
Illustration: Philipp Sipos || Männer: IMAGO / YAY Images | Parlament: IMAGO / Pixsell | Orbán: IMAGO / Xinhua
Wenn deutsche und österreichische Politiker ein Regime besuchen, das seit Jahren die Pressefreiheit angreift und politische Gegner bekämpft, erwartet man einen kritischen Blick. Besonders wenn sie zur Wahlbeobachtung anreisen. Niemand würde damit rechnen, dass sie sagen: "Hier lief alles super! Die Wahl war fair, frei, geheim und alle Prozesse waren transparent." Besonders dann, wenn andere Wahlbeobachter, entsandt durch international anerkannte Organisationen, von ominöser Wahlkampffinanzierung berichten, von zensierten Medien und verletzten Wahlgeheimnissen. Und dennoch ist das genau so geschehen.
Demokratisch gewählte Abgeordnete legitimieren eine unfaire Wahl in einem mehr oder minder unfreien Land. Man könnte ihr Vorgehen als Fake-Wahlbeobachtung bezeichnen. Denn sie beobachten nicht nach anerkannten Standards, sondern nach Gutdünken. Und sie sind weder unabhängig noch überparteilich, wie es Wahlbeobachter sein sollten, stattdessen sind die Fake-Beobachter wohlwollend gegenüber der Regierung des Landes eingestellt, das sie beobachten.
Auch von VICE: Rechtsextreme Gruppen infiltrieren das Militär
VICE und t-online haben wochenlang recherchiert und zeigen auf, was hinter den Fake-Wahlbeobachtern steckt. Wie gehen sie vor? Wer heuert sie an? Und welche Deutschen und Österreicher lassen sich zur Fake-Wahlbeobachtung einladen? (Lest hier mehr auf t-online.de)
Im April dieses Jahres geschah es in Ungarn: Ministerpräsident Viktor Orbán holte Wahlbeobachter ins Land, die in seinem Sinne "beobachten" sollten. Orbán machte das nicht besonders heimlich, aber dennoch bemerkte die deutsche Öffentlichkeit davon nichts. Denn Europa schaute auf Putins Krieg in der Ukraine. Dass die ungarische Bevölkerung am 3. April ihr Parlament wählte, huschte nur kurz über die Nachrichtenseiten.
Dabei war die Wahl in Ungarn bemerkenswert: Nicht weil Orbán und seine rechte Partei Fidesz wiedergewählt wurden, sondern weil politisch beeinflusste Wahlbeobachter angereist waren, die eine Agenda hatten. Zum ersten Mal traten sie in einem Land der Europäischen Union, EU, auf. Das gab es nie zuvor in den EU-Staaten. Unter den Orbán-nahen Beobachtern waren deutsche und österreichische Politiker neben Vertretern ultrakonservativer Denkfabriken.
Der Deal mit der Fake-Wahlbeobachtung läuft meist so: Politiker werden eingeladen. Sie bekommen womöglich einen guten Platz im Flugzeug, ein schickes Hotel oder gar eine großzügige Überweisung. Im Gegenzug schauen sie nicht so genau hin.
Fake-Wahlbeobachter dienen autoritären Herrschern dazu, Wahlbetrug reinzuwaschen und zu verschleiern, dass Standards demokratischer Wahlen nicht eingehalten wurden. Die Diktatoren wollen damit eine Gegenöffentlichkeit schaffen und seriöse Wahlbeobachter in Verruf bringen. Denn die Botschaft der Fake-Beobachter lautet immer: "Diese Wahl war demokratisch, fair, frei und geheim." Selbst wenn es nicht so war. Der Bevölkerung wird der Eindruck vermittelt: An unserer Wahl gibt es nichts auszusetzen. Kritisieren seriöse Beobachter die Wahl, treten die Fake-Wahlbeobachter dieser Kritik entgegen. Es ist ein Versuch der Delegitimierung. Und die Fake-Beobachter haben kaum Nachteile. Denn in dem Land, aus dem sie kommen, bemerkt ihre Ausflüge oft niemand.
Deutscher Europaabgeordneter spricht von fairer Wahl
Seit Viktor Orbán 2010 an die Macht kam, baut Ungarn demokratische Strukturen ab. Die Rechtsstaatlichkeit im Land ist schon viele Jahre lang porös. Ungarn und die EU streiten ständig miteinander. Der neuste Zank dreht sich darum, ob Ungarn die Sanktionen gegen Russland mitträgt. Denn Orbán und Putin verstehen sich gut. Vor kurzem erzählte Orbán, wie Putin ihm immer als Erster zum Wahlsieg gratuliert habe.
Dass Orbán und seine Fidesz sich für die jüngsten Parlamentswahlen Fake-Beobachter holten, ist ein weiterer Schritt raus aus der EU und hin zur Orbànschen Diktatur. Normalerweise entsendet die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, Wahlbeobachter. Nach dem Zerfall des Ostblocks hatten sich 57 Staaten darauf geeinigt, die Demokratie zu stärken. Dazu gehören regelmäßige Wahlbeobachtungsmissionen. Die OSZE-Beobachter folgen einer festgelegten Methodik, sind längere Zeit in einem Staat und beobachten nicht nur den Wahltag, sondern auch was davor und danach geschieht. Mit anderen Worten: OSZE-Wahlbeobachter sind unabhängig. Und damit ziemlich gefährlich für Regime, die demokratische Prozesse abschaffen wollen.
Wie verpasst man seinen Wahlen also ein Demokratiesiegel, auch wenn sie so gar nicht demokratisch ablaufen? Wie kegelt man die OSZE-Beobachter aus, die so anstrengend auf Regeln pochen? Dafür gibt es verschiedene Wege.
Einer ist, wohlgesonnene Politiker aus demokratisch gewählten Parlamenten anzuwerben. Im besten Fall treten sie am Morgen nach der Wahl vor die Presse und beteuern, wie gut alles lief. So tat es der Europaparlamentarier Lars Patrick Berg.
Berg saß für die AfD im Landtag Baden-Württembergs. Inzwischen ist er deutsches Mitglied des Europäischen Parlaments. Er gehört nicht mehr der AfD an, sondern der Partei der Liberal-Konservativen Reformer, LKR, die AfD-Mitgründer Bernd Lucke ins Leben rief. Am 3. April dieses Jahres streifte Berg durch die Wahllokale in Budapest und den umliegenden Dörfern. Danach gab er mehreren ungarischen Zeitungen Interviews. Die rechte Zeitung Mandiner zeigte ein großes Foto von Bergs Gesicht oben im Artikel. Darunter sagt er über die Wahl: "Der Prozess war transparent. Die Leute waren begeistert, also insgesamt eine faire Wahl." Mandiner gehört zu der ungarischen Medienstiftung KESMA, die als rechte Hand der Fidesz gilt. Sie ist Teil des rechten Medienimperiums, das Orbán schuf. Die KESMA-Medien sorgten auch für ungleiche Bedingungen im Wahlkampf. So wurde die Opposition wesentlich weniger gehört als die Regierung.
In der Orbán-nahen Tageszeitung Magyar Nemzet ließ sich Berg ebenfalls zitieren: "Es gibt Politiker und Parteien, die versucht haben, die ungarische Gesellschaft zu polarisieren und die von Viktor Orbán geführte Regierung zu dämonisieren. Sie haben den [...] politischen Parteien die Rollen von Gut und Böse zugewiesen. Die Guten waren die pro-europäisch Eingestellten und die ungarische Regierung wurde als Teufel dargestellt. Dabei war das gar nicht notwendig. Denn die Ungarn wissen selbst, was gut für sie ist." Kein Wort über Demokratieabbau in Ungarn oder die eingeschränkte Pressefreiheit vor der Wahl. Dafür noch der Satz: "Es war eine demokratische und souveräne Entscheidung des ungarischen Volkes." Auf Anfragen von VICE und t-online reagierte Berg nicht.
Stimmt das, was Berg den ungarischen Zeitungen sagte? Seine Beobachtungen lassen sich kaum überprüfen. Doch wer den Bericht der OSZE liest, bekommt einen anderen Eindruck von der Wahl.