Studenten helfen Flüchtlingen, lernen für das eigene Leben und investieren in die gemeinsame Zukunft unseres Landes
Es ist natürlich eine uralte philosophische Frage, ob es denn auch legitim ist, anderen aus egoistischen Motiven heraus zu helfen. Ob es überhaupt einen Altruismus rein aus moralischer Verpflichtung heraus geben kann. Dass der Mensch Mitleid empfindet und es gut ist, wenn er handelt - darüber bestehen kaum Zweifel. Nur wem, warum und wie helfen, ist auch heute noch eine spannende und wichtige Debatte. Zumindest zu Anfang der so bezeichneten ›Flüchtlingskrise‹ in Deutschland im Sommer, ließen sich viele Menschen dafür begeistern, den Neuankömmlingen auf verschiedenste Art zu helfen. Etliche Initiativen, von Studenten geführt, bestehen allerdings schon viele Jahre.
"Die Freude am Helfen, das Interesse an fremden Kulturen und eine soziale Grundeinstellung haben wir alle gemein", stellt das Team von MigraMed München im Interview fest. Bei MigraMed engagieren sich Studenten, indem sie Flüchtlinge zu Ärzten begleiten und bei medizinischen Problemen Ansprechpartner sind. Sie entlasten Sozialarbeiter und erleichtern sowohl den Patienten als auch dem medizinischen Personal den Arztbesuch. Bei Bedarf können sie entweder selbst dolmetschen oder suchen passende Übersetzer, um den Ablauf reibungslos zu gestalten. "Flüchtling B. ist genauso alt wie ich und ich begleite ihn schon seit zehn Monaten, da er an zwei chronischen Erkrankungen leidet. Mittlerweile trinken wir nach den Arztterminen oft Kaffee zusammen. Wenn wir plaudern relativieren sich all meine studentischen ›Probleme‹ und häufig ist es einfach nur schön, wenn er ganz laut lacht, weil ich die Worte, die ich bereits in Dari gelernt haben sollte, wieder verwechselt habe", erzählt einer der MigraMed-Aktiven. Ehrliche Dankbarkeit begegnet den Studenten fast überall.
Bei der aktuellen Überlastung der bisherigen Anlaufstellen für Migranten kann es dafür in der Zusammenarbeit mit den entsprechenden Einrichtungen anstrengend werden: "Es ist eine Herausforderung, in chaotischen Situationen den Überblick zu behalten. Gerade deswegen lohnt es sich aber um so mehr, denn für die Geflüchteten ist die Situation oft noch viel verwirrender, sie können sich nicht verständigen, müssen zu vielen verschiedenen Ämtern, bevor sie behandelt werden." Das MigraMed-Team findet es außerdem wichtig, wirklich aktiv auf Betroffene zuzugehen: "Hilfe wird leider selten erfragt, sie wird eher angenommen, wenn sie angeboten wird!"
Nicht zum Arzt, sondern zur Anhörung im Asylverfahren werden Asylbewerber von Studenten der Refugee Law Clinic (RLC) Gießen begleitet. Das einjährige Ausbildungsprogramm, in dem die Studenten im Asyl- und Flüchtlingsrecht geschult werden, wurde bereits 2007 von Prof. Dr. Dr. Paul Tiedemann gegründet, der ein solches Programm in Slowenien kennengelernt hatte. Der Frankfurter Verwaltungsrichter wollte die Ausbildungsmethode der clinical legal education so auch in Deutschland bekannt machen und gleichzeitig den Zugang zu Rechtsberatung für Personen erleichtern, für die nur wenige Angebote und Geldmittel zur Verfügung stehen. Das Programm ist bei den Studenten beliebt: "Viele Studierende, auch von anderen Universitäten, sind an der Teilnahme am Projekt interessiert, jedoch ist die Zahl der möglichen Teilnehmenden auf 15 beschränkt, da nur so eine ausreichende Betreuung gewährleistet werden kann." Diese Betreuung ist notwendig, denn im Laufe des Programmes übernehmen die Jura-Studenten Verantwortung für selbstständige Asylverfahrensberatung, die durch Rücksprache mit Ausbildern und regelmäßige Supervisionen abgesichert werden.
Neben der Rechtsberatung bietet die RLC Gießen einen wöchentlichen Informationsabend zum deutschen Asylverfahren in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Gießen an. "Wir geben dabei einen Überblick über das deutsche Asylsystem und den Geflohenen die Möglichkeit, Fragen zu stellen", führen die Studenten aus, "das große Interesse der Menschen für dieses grundlegende Angebot ist immer wieder eine positive Erfahrung." Neu ist für die Refugee Law Clinic die aktuelle Situation nicht: "Die Situation war auch schon bevor sie in den Zeitungen überall in Deutschland als Krise bezeichnet wurde so, dass Asylverfahrensberatung gefragter war als sie angeboten werden konnte." Den Studenten so die Möglichkeit zu geben, nicht nur zu helfen, sondern bereits praktische Erfahrung zu sammeln, ist vor allem der universitären Verankerung, zusammen mit der damit verbundenen Professur von Prof. Dr. Jürgen Bast, zu verdanken.
Universitär verankert ist die ›tun.starthilfe‹ an der Uni Eichstätt-Ingolstadt auch. Dort kann man das Engagement sogar mit zehn ECTS über ein Modul, das von den Studenten selbst organisiert wird, ins Studium einbringen. "Es ist im Modul möglich in den Bereichen ›Deutschunterricht‹, ›Referenten‹, also Veranstaltern von Vorträgen und Seminaren für Ehrenamtliche und Geflohene, sowie ›Kommunikations-‹ beziehungsweise ›Presseteam‹ zu arbeiten", führen die ›tun.starthelfer‹ aus. Klassische Arbeitsbereiche sind darüber hinaus "Fahrerteam, Kinderbetreuung, Unterricht und Küche". Unzählige positive Ergebnisse und tolle Geschichten hätten sie bisher erlebt, schwärmen die Studenten: "Am schönsten sind die Freundschaften, die mit der Zeit zwischen Studenten und Flüchtlingen entstanden sind." Dabei sehen sie ihre Arbeit nicht durch eine rosarote Brille: "Man muss in der Lage sein, auch mit Menschen zu arbeiten, die aufgrund der Traumata ihrer Flucht manchmal schwer zu erreichen sind."
Die eigenen Grenzen zu achten, rät das Eichstätter Team ebenso: "Wenn man mit der Fluchtgeschichte konfrontiert wird, kann das einen schwer belasten, weshalb es für die Studenten wichtig ist, sich davon auch abgrenzen zu können. Im Bereich rechtlicher Dokumente sagen wir unseren Studenten ganz klar, dass sie sich nicht einmischen sollen. Dies ist Aufgabe der Sozialarbeiter, die in diesen Bereichen auch ausreichend geschult wurden."
Was wie bei vielen ähnlichen Initiativen vor drei Jahren mit einem einfachen Deutschunterricht begann, ist nicht nur gewachsen, sondern hat sich mittlerweile im Landkreis und an der Uni etabliert. Eine Mail an startup@tun-starthilfe.de ist deshalb kein schlechter Tipp für alle, die Ähnliches an ihrem Uni-Standort planen: "Sollte Interesse an unserem Modell bestehen, das heißt mit festen Strukturen innerhalb der Universität, kann man von uns Infomaterial erfragen, wie man sowas umsetzen kann."
Schließlich muss man das Rad nicht ständig neu erfinden, sondern kann häufig an bereits bestehende Initiativen anknüpfen oder Hilfe bei überregionalen Vereinen suchen. Zum Beispiel bei Weitblick e.V., wo sich Studenten in vielen Bereichen engagieren, die gerechten Zugang zu Bildung als Ziel haben. In Hannover ist so ein Programm entstanden, das ergänzend zu bereits bestehenden Angeboten, praxisorientierte Gesprächsklassen anbietet. "Integration braucht Zeit und wir beginnen spielerisch und mit kleinen Schritten", sagen die Studenten des Weitblick-Projekts ›Grenzenlos - Deutsch mit Flüchtlingen‹ aus Hannover. Sie finden, der Kontakt zu Gleichaltrigen ist neben dem Sprachenlernen besonders wichtig: "Viele der Flüchtlinge sind ja unter 30. Hier ist unsere Generation gefragt. Vielleicht haben wir durch soziale Medien einen anderen Zugang, der die derzeitigen Bemühungen bereichert."
"Die Vorarbeiten, das Herstellen von Kontakten und die Organisation dauern länger als man denkt", stellen die Initiatoren von ›Grenzenlos‹ im Rückblick fest. Manch einer, der enthusiastisch bei den anfänglichen Treffen dabei war, ist dann eventuell nicht mehr zu sehen. Die Hannoveraner finden, man sollte sich davon nicht entmutigen lassen: "Die Erfahrung zeigt, dass viele bereit sind, aktiv mitzumachen, wenn das Projekt erstmal angelaufen ist."
In Leipzig wurden die Studenten von Weitblick erst von außen zu ihrer Einsatzbereitschaft angeregt: "Wir wurden von einem Sprachlehrer aus dem Leipziger Land angesprochen, ob wir nicht Deutschunterricht in den dortigen Asylunterkünften anbieten können. Daraufhin wurde eine Gruppe gebildet und wir haben zunächst mit Unterstützung von Sprachwerk e.V. mehrere Unterkünfte besucht. Inzwischen fahren wir selbstständig in die Unterkünfte, stehen aber noch in engem Kontakt zu Sprachwerk." Stefanie Neumann von Weitblick Leipzig lädt alle noch hadernden Kommilitonen ein: "Studenten sind in der Regel der flexibelste und meiner Meinung nach auch ein sehr aufgeschlossener Personenkreis. Und genau das ist, was momentan gebraucht wird. Studenten haben die Möglichkeit, jetzt etwas zu tun. Alles was man jetzt im Umgang mit Geflüchteten versäumt, wird der Gesellschaft in Zukunft auf die Füße fallen."
Ein Wunsch nach Unterstützung bei allen Initiativen ist die finanzielle Hilfe bei anfallenden Fahrtkosten. Die müssen nämlich auch ehrenamtliche Helfer zahlen. Es gibt also noch genügend zu tun.
Fast 29 Prozent der Personen, die im ersten Halbjahr 2015 in Deutschland einen Asylantrag stellten, waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, knapp 51 Prozent gehörten zur Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen.
Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung Deutschlands lag 2013 der Anteil der unter 35-Jährigen bei rund 36 Prozent.
Laut Eurostat-Daten war Deutschland im ersten Halbjahr 2015 weiterhin das Hauptzielland für Flüchtlinge innerhalb der EU mit rund 172.000 Asylanträgen, also Erst- und Folgeanträgen.
EU-weit an zweiter Stelle lag Ungarn, dort waren es im ersten Halbjahr 2015 rund 67.000 Asylbewerber. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hat sich die Zahl der Anträge in Deutschland mehr als verdoppelt, in Ungarn mehr als verzehnfacht.
Schweden trägt - pro Kopf betrachtet - die größte Herausforderung in Europa. Auf jeweils 1.000 Einwohner entfallen 8,4 Antragsteller, darauf folgt Ungarn mit einem Anteil von 4,3 Antragstellern pro Kopf.
Deutschland als zugangsstärkstes Asylantragsland liegt bei der Pro-Kopf-Auflistung mit 2,5 Antragstellern auf Platz sieben und damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 1,3 Antragstellern pro 1.000 Einwohnern.
Die meisten Antragsteller in der Europäischen Union stammten 2014 mit 122.115 Personen aus dem Herkunftsland Syrien, das sind 144,3 Prozent mehr als noch im Jahr 2013.
Nach einem Rückgang im Vorjahr stieg die Anzahl der irakischen Asylantragsteller im Jahr 2014 wieder an. Dieser Trend konnte nahezu in der gesamten Europäischen Union festgestellt werden. Quelle: Destatis
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