa selbstverständlich sind, müssen hier noch erkämpft werden – wie die Benutzung von Kondomen oder der HIV-Test bei wechselnden Sexualpartnern.
Viele aus der schwarzen Bevölkerung ziehen einen so genannten „witch doctor“ oder
„Sangoma“ einem ausgebildeten Arzt vor. Die Angst vor Stigmatisierung, Ausgrenzung ist sehr groß. Dabei können auch die HIV-positiven Menschen bei richtiger medikamentöser Behandlung sehr lange leben.Zum Original