Sabine Hebbelmann

Freie Journalistin, Sandhausen

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Nach Sexualdelikten: Frauen haben Angst dass Ihnen nicht geglaubt wird

Die Aussage einer 41-jährigen Frau, sie sei beim Wasserturm in Mannheim von einem Fremden mit einem Messer bedroht und vergewaltigt worden, ziehen die Ermittler inzwischen in Zweifel. Die RNZ hat bei der Psychologischen Beratungsstelle für sexuell misshandelte Frauen und Mädchen "Frauen und Mädchen Notruf" in Mannheim nachgefragt: Könnten aufgrund dieses Falls tatsächlich von einem Sexualdelikt betroffene Frauen jetzt befürchten, dass sie der Täuschung bezichtigt werden und erlebte Gewalt verschweigen beziehungsweise nicht zur Anzeige bringen?

"Das muss man sehen. Tatsache ist: Wir erleben in unserer Beratungsstelle heute schon häufig, dass Frauen große Angst haben, dass ihnen nicht geglaubt wird. Und je nach öffentlicher Meinung schwächt sich das etwas ab oder verstärkt sich wieder", sagt die Leiterin Martina Schwarz.

Bei der Frage, ob eine Anzeige erstattet wird oder nicht spielten andere Faktoren eine wichtigere Rolle, zum Beispiel Scham, Angst vor der Reaktion des Mannes, Angst stigmatisiert zu werden wenn die Tat öffentlich wird oder Selbstvorwürfe zum Beispiel dem falschen Mann vertraut zu haben. Das Polizeipräsidium Mannheim (zuständig für Mannheim, Heidelberg und den Rhein-Neckar-Kreis) hat laut seiner Kriminalitätsstatik im Jahr 2014 insgesamt 272 Fälle sexuellen Missbrauchs erfasst, davon 120 an Kindern. Ein Jahr zuvor waren es noch 294 gewesen. Aktuelle Zahlen werden erst in den kommenden Wochen vorgestellt.

Angelika Treibel hat beim Frauennotruf Heidelberg gearbeitet und ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kriminologie in Heidelberg, wo sie über das Anzeigeverhalten nach sexueller Gewalt von Frauen forscht. "Der Anteil der Frauen, der falsche Angaben macht, ist sehr gering verglichen mit den tatsächlichen Fällen sexueller Gewalt, die nicht zur Anzeige gebracht werden", sagt sie. Aufgrund von Dunkelfeldstudien werde der Anteil der nicht angezeigten Fälle auf über 80 Prozent geschätzt. Ein großes Hindernis sei, dass in der Regel keine Beweise vorlägen.

Je näher der Täter dem Opfer stehe, desto unwahrscheinlicher sei eine Anzeige. Sexuelle Gewalt im öffentlichen Raum komme vor, sei aber vergleichsweise untypisch. "Der häufigste Tatort ist die Familie und das soziale Umfeld." Das bestätigt auch Martina Schwarz. "Viel öfter gehören Vergewaltiger zum Freundes- und Bekanntenkreis oder zum beruflichen Umfeld der betroffenen Frauen oder sogar zur Familie." Und in diesen Fällen stehe meist Aussage gegen Aussage und es gehe um die Kernfrage, ob die Handlung einvernehmlich oder durch Gewaltausübung geschah.

"Das Thema wird instrumentalisiert", sagt Sylvia Zenzen, Sprecherin des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (BFF), in Bezug auf die aufgeheizte Debatte um sexualisierte Gewalt seit den Ereignissen der Silvesternacht in Köln. Dass jetzt verschärft auf Männer mit Migrationshintergrund geguckt wird und Abschiebungen gefordert würden, lenke vom eigentlichen Problem ab. "Die Asylsuchenden sind nicht das Problem, auch vor Köln wurden Frauen im öffentlichen Raum, etwa bei Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest, angegrapscht oder gar vergewaltigt."

Leider gehe es auch jetzt kaum um die Opfer und deren Schutz. Sonst stünde mehr im Fokus, wie das Hilfeangebot für Betroffene von sexualisierter Gewalt in Deutschland beschaffen ist, wie unzureichend die Finanzierung von Notrufen, Frauenhäusern und Beratungsstellen ist, wie häufig Personen, die sexuelle Übergriffe anzeigen, nicht ernst genommen werden und wie selten Sexualstraftaten verurteilt werden.

Frauen, die Gewalterfahrungen gemacht haben, werde oft nicht geglaubt, sagt Zenzen. Mit Fragen wie "Was hatten Sie an?" "Hatten Sie etwas getrunken?" werde ihnen die Verantwortung dafür zugeschoben, was passiert ist. Dabei sollte eigentlich der Täter sein Verhalten hinterfragen und nicht die Betroffene.

Ende des Jahres habe die Bundesregierung einen Referentenentwurf für eine Verschärfung des Strafrechts vorgelegt, der an einigen Stellen Verschärfungen vorsieht, etwa bei Überraschungsangriffen, wenn Frauen in der U-Bahn angegrapscht werden."Das geht uns nicht weit genug", stellt Zenzen klar. Der BFF fordert seit langer Zeit, alle nicht-einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen.


http://www.rnz.de/nachrichten/metropolregion_artikel,-Anzeige-nach-Sexualdelikten-Frauen-haben-Angst...

Foto: pixabay / Counselling