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Vom Wiener Fußballplatz in den syrischen Jihad

Ein gebürtiger Österreicher ist aufgebrochen, um im syrischen Bürgerkrieg in den Jihad gegen Assad zu ziehen, und gestorben. Seinem Beispiel folgen immer mehr junge Männer

"Er hat sich nicht einmal bei seiner Mutter verabschiedet, daher kam es für uns so überraschend", erzählt Fatih über seinen Cousin Gökhan C. Der 24-jährige gebürtige Wiener mit türkisch-kurdischen Wurzeln wird nicht wiederkehren. Gökhan ist in den bewaffneten Jihad gegen das Assad-Regime gezogen und musste laut Recherchen des STANDARD dafür mit seinem Leben bezahlen. Unter seinen Kampfgefährten als „Abu Musab" bekannt, starb er Ende 2013 an der Seite islamistischer Rebellen in Aleppo. In einem unscheinbaren Grab außerhalb der umkämpften Metropole im Norden Syriens ist er begraben.

Gökhan C. gehört zu einer rapide wachsenden Zahl an vorwiegend jungen Männern aus Österreich, die sich an den Kampfhandlungen im syrischen Bürgerkrieg beteiligen. Im September vergangenen Jahres schätzten die Beamten des Innenministeriums die Zahl der aus Österreich nach Syrien gereisten Islamisten noch auf 50 bis 60. Mittlerweile will man im Innenministerium selbst die Zahl 80 nicht mehr dementieren, der Gutteil davon seien keine österreichischen Staatsbürger. Zwar sei eine genaue Bezifferung aufgrund der diffusen Informationslage schwierig, aber es ist ein starker Anstieg von Rekrutierungsversuchen festzustellen. Neben dem 24-jährigen Wiener sollen bisher rund zehn Kämpfer aus Österreich ums Leben gekommen sein, schätzt der Verfassungsschutz.

Gökhan C. war nicht immer strenggläubiger Muslim: Alkohol und Frauen war er nicht abgeneigt, erinnerte sich sein ehemaliger Trainer an die erste Begegnung mit ihm vor zwei Jahren. Der Wiener entdeckte den damals 22-Jährigen beim Fußballspielen im Park für seine Amateur-Mannschaft. Funktionäre und Spielkameraden Gökhans bescheinigten ihm großes Talent. Abseits des Fußballfeldes sah es für den Meidlinger allerdings trist aus. Der Vater hatte die Familie verlassen, als Gökhan noch im Kleinkindalter war, und heiratete in Dänemark erneut. Seine beiden Kinder - Gökhan und seine Schwester - blieben in Wien bei der Mutter. Die Polytechnische Schule hat er besucht, aber nicht abgeschlossen. Gökhan war arbeitslos und ohne Ausbildungsplatz, als er sich Ende 2012 einer Moscheegemeinde im zweiten Wiener Gemeindebezirk anschloss.

Radikaler Prediger

Der bärtige Prediger in der kleinen Kellermoschee ist kein Unbekannter: Mirsad O. entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einer fixen Größe in der heimischen Salafisten-Szene. Das erste Mal aufgefallen ist der im Sandschak geborene Prediger dem heimischen Verfassungsschutz, nachdem der wegen Terrorismus verurteilte Wiener Propagandist Mohammed M. in der selben Alsergrunder Moschee auftrat. Dem Moscheebetreiber wurde es bald zu viel und warf den Islamisten raus.

O. fand in kurzer Zeit Ersatz und fand Unterschlupf in einer kleinen bosnischen Moschee in der Nähe des Praters. Im Kellergeschoss eines Gründerzeithauses lauschen seitdem jeden Freitag Dutzende Jugendliche seinen Ansprachen. Auch Gökhan gehörte zu seinen Anhängern.

Freund-Feind-Schema

Unter seiner Ägide beten gebürtige Bosnier, Türken, Kurden und Österreicher Seite an Seite - Nationalität spielt keine Rolle.Vielen von ihnen geht es wie Gökhan C.: Sie haben das Gefühl, nicht dazu zu gehören, berufliche Perspektiven fehlen oft, Diskriminierungserfahrungen und das Gefühl der Ungerechtigkeit führen dazu, dass neue Perspektiven gesucht werden. Genau dort setzt Mirsad O. an: Er teilt die Welt nicht nur in Gläubige und Ungläubige, sondern auch in gute und schlechte Muslime ein. Das Freund-Feind-Schema wird durch den Krieg in Syrien weiter verstärkt.

Der Wandel vom lebensfrohen Jugendlichen zum Radikalen erfolgt oft rasant. Auch bei Gökhan C. „ist es ganz schnell gegangen", erinnert sich sein Fußballtrainer. „Anfang 2013 ist er plötzlich drei Wochen nicht zum Training erschienen und danach mit Vollbart wieder aufgetaucht." Die Veränderung war nicht nur äußerlich: Panikattacken, von denen Trainer und Spieler berichten, hörten plötzlich auf. Nach einem Türkei-Urlaub ist er im August noch einmal zurückgekehrt, über seine Pläne verriet er jedoch nichts. „Er meinte, er würde für zwei Wochen in der Moschee, die er seit einem Jahr ständig besucht hat, bleiben", erzählt sein Cousin. Doch tatsächlich war Gökhan längst nach Syrien aufgebrochen.

Die Reiserouten der Jihadisten sind bekannt. Die meisten fliegen zunächst in die Türkei oder in den Libanon und werden dann von Kontaktleuten über die Grenze gebracht. Auch Gökhan nahm diese Route. Im August reiste er über die Südtürkei ins Kriegsgebiet, im November telefonierte er ein letztes Mal mit Verwandten. Seine Spur verliert sich im Norden Syriens, bis sich Ende Dezember eine Wiener Bekannte nach Aleppo aufmacht. Nach ihrer Rückkehr nach Österreich verrät sie Freundinnen: „Ich war Gökhans Grab besuchen." Für welche der zahlreichen Rebellengruppen er in Syrien gekämpft hat, ist unklar. Vieles deutet darauf hin, dass er für die radikal-islamische Jabhat an-Nusra gekämpft hat.

Rückkehrer als Risiko

Allein ist Gökhan nicht gereist, berichten Bekannte. Einer seiner Mitkämpfer soll inzwischen wieder zurückgekehrt sein. Auch das kein Einzelfall: Die Beamten des Verfassungsschutzes ermitteln derzeit gegen rund zehn Personen, die in Syrien gekämpft haben sollen und nun wieder in Österreich sind. Die Rückkehrer sind für die heimischen Behörden ein schwer kalkulierbares Risiko, von einer unmittelbaren Anschlagsgefahr gehen sie dennoch nicht aus. Vielmehr fürchtet man die Vorbildwirkung auf andere, sie erlangen Heldenstatus und die ersehnte Anerkennung. Durch ihre Kontakte im Kriegsgebiet werden sie oft selbst zu Brückenköpfen zwischen hiesigen und syrischen Islamisten und locken neue Kämpfer in den Bürgerkrieg. (Rusen Timur Aksak, Stefan Binder, derStandard.at, 7.2.2014)

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