Im Mai wurden die Aleviten in Österreich als 15. Religionsgemeinschaft anerkannt. In der Türkei hingegen bleibt ihnen die Anerkennung verwehrt. Mit dem Bundessprecher Riza Sari sprach daStandard.at über das Verhältnis zu den Sunniten, das Islamgesetz und die Gezi-Park-Solidaritätsdemos in Wien.
daStandard.at: Innerhalb der österreichischen Aleviten gab es ja einen Streit um Vertretungshoheit und Ausrichtung - was können Sie dazu sagen?
Sari: Es gab zunächst einen alevitischen Verein in St. Pölten, dann wurde einer in Wien gegründet, und anschließend wollten wir gemeinsam eine Föderation gründen. Allerdings konnten wir uns bereits bei der Satzung bei wichtigen Themen nicht einigen. Die St. Pöltner wollten keinen Zusatz "Islamisch-", da sie sich als eigenständige Religion anerkennen lassen wollten. Doch wir wollten diesen Zusatz unbedingt, da auch unsere Dedes (religiöse Würdenträger der Aleviten, weibliches Pendant "Anas", Anm.) diese Position vertreten. Und weiters wollten wir, dass ein Dede unserer Gemeinschaft vorsteht.
Das war auch wichtig für unseren Streit mit der Föderation in St. Pölten, da sich viele Aleviten später an uns gewandt haben, da sie eben das Alevitentum nicht politisch, sondern religiös und spirituell verstanden haben wollten.
daStandard.at: Das Islamgesetz aus dem Jahr 1912 soll ja novelliert werden, das will auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGIÖ). Ziehen Sie da an einem Strang?
Sari: Na ja, sie wollen eine Novellierung, die ihren Interessen entspricht, und wir wollen, dass der alevitische Islam im Gesetz verankert wird. Im Grunde will uns die IGGIÖ nicht im Islamgesetz verankert haben. Aber das neue Gesetz soll ja ein Islamgesetz sein und nicht etwa ein IGGIÖ-Gesetz. Ich bin zuversichtlich, dass ein neues Gesetz, das uns auch einschließt, kommen wird.
daStandard.at: Es gibt ja türkisch- und kurdischstämmige Aleviten, gibt es unterschiedliche Schwerpunkte oder gar ethnisch bedingte Differenzierungen?
Sari: Was ist zum Beispiel Kurdisch-Sein? Ich bin etwa ein Kurmandschi-sprechender Türke (Kurmandschi ist ein kurdisches Idiom, vor allem in der Türkei gesprochen, Anm.). Ich spreche also Kurdisch, aber meine Vorfahren und meine Familie sehen sich als Türken.
daStandard.at: Der ehemalige Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Anas Schakfeh, hatte die Aleviten als nichtmuslimisch klassifiziert. Wie nahmen die Aleviten das auf?
Sari: Im Grunde hat er gesagt, was wir von ihm erwartet haben, und im Grunde war es gut, dass er das gesagt hat. Denn ansonsten hätten wir den juristischen Weg nicht beschreiten können. Denn er hat mit seiner Aussage belegt, dass die IGGIÖ sich nicht für die Aleviten zuständig fühlt.
daStandard.at: Wie ist das Verhältnis zur IGGIÖ unter dem neuen Präsidenten Fuat Sanac?
Sari: Distanziert. Wenn wir etwa auf Veranstaltungen gemeinsam geladen sind, ist es unterkühlt. Ein unmittelbarer Austausch findet nicht statt. Während hingegen die Föderation (vertritt die Auffassung, das Alevitentum sei nicht Teil des Islam [sic]) sich des Öfteren mit dem Herrn Sanac getroffen hat.
Im Grunde haben wir eine negative Haltung Sanac gegenüber. Denn als der ehemalige IGGIÖ-Präsident das gesagt hatte, war Sanac Schura-Ratsvorsitzender und hat der Aussage Schakfehs nicht widersprochen - gerade als anatolischer Sunnit hätte er es besser wissen müssen.
Sanac will auch etwa nicht, dass wir bei der Novelle des Islamgesetzes kooperieren, und hatte sich auch gesträubt, die Aleviten als Verhandlungspartner zu akzeptieren.
daStandard.at: Wie wirkt sich die offizielle Anerkennung in Österreich auf die Situation in der Türkei aus?
Sari: Wir leben ja ohnehin gemeinsam in der Türkei, sind Nachbarn und gehen ja trotzdem in die Moschee oder in das Cemevi (alevitische Gebetsstätte, Anm.). Es bringt ja nichts, uns zu diskriminieren, denn wir verschwinden ja nicht. Nur das Unrecht bleibt.
Die Anerkennung in Österreich wird Positives bewirken. So war der Vizepremierminister der Türkei, Bekir Bozdag, in Österreich und musste sich mit uns protokollarisch treffen. Wir haben ihn freundlich empfangen und ihm einen Ordner mit Dokumenten überreicht, was die österreichischen Aleviten für Möglichkeiten und Rechte haben und welche den türkischen somit verwehrt werden.
daStandard.at: Im Schatten der Gezi-Park-Proteste in der Türkei haben etwa die Aleviten in Deutschland eine klare, politische Stellung bezogen. Wie bewerten Sie das?
Sari: Was im Gezi-Park geschah und wie der Staat auf die Proteste geantwortet hat, war nicht richtig. Aber wie geht man als religiöse Institution mit einer politischen Situation um? Wir haben daher als alevitische Glaubensgemeinschaft keine eigene Demonstration gegen Erdogan organisiert, sind aber als Privatpersonen natürlich gegen das harte Vorgehen der türkischen Polizei auf die Straße gegangen.
Und was mich dann positiv gestimmt hat ist die Tatsache, dass bei den Anti-Erdogan-Demos in Wien auch viele Sunniten dabei waren.
daStandard.at: Mit dem immer konfessioneller werdenden und ausartenden Bürgerkrieg in Syrien, rückt auch die Frage nach dem Verhältnis der türkischen Aleviten und der syrischen Alawiten in den Fokus?
Sari: Ein Verein türkisch-syrischer Alawiten hat sich uns etwa unlängst angeschlossen. Und auch wenn uns manche Dinge von Sunniten, Schiiten, aber auch Alawiten unterscheiden, haben wir das Problem, dass in Syrien ein Konfessionskrieg ausgebrochen ist. Und ich sage auch, dass Assad nicht diese Probleme im eigenen Land hätte, wenn er etwa ein wahhabitisch geprägter Sunnit wäre. Theologisch haben wir mit den Alawiten manches gemein, aber politisch sympathisieren viele Aleviten schon mit Assad. Nicht weil er diktatorisch ist, sondern weil er bekämpft wird, weil er eben Nichtsunnit ist. (Rusen Timur Aksak, daStandard.at, 28.10.2013)