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Corona-Quarantäne: "Als wäre das Kind ein gefährliches Ding"

"Eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte meiner Tochter ist an Covid-19 erkrankt. Weil die Kita sehr klein ist, sind wir alle über eine WhatsApp-Gruppe verbunden. Dort hat uns die Erzieherin Bescheid gesagt. Alle, die mit ihr Kontakt hatten, sind vorsichtshalber zu Hause geblieben. Einige Tage später hat sich das Gesundheitsamt bei der Leitung der Kita gemeldet. Es hat veranlasst, dass alle Kontaktpersonen in Quarantäne gehen, darunter meine vierjährige Tochter. Der Brief an die Kita-Leitung wurde an mich weitergeleitet. Aber bis sich das Amt bei mir persönlich meldete, ist noch einmal mehr als eine Woche vergangen. Das Schreiben kam am vorletzten Tag der Quarantäne an.

Vorher hatte ich mich schon im Internet informiert, was passiert, wenn man in Quarantäne muss. Meine Tochter und ich haben uns gleich isoliert - also fast zwei Wochen bevor der Brief kam. Als ich dann diese Anordnung zur Absonderung in sogenannte häusliche Quarantäne meines Kindes las, war ich schockiert. Der Brief ist voller Behördendeutsch, die Sprache roh und brutal. Darin steht nichts Menschliches. Stattdessen schreibt das Amt: "Für die Zeit der Absonderung unterliegt ihr unter 1. genanntes Kind der Beobachtung durch das Gesundheitsamt gemäß Paragraf 28 Absatz 1 Satz 1, 30 Absatz 1 Satz 2 IfSG. Danach haben Sie Untersuchungen und Entnahmen von Untersuchungsmaterial durch die Beauftragten des Gesundheitsamtes an Ihrem Kind vornehmen zu lassen." Später steht da: "Folgende Hygieneregeln sind für Ihr Kind zu beachten: Minimieren Sie soweit möglich Kontakte Ihres Kindes zu anderen Personen. In Ihrem Haushalt sollten Sie nach Möglichkeit eine zeitliche und räumliche Trennung von den anderen Haushaltsmitgliedern einhalten. (...) Das Berühren von Augen, Nase und Mund soll grundsätzlich vermieden werden." Das Kind soll in einem anderen Raum untergebracht werden und möglichst keinen Kontakt zu anderen Familienmitgliedern haben. Gleichzeitig soll ich überwachen, dass sich meine Tochter nicht ins Gesicht fasst. Das ist doch verrückt!

Der Brief geht gar nicht darauf ein, dass man ein dreijähriges Kind anders behandeln sollte als ein 13-jähriges. Es wäre doch im Sinne der Kinder, unterschiedliche Maßnahmen zu empfehlen. Das Amt spricht vom Kind, als wäre es ein Objekt - ein potenziell gefährliches Ding, das isoliert werden muss. Auf das seelische Wohl des Kindes geht das Schreiben mit keinem Wort ein. Das finde ich erschreckend. In dem Brief droht das Gesundheitsamt sogar damit, mein Kind in einer geschlossenen Einrichtung unterzubringen, wenn ich der "Absonderung" nicht nachkomme. Außerdem steht dort: "In unaufschiebbaren Fällen kann die Behörde eine vorläufige Unterbringung zunächst ohne Gerichtsbeschluss anordnen." Wer so etwas liest, ist doch total eingeschüchtert. In vielen Bereichen werden inzwischen Texte auch in leichter Sprache angeboten - bei so einem schwierigen Thema wie der Quarantäneanordnung für ein Kind hätte ich mir in jedem Fall sensiblere, verständlichere und auch verständnisvollere Formulierungen gewünscht.

Ich bin alleinerziehend. Mit meiner Tochter und meiner Hündin wohne ich in einer Zweiraumwohnung in Ottensen. Im Internet habe ich gelesen, dass Eltern sich auch gemeinsam mit ihrem Kind in Quarantäne begeben können. Hätte ich keine Möglichkeit, selbst zu recherchieren, würde der Brief vom Amt mir sagen: Dein Kind muss isoliert werden - ohne Ansprache, ohne Körperkontakt, ohne Trost. Das geht am Kindeswohl vorbei und ist im Jahr 2020 wirklich nicht zeitgemäß. Sicher gibt es Eltern, die sich an die Regeln im Brief halten, weil sie Angst haben. Mit dem Schreiben wird ja Panik und Schrecken verbreitet. Ich habe es anders gemacht: Ich habe mich mit meiner Tochter gemeinsam isoliert. Wir haben ein Familienbett, sie hat noch nie allein geschlafen. Da konnte ich doch nicht einfach sagen: So, ich schlafe jetzt im Wohnzimmer. Wir haben während der Quarantäne viel geredet, gelesen, gebastelt und gekuschelt. Zum Glück haben wir eine kleine Terrasse mit einer Schaukel und einem Minitrampolin. Auch unsere Hündin ist eine echte Stimmungsaufhellerin. Ich bin dankbar, dass ich eine gute Hausgemeinschaft habe. Die Nachbarn sind mit unserer Hündin rausgegangen und haben uns Lebensmittel vor die Tür gestellt. Wer nicht gut vernetzt ist, ist in einer solchen Situation aufgeschmissen.


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