Sabine Hebbelmann

Freie Journalistin, Sandhausen

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Interview

Der „Patient Wald“ braucht Ruhe

Volker Ziesling zählt die Forstwirtschaft zu den Stressfaktoren und verordnet den Wäldern am Oberrhein eine Auszeit

Seit drei Jahren kämpft der Speyerer Forstwissenschaftler und Diplom-Forstwirt Volker Ziesling mit der Bürgerinitiative „Waldwende jetzt!“ für einen anderen Umgang mit den Wäldern am Oberrhein. Vor dem Hintergrund von Klimakrise und massiven Waldschäden hinterfragt Ziesling die forstliche Praxis und fordert ein Umsteuern. Eine Exkursion mit einem Waldrebellen.

Herr Ziesling, schön dass Sie sich Zeit nehmen! Auch hier im Gemeindewald Sandhausen sind die Schäden nicht mehr zu übersehen. Auf dieser Fläche stand vor drei Jahren noch ein dichter Kiefernforst. Die abgestorbenen Bäume wurden samt Wurzeln entfernt und sogenannte klimastabile Baumarten gepflanzt. Ist das ein sinnvolles Vorgehen?

Ziesling: Waldböden sind voller Leben und erfüllen zahlreiche ökologische Funktionen. Die maschinelle Räumung der kompletten Biomasse entzieht Nährstoffe, zugleich wird der Boden zerfahren. Das Pflügen zerstört die Kapillaren, durch die Wasser und darin gelöste Nährstoffe aufsteigen und die Bäume versorgen. Und Klimaresistenz gibt es nicht, jede Baumart stößt an eine Grenze.

Was ist die Alternative? Ließe man die toten Bäume stehen, würde der Kohlenstoff mit der Zeit freigesetzt.

Ziesling: Im Wald findet sich rund die Hälfte des gebundenen Kohlenstoffs unterhalb der Bodenoberfläche, durch die Bearbeitung entweicht er als CO2 in die Luft.
Gesunde Waldböden bilden einen natürlichen Puffer, der Luftschadstoffe bindet. Wird dieser zerstört, werden Stickstoff- und Schwefelverbindungen freigesetzt. Auch Schwermetalle werden mobil und gehen in die Bodenlösung über. Diese Schadstoffe beeinträchtigen das Bodenleben zusätzlich und gelangen auch ins Grundwasser.

Durch Nutzung des Holzes für langlebige Produkte wird aber auch Kohlenstoff gebunden.

Ziesling: Langlebig sind alte Fachwerkhäuser oder Möbel, die über Generationen vererbt werden. Doch von solchen Idealvorstellungen ist der Holzmarkt weit entfernt. Das Kiefernholz der Rheinebene taugt ohnehin nur für kurzlebige Produkte wie Einweg-Paletten, Spanplatten oder Betonverschalungen. Und Buchenholz landet meist im Kamin, wo der in Jahrzehnten gespeicherte Kohlenstoff auf einen Schlag freigesetzt wird. Unsere Wälder hätten das Potenzial, doppelt so viel Kohlenstoff zu binden, wenn man sie die nächsten zwanzig bis dreißig Jahre nicht bewirtschaften würde.

Aber die Bäume sterben. Muss der Wald umgebaut werden, damit er überhaupt eine Zukunft hat?

Ziesling. Den Begriff „Waldumbau“ kann ich nicht akzeptieren. Er unterstellt, ich könnte als Förster die Prozesse im Wald nach Belieben steuern. Wenn ich Baumarten aus dem Kaukasus oder aus Nordamerika einführe, importiere ich ein ganzes Ökosystem. Das kann unvorhersehbare Folgen haben. In Asien besiedelt das Falsche Weiße Stängelbecherchen als harmloser Blattpilz die dort heimischen Eschenarten. Er wurde mit importierten Eschenpflanzen nach Europa eingeschleppt und verursacht hier ein dramatisches Eschentriebsterben. Übrigens verhält sich die amerikanischen Roteiche, die auf diesem Kahlschlag gepflanzt wurde, in den Wäldern der Schwetzinger Hardt invasiv.

Was heißt das?

Ziesling: Als invasiv gelten gebietsfremde Pflanzen, die sich stark ausbreiten und die heimische Vegetation verdrängen – wie auch die Amerikanische Kermesbeere und die Spätblühende Traubenkirsche.

Warum vermehren sie sich diese Neophyten ausgerechnet in den Wäldern der Hardt so massiv?

Ziesling: Sie kommen mit den mageren Sandböden und den klimatischen Verhältnissen gut zurecht. Und je lichter der Wald wird, desto mehr können sie sich ausbreiten und die Verjüngung des Waldes behindern. In geschlossenen Wäldern kommen sie so gut wie gar nicht vor.

Ist der Wald in der Rheinebene auf Dauer noch zu retten?

Ziesling: Neben Klimawandel und Forstwirtschaft haben es die Bäume in der Rheinebene mit Stickstoffeinträgen und Grundwasserabsenkungen zu tun. Wir müssen darauf achten, die Stressfaktoren so gut es geht zu reduzieren. An den Bannwäldern im Waldschutzgebiet Schwetzinger Hardt sieht man sehr schön, dass ein unbehandelter Wald sich selbst am besten helfen kann.

Schauen wir uns doch den Bannwald Kartoffelacker in Reilingen näher an. Dort unterbleibt seit 1970 jegliche Nutzung.

Ziesling: Wir sehen, auch im Bannwald sterben einzelne Kiefern ab. Wir haben aber jede Menge Buchen, die sich verjüngen. Wir haben Totholz, das Nährstoffvorräte speichert und Lebensraum ist für Pilze, Mikroorganismen und Insekten. Ich mache mir um diesen Wald keine Sorgen. Wir sehen auch hier, im Gegensatz zu dem benachbarten Wirtschaftswald, kaum Neophyten.

Warum sind Buchen inzwischen sogar im Odenwald geschädigt?

Ziesling: Die Buche hat im Odenwald ihr Optimum und ist hier europarechtlich geschützt. Allerdings ist Schirmschlag, eine Art der Holzernte, bei der das Kronendach aufgelichtet wird, in der Klimakrise nicht zukunftsfähig. Nur in geschlossenen Beständen kann das Binnenklima erhalten bleiben.

Sollten die bestehenden Wälder durch Baumarten aus südlicheren Breiten ergänzt werden?

Ziesling: Statt fremde Baumarten einzuführen, sollte der Genpool heimischer Arten besser genutzt werden. Die Rotbuche ist in weiten Teilen Europas zuhause und verfügt über eine riesige genetische Vielfalt. Foresta Umbra, dunkler Wald, heißt ein üppiger alter Buchenwald auf der Halbinsel Gargano, dem Stiefelsporn Italiens. Dort ist die Durchschnittstemperatur vier Grad höher als am Oberrhein.

Warum greift man nicht auf diesen Schatz zurück?

Ziesling: Über lange Zeit wurde die genetische Vielfalt zugunsten bestimmter Merkmale zurückgedrängt. Noch heute wird über das Forstvermehrungsgutgesetz (FoVG) das forstliche Saatgut kontrolliert. Schauen Sie diese Buche an (siehe Foto): Da sich der Baum sehr tief aufgabelt, ist das Blattvolumen deutlich größer. Bäume wie dieser wurden jahrhundertelang herausgeschnitten und der Genpool dadurch verarmt. Sie sind aber möglicherweise die Zukunftsoptionen in Zeiten des Klimawandels.

Hat die Forstwirtschaft an diesen Bäumen kein Interesse?

Ziesling: Diese Buche liefert kein Stammholz wie eine Buche, die einen kerzengeraden Schaft hat. Oder schauen Sie diesen Stamm an: Unter dicken Knollen sitzen schlafende Knospen, die bei Schäden in der Baumkrone aktiviert werden können und neue Zweige hervorbringen. Solche Bäume liebt der Förster nicht, weil sich das Holz nicht so gut verkauft.

Was ist also Ihr Rezept für den Patient Wald?

Ziesling: In der Humanmedizin spricht man von Ruhe, Wärme und viel Tee. Wenn wir die Wälder in Ruhe lassen, vor allem in der Rheinebene, bin ich guter Dinge, dass auch die nächste und übernächste Generation in ihren Genuss kommen kann.

Sabine Hebbelmann