Sabine Hebbelmann

Freie Journalistin, Sandhausen

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Die -Foodsaver-: Im Einsatz gegen die Verschwendung

Immanuel Diehl, Nicoletta Hilger und Petra Goerke (v. l.) sorgen dafür, dass Lebensmittel, die noch verwertbar sind, nicht im Müll landen. Foto: heb


Auch in Heidelberg und Umgebung retten die "Foodsaver" Lebensmittel vor dem Müll und verschenken sie weiter.



Von Sabine Hebbelmann

Heidelberg/Leimen. "Ich dachte, so etwas müsste es auch in Heidelberg geben", sagt Nicoletta Hilger. Gemeint ist Foodsharing, eine Initiative gegen Lebensmittelverschwendung. Hilger hatte sie kennengelernt, als sie in Köln eine Freundin besuchte. Seither wirbt die Heidelbergerin mit viel Charme und Überzeugungskraft für die Idee des Rettens und Teilens von Essbarem.

Was ist Foodsharing?

Billig, vielfältig und makellos - das sind die Anforderungen an unsere Lebensmittel; was nicht der Norm entspricht, wird aussortiert. Durch Angebote und Großpackungen werden wir allzu oft verleitet, mehr einzukaufen, als wir essen können. Dazu halten viele das Mindesthaltbarkeitsdatum für ein Verfallsdatum und werfen Nahrungsmittel weg, die einwandfrei sind. In Privathaushalten sind es jedes Jahr im Schnitt rund 82 Kilogramm Lebensmittel pro Person, die auf dem Müll landen.

> Diese Ansprüche führen dazu, dass auch in Gaststätten und Hotels, in der Lebensmittelindustrie und im Handel jede Menge Ess- und Genießbares "entsorgt" wird. Gegen diese Verschwendung richtet sich in Deutschland eine Bewegung, die gerade ihren zweiten Geburtstag gefeiert hat: Foodsharing.

> Den inzwischen 60.000 Nutzern geht darum, den Überschuss dorthin zu verteilen, wo er Verwendung findet. Wer Lebensmittel übrig hat, etwa weil er verreist oder die sprichwörtlichen "Reste nach dem Feste" loswerden will, kann sie über einen digitalen Essenskorb zum Verschenken anbieten oder sie in einen der frei zugänglichen "Fairteiler" stellen. Dabei handelt es sich um einen Platz - meist ein Regal oder einen Kühlschrank - an dem jeder Lebensmittel deponieren oder entnehmen kann.

> Den genauen Ort erfährt man in der Regel, wenn man sich auf der Plattform foodsharing.de anmeldet und die Regeln des Foodsharing akzeptiert. Denn da gibt es Einiges zu Beachten, von der Hygiene bis zur Philosophie des Lebensmittel-Teilens.

> Wer sich weitergehend engagieren möchte, kann als "Foodsaver" aktiv werden und Lebensmittel vor der Tonne retten, die Händler und Produzenten nicht verkaufen können. Sie essen die Sachen selber oder geben sie weiter, Hauptsache, es wird möglichst wenig weggeworfen. Nach entsprechender Einweisung bekommt der Foodsaver einen Ausweis und kann sich für Rettungsaktionen einteilen lassen. heb

Vor einem Jahr hat sie begonnen, als Foodsharing-Botschafterin für Heidelberg und die Region Rettungsaktionen zu organisieren. Die Sozialpädagogin schreibt Obst- und Gemüsehändler, Supermärkte und Bäckereien in Heidelberg und der Region an, informiert über Foodsharing und bittet die Betriebe, Lebensmittel abholen zu dürfen, die sonst in der Tonne landen würden.

"Viele Händler stehen dem Projekt offen gegenüber, da es auch ihnen leid tut, Nahrungsmittel wegzuwerfen", sagt Hilger. Ein Bio-Supermarkt in Handschuhsheim war sofort dabei. Andere folgten, darunter eine Tankstelle, bei der die Lebensmittelretter jeden Abend die unverkauften Backwaren abholen dürften. Auch wenn es vereinzelte Absprachen auf Bundesebene gebe, die Großen der Branche hielten sich bisher auffällig zurück, berichtet Hilger.

Die Aktionen werden mit den Händlern im Voraus abgesprochen und genau geplant, wobei sich die Foodsaver für die jeweiligen Rettungseinsätze in Listen eintragen. Petra Goerke aus Leimen hat sich im Juni den inzwischen gut einem Dutzend aktiven Heidelberger Lebensmittelrettern angeschlossen. Für Hilger ist sie die Idealbesetzung: Sie hat einen geräumigen VW-Bus, hat freitags morgens Zeit und kann anpacken. Auch an diesem Freitag machen sie sich gemeinsam auf den Weg, mit Bus und Kombi und weiterer Verstärkung in Form von Hilgers Mann Immanuel Diehl.

Als die drei eintreffen, halten sie sich zunächst im Hintergrund, bis sich der Kunde verabschiedet hat. Dann begrüßt man sich freundschaftlich. Als der Händler zunächst abwinkt, ist das für die Gruppe kein Problem. "Am besten wäre, wenn es uns nicht geben müsste", sagt Hilger.

Doch wenig später kommt er erneut auf sie zu. Den Eichblattsalat könnten sie mitnehmen. Die Retter der Salatblätter bedanken sich, packen zügig alles um, stellen noch schnell die restlichen Kartons zusammen und säubern den Platz.

Der Nächste hat Clementinen zu vergeben. "Wenn eine Frucht schlecht ist, dann ist die ganze Kiste weg", weiß Goerke. Die Lebensmittelretter begutachten nicht kritisch, was ihnen angeboten wird, sondern nehmen es dankend an.

Schließlich sind die Autos voll, jetzt geht es ans "Fairteilen". Man trifft sich in Rohrbach zum Ausladen. Hier steht ein Kellerregal in unmittelbarer Nähe eines kleinen Parkplatzes geschützt hinter einer Hausecke. Auch auf den Holztischen und Bänken daneben ist reichlich Platz, um Kisten und Kästen abzustellen. Weitere "Fairteiler" gibt es in Neuenheim, in der Südstadt, in Handschuhsheim und in Kirchheim. Eine Frau mit Kleinkind durchstöbert das Angebot. "Die meisten Sachen sind so gut - wenn man das alles wegschmeißen würde, wäre das die reinste Verschwendung", sagt sie. Sie komme hier regelmäßig vorbei, denn: "Ich habe selber etwas davon und tue zugleich etwas Gutes."

Sie versuche immer, möglichst viel zu verwerten, mache Obstkuchen und koche Marmelade, sagt Goerke und richtet noch eine Kiste für eine Leimener Familie mit fünf Kindern. Aktuell sucht sie händeringend einen geeigneten Standort für einen "Fairteiler" in Leimen. Er sollte nach Möglichkeit frei zugänglich und zugleich geschützt sein. Die Foodsaver nehmen sich selbst, was sie brauchen und verwerten können. Für eine ältere Dame in der Nachbarschaft, die nur eine kleine Rente hat und nicht mehr mobil ist, packt Hilger eine eigene Kiste. "Viele schämen sich, zu den Tafeln zu gehen", weiß sie.

Foodsharing sei ein Angebot, das nicht stigmatisierend wirke. Und als Konkurrenz zu den Tafeln sieht sie sich auch nicht. "Bei Foodsharing fragen wir nicht nach Bedürftigkeit, zunächst geht es darum, Lebensmittelverschwendung zu verringern und Essen zu teilen." Noch sind viele Kisten übrig - sie werden auf Facebook gepostet. "Normalerweise dauert es zwei Stunden, dann ist alles weg."

Info: Händler und Interessierte können über die Adresse region.heidelberg@foodsharing.network Kontakt mit den Foodsavern aufnehmen.

Wer  die Adressen der Heidelberger Fairteiler erfahren und unverbindlich Lebensmittel mit anderen teilen will, kann auch bei der Facebook-Gruppe FAIR-Teiler Heidelberger anfragen, die inzwischen über 1 500 Mitglieder hat. Um als Foodsaver tätig zu werden, muss man sich bei foodsharing.de anmelden. 




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