Nur wenige Medizinstudierende lernen, dass Frauen anders krank sind als Männer. Das kann schwerwiegende Folgen für ihre zukünftigen Patientinnen und Patienten haben. Die Berliner Charité will es besser machen.
Greta Ebeling hielt die Medizin für ein gerechtes System, eines, das sich um alle Menschen mit der gleichen Sorgfalt kümmert. Dann begann sie Medizin zu studieren - und an dieser Überzeugung zu zweifeln. Es war Herbst 2017, ihre Einführungswoche an der in Berlin, eine der größten Universitätskliniken Europas. Greta, 19, saß im altehrwürdigen Kopsch-Hörsaal, benannt nach dem Anatom Friedrich Wilhelm, mit steil abfallenden Sitzreihen.
Vorne, so erinnert sich Greta heute, zeigte eine energische Professorin eine PowerPoint-Präsentation. "Geschlechterforschung in der Medizin" stand auf der ersten Folie. Es folgten Balkendiagramme, Illustrationen des Druckverlaufs bei Herzerkrankungen, Bilder von verkalkten Gefäßen. Die Professorin erklärte Greta und ihren etwa 300 Mitstudierenden, dass Männer unter siebzig zwar häufiger Herzinfarkte erlitten als Frauen, diese aber häufiger daran sterben würden, weil sie tendenziell andere Symptome hätten. Frauen litten seltener unter dem "klassischen" Brustschmerz, dafür häufiger unter Übelkeit und Erbrechen. Doch die medizinischen Leitlinien richteten sich nach dem typischen Verlauf bei Männern. Die Professorin erklärte auch, dass Medikamente bei Frauen etwa anderthalbmal so häufig Nebenwirkungen hätten wie bei Männern, weil sie meist nur an Männern getestet würden. Und sie erzählte vom Herzmedikament Digoxin. Das erhöhte in einer Studie die Überlebenschancen von Herzkranken - aber, wie man erst nach Jahren feststellte, nur bei Männern. Bei Frauen steigerte die Einnahme das Risiko zu sterben. Greta verstand an diesem Tag: Männer und Frauen sind unterschiedlich krank. Doch im medizinischen Alltag und an den meisten Unis setzt sich diese Erkenntnis nur langsam durch.