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Schnelltests in Pflegeheimen: Vertrauen ist schlecht, Kontrolle ist besser

Als das Bundesgesundheitsministerium im Oktober die neue Testverordnung für Pflegeheime bekannt gab, rief Jörg Wisotzki seine Mitarbeitenden zu sich. "Wir haben uns sofort zusammengesetzt und überlegt: Wie machen wir das?", erinnert sich der Leiter des Altenwohnheims Billwerder Bucht in Hamburg-Rothenburgsort. Er schrieb ein Testkonzept für sein Heim und reichte es bei der Behörde ein, dann bestellte er Schnelltests. Seit vier Wochen werden die Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Pflegekräfte routinemäßig per Schnelltest auf mögliche Infektionen überprüft. Wisotzkis Heim gehört zu den ersten in Hamburg, die das leisten können.

Die nationale Teststrategie trat am 15. Oktober in Kraft, sie sieht vor, in Pflegeheimen massenhaft Antigenschnelltests einzusetzen. In den knapp zwei Monaten, die seitdem vergangen sind, mussten die Leiterinnen und Leiter all dieser Heime in Deutschland genau das tun, was in Rothenburgsort schnell gelang: Kapazitäten ausloten, Testkonzepte schreiben, Schnelltests bestellen und warten. Bis die Tests ankamen, dauerte es zum Teil Wochen. In dieser Zeit haben sich allein in den Hamburger Heimen rund 800 Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Coronavirus infiziert, 84 von ihnen sind mit der Erkrankung gestorben. Die Hamburger Gesundheitsbehörde geht davon aus, dass die Krankheit durch Besucher und Personal in die Einrichtungen gelangt ist.

Aktuell gibt es in 36 Hamburger Alten- und Pflegeheimen Covid-19-Fälle, mehr als 500 Bewohnerinnen und 180 Beschäftigte sind infiziert. Das Coronavirus trifft dort genau jene Mitglieder der Gesellschaft, die am verwundbarsten sind: Hohes Alter ist der stärkste Risikofaktor, um an Covid-19 zu sterben. Laut Robert Koch-Institut waren 85 Prozent der Menschen, die bislang in Deutschland an Covid-19 verstorben sind, 70 Jahre alt oder älter. Verbreitet sich das Virus an Orten, an denen viele ältere Menschen zusammenkommen, ist das Risiko von Todesfällen hoch. Massenhafte Schnelltests sollen dies verhindern.

Die Kosten müssen die Pflege- und Altenheime auslegen, die sie aber von den Pflegekassen erstattet bekommen - und diese von der Bundesregierung: Bis zu 7 Euro pro Test werden übernommen, dazu 9 Euro für den Personalaufwand.

Denn Tests allein reichen nicht. Die Einrichtungen brauchen Menschen, die Abstriche nehmen und mit den Proben fachgerecht umgehen können. Bei den Antigenschnelltests schieben die Pflegerinnen und Pfleger Stäbchen durch Nasenlöcher und geöffnete Münder, um die hintere obere Rachenwand zu treffen - denn dort vermehren sich die Viruszellen zuerst, so vermutet man. Klebt genügend Speichel an dem Wattetupfer, tunkt man das Stäbchen in ein Röhrchen mit einer speziellen Testflüssigkeit, rührt in der Flüssigkeit und drückt den Tupfer aus. Danach träufeln die Pflegerinnen die Lösung auf den Teststreifen. Nach einer Viertelstunde zeigt sich auf dem Streifen ein Ergebnis. Das sieht ähnlich aus wie bei einem Schwangerschaftstest: Ein einzelner Strich gibt Entwarnung, zwei Striche bedeuten: positiv. Dann ist die Viruslast im Rachen so hoch, dass die getestete Person ansteckend sein könnte.

Jörg Wisotzki leitet das Altenheim Billwerder Bucht seit vier Jahren. Er hat alle elf Pflegekräfte seiner Einrichtung für den Umgang mit den Schnelltests schulen lassen - inklusive sich selbst. Vor vier Wochen kamen 940 Schnelltests in seinem Heim an, sie sind für alle Menschen, die das Heim betreten wollen, die letzte Instanz. Vorher entscheidet bereits ein kleiner weißer Quader über den Einlass. Die Maschine misst kontaktlos die Körpertemperatur und erkennt, wenn jemand keine medizinische Maske trägt. Das Gerät ist mit einer Wärmebildkamera und Videobilderkennung versehen. Zeigt der Monitor einen grünen Haken, schiebt sich die Tür zum Foyer auf. Alle, die das Heim betreten wollen, müssen die Maschine passieren: Besucher, Bewohnerinnen, Pfleger, Physiotherapeutinnen, Krankentransportfahrer und Handwerkerinnen.

Vom Foyer sind es nur ein paar Schritte zum ehemaligen Andachtsraum des Heims, der nun als Minitestzentrum dient. Zwar hängt noch ein Kreuz an der Wand, doch die Stühle und der Altar sind Kitteln, Trennwänden, Schutzbrillen und Testkits gewichen.

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