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"Wurde Bruder genannt, aber wie ein Hund behandelt"

In kleinen, von Migranten betriebenen Lebensmittelläden wird das Arbeitsrecht oft nicht ernst genommen

Wien - Die ersten türkischen Kleinstläden für Lebensmittel und Halal-Fleisch entstanden Ende der 1980er-Jahre in Wien. Zunächst wurden noch Fleischereien gemietet, um Tiere zu schächten und das Fleisch punktuell zu verteilen. Später wurden kleine Läden eröffnet, um der steigenden Nachfrage Herr zu werden.

Diese kleinen Greißlereien, die von türkischen Gastarbeitern betrieben wurden, waren zunächst reine Familienbetriebe. Die männlichen Verwandten halfen in der Fleischerei, die weiblichen beim Verkauf aus. Die Arbeitsbedingungen waren damals meist weitab der allgemeinen Schutzbestimmungen. Heute gehören Supermarktketten wie Etsan mit über 15 Standorten in Österreich und dutzenden Angestellten in Verwaltung und Vertrieb zu den mittelgroßen Unternehmen. Doch wie steht es um die Arbeitsbedingungen? Arzu, eine ehemalige Kassiererin, sagt: "Berühmt war die Bezahlung nicht, aber sie kam pünktlich, und man war ordentlich angemeldet." Doch es gibt auch andere Erfahrungen.

Wand des Schweigens

Cihad ist ein Student aus der Türkei, der sowohl in einem türkischen Lebensmittelladen als auch in einem türkischen Restaurant gearbeitet hat. "Sieben Tage die Woche schuften - und am Ende hat man nicht mehr als ein Taschengeld", schildert er. Auf die Frage, ob er ordentlich angemeldet war und fürs Studium freibekam, reagiert der quirlige Student aus dem türkischen Konya mit einem Lachen: "Selbst nötige Arztbesuche waren unmöglich", erinnert er sich.

Sein Studium muss sich Cihad selbst finanzieren, da ihn die Eltern aus der Türkei nicht ausreichend unterstützen können. Viele seiner Freunde seien in der gleichen Lage, müssten in türkischen Lebensmittelläden und Restaurants arbeiten, weil sie das Geld fürs Studium brauchen: "Das wissen auch die Betreiber", sagt Cihad, "und so behandeln sie dich auch." Heute verdient er sich sein Studium durch Flyer-Verteilen. Auch wenn es kalt sei, sei das immer noch besser, als sieben Tage die Woche zu arbeiten, meint er.

Schwarze Schafe

Wenn man sich an die Geschäftsleitung türkischer Supermarktketten wendet und das Wort Beschäftigungsverhältnisse fallenlässt, wird man schnell abgewimmelt. Man solle sich doch bitte in einem Monat (sic!) wieder melden, man werde zurückgerufen oder aber der Geschäftsführer sei im Ausland und unerreichbar, heißt es meist.

Ein Lebensmittelladeninhaber aus Niederösterreich will zumindest anonym etwas sagen. "Es gibt zwei Gruppen bei uns: ordentliche Leute und Ausbeuter. Aber die Ausbeuter machen den Markt kaputt, da sie ja viel billiger sein können. Das führt dazu, dass auch andere ihre Angestellten öfter unbezahlt oder länger arbeiten lassen."

Ob die schwarzen Schafe nicht Angst vor Kontrollen hätten? Überprüft werde nur selten, und unfair behandelte Mitarbeiter seien meist diskret, sagt der Mann: "Sie brauchen den Job, auch wenn er schlecht bezahlt ist"

Ehefrauen und Studenten

Ali war Student in Wien, er musste in einem Lebensmittelladen arbeiten, der gleichzeitig eine kleine Backstube betrieb. Weil er die Arbeit quasi nur zum Schlafen verlassen konnte, konnte er den obligatorischen Deutschkurs nicht abschließen, worauf sein Visum nicht verlängert wurde. Verbittert sagt er: "Ich wurde Bruder genannt, aber wie ein Hund behandelt. Ich durfte nicht einmal zum Gebet gehen, während die Chefs das sehr wohl taten".

Einwanderer aus der Türkei, die in Österreich bereits niedergelassen sind, könne man nicht derart hinters Licht führen. Sie würden ihre Rechte kennen, kommentiert das der Lebensmittelhändler aus Niederösterreich. Aber mit frisch nach Österreich eingeheirateten Frauen und Studenten aus der Türkei sei das schon anders.

"Mit dem Geld, das ich jemand ordentlich Beschäftigtem zahle, kann ein anderer Ladeninhaber drei oder vier Leute einstellen, wenn er ihnen den Lohn wöchentlich bar auf die Hand zahlt", resümiert er desillusioniert.(Rusen Timur Aksak, DER STANDARD, 11.10.2013)

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