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Wie ich meine Zuckersucht in den Griff bekam

Food 

Es ist Sonntagabend. Ich sitze auf meinem Sofa, auf dem Fernseher flimmert der Tatort. Neben mir liegen zwei Verpackungen Snickers-Eis.

Zwei davon reichen jetzt wirklich, denke ich mir. - Doch die Schokolade schmilzt so zart im Mund. Und die Süße tut einfach so gut. - Aber der ganze Zucker! Die Kalorien! Muss das jetzt wirklich sein?

Es ist, als würden Engelchen und Teufelchen auf meinen Schultern sitzen und ein Streitgespräch führen. Wer kennt diese Situation nicht? Bei mir gewinnt in solchen Fällen regelmäßig das Teufelchen. Ich esse auch die verbleibenden vier Eis in der Packung, fühle mich danach schlecht, habe Bauchschmerzen, mir ist übel. Trotzdem: Es ist jedes Mal das Gleiche.

Warum muss es immer gleich die ganze Packung sein?

Warum also kann ich nicht bei einem oder zwei Eis bleiben?

Dass das etwas mit dem Zucker zu tun hat, ist mir klar. Aber ich will mehr wissen. Also beginne ich zu recherchieren.

Was ich dabei herausfinde, ist erschreckend:

Joachim Westenhöfer ist Ernährungspsychologe an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und befasst sich seit über 30 Jahren mit der Frage, warum Menschen zu bestimmten Lebensmitteln greifen. Er begründet mein Verlangen nach Zucker mit der Evolution:

Schon bei Kleinkindern lässt sich nachweisen, dass es eine angeborene Vorliebe für den süßen Geschmack gibt.

"Das ist evolutionsbiologisch auch ganz sinnvoll. Der süße Geschmack ist ein Indikator für Zucker, also für Kohlenhydrate, die ja für Menschen sehr wichtig sind." Denn diese brauchen wir für Kraft und Energie. Das Verlangen nach Zucker ist also nicht grundsätzlich schlecht. Nur das Ausmaß, in dem wir heutzutage Zucker zu uns nehmen, ist außer Kontrolle geraten.

Denn süße und zuckerhaltige Speisen aktivieren das Belohnungssystem und es wird Dopamin, das sogenannte Glückshormon, ausgeschüttet.

Von genau diesem Gefühl wollen wir immer mehr - so kann es zu suchtähnlichem Verhalten kommen. Das war früher nicht so schlimm, als Zucker selten war. Aber heute ist Zucker unbegrenzt verfügbar - und wir können nicht Nein sagen.

Ich beobachte mich selbst und merke:

Wenn eine Entscheidung ansteht, ein schwieriges Gespräch oder mich etwas gekränkt hat, greife ich zu Süßem.

Joachim Westenhöfer bestätigt, dass beim Essen emotionale Komponenten eine Rolle spielen:

Mit Essen kann man sich beruhigen, Essen gehört immer zu einer Feier dazu.

"Die meisten Menschen lernen im Laufe ihrer Sozialisation, sich mit Süßigkeiten zu belohnen. Stellen Sie sich vor, ein Kind räumt sein Zimmer auf. Dann wird es kaum ein Elternteil geben, was sagt: 'Ich raspel dir jetzt ein paar Möhren.'"

Wollen wir unserer Seele etwas Gutes tun, greifen wir zum Zucker - das haben wir so gelernt.

Ich wage den Selbstversuch:

Kein industrieller Zucker mehr! Weg mit Süßigkeiten und Fertiggerichten.

Das ist ja einfach!, denke ich noch an Tag zwei.

Einen Tag später kommt der erste Einbruch: Ich bin auf der Arbeit, mir wird schwindelig, ich zittere. Erst nach einem halben Pfannkuchen geht es mir besser. Bin ich tatsächlich so süchtig, dass mein Körper diesen Stoff einfordert und sonst mit Entzugserscheinungen reagiert? In den folgenden Tagen gibt es immer wieder solche Momente.

Nach etwa einer Woche hat sich mein Körper an das zuckerfreie Leben gewöhnt, ich fühle mich wieder wach und stark.

Ich greife jetzt öfter zu Nüssen und Obst statt zur Schokolade. Diese lächelt mich weiterhin aus dem Regal im Supermarkt an. Besonders in Gesellschaft fällt mir das Neinsagen schwer: Bei Kaffee und Kuchen mit meinen Großeltern, dem Eis mit Freunden oder den Geburtstagstörtchen einer Kollegin. Aber ich habe mir was vorgenommen, das will ich jetzt auch durchziehen!

Bananen oder Obstsalat helfen mir in solchen Momenten, dem Zucker-Craving zu widerstehen. Schwierig wird es bei Geburtstagen:

Statt Moscow Mule gibt es für mich "Skinny Bitch", Vodka mit Wasser, dazu ungesüßte Beeren.

Nach fast drei Wochen merke ich jedoch, dass ich nichts von einem kompletten Verzicht halte - ich erlaube mir seltene Ausnahmen. Auch Joachim Westenhöfer rät von solchen strikten Verboten ab:

Es geht immer darum, sich Dinge in Maßen zu gönnen.

"Wenn man sich etwas verbietet wird die Lust darauf immer stärker, irgendwann bricht die Kontrolle zusammen und es kommt zum übermäßigen Essen."

Und genau das möchte ich ja verhindern. Nach vier Wochen stelle ich fest: Ich habe zwar nicht komplett auf Zucker verzichtet, doch die Menge drastisch heruntergeschraubt. Ich greife eher zu gesunden Snacks und gönne mir nur hin und wieder eine süße Belohnung.

Wenn der Heißhunger kommt, frage ich mich auch, was hinter dem Verlangen steht: Was beschäftigt mich gerade? Was kann ich dagegen tun? Letztlich ist es bei Zucker so wie mit vielen Dingen:

Allein das Bewusstsein schafft die Grundlage zur Veränderung. 
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