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Erdogan auf Wahlkampftour in Berlin

Der türkische Premier war auf Staatbesuch in Deutschland. Vordergründig ging es um den EU-Beitritt, tatsächlich warb er um Stimmen der Türkeistämmigen. Auch in Österreich sind türkische Parteien aktiv

Als "Großer Meister" wurde der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan auf den Plakaten der Union türkisch-europäischer Demokraten (UETD) empfangen, die die Veranstaltung organisiert hatte. Im Berliner Tempodrom sprach Erdogan am Dienstag vor knapp 3.000 türkeistämmigen Menschen sehr viel über die bevorstehende Wahl in der Türkei und nur sehr wenig über den EU-Beitritt oder die gegenwärtige Krise, ausgelöst durch die Korruptionsermittlungen gegen seine Regierung.

Türkische Staatsbürger in Deutschland und anderen europäischen Staaten mit türkischen Diasporagemeinden bilden eine potenziell große und kaum erschlossene Wählergruppe für Wahlen in der Türkei. Das "Wall Street Journal" beruft sich auf offizielle Schätzungen des türkischen Sozialministeriums und gibt die Zahl türkischer Staatsbürger in Deutschland mit mehr als 1,5 Millionen an, auch in Österreich gibt es demzufolge knapp 110.000 Wahlberechtigte. Das weiß Erdogan, und daher findet der türkische Wahlkampf auch in Berlin und Wien statt.

AKP hat in Europa vorgesorgt

Bereits im Jahr 2004 gründete sich die heutige Europazentrale der UETD in Köln, seither wurden immer mehr Ortsverbände in europäischen Ländern gegründet. Die UETD versteht sich als zivilgesellschaftlicher Akteur, der allerdings eine klare parteipolitische Ausrichtung hat. Sie organisierte im vergangenen Sommer auch eine Pro-AKP-Demonstration in Düsseldorf, die Wiener Niederlassung ist diesbezüglich ebenfalls sehr aktiv. So war der aktuelle Obmann der UETD, Abdurrahman Karayazili, unter den Organisatoren der großen Pro-Erdogan-Demonstration in Wien Ende Juni 2013.

Für die Ambitionen von Erdogans Regierungspartei AKP in den Diasporagemeinden spielen die UETD-Niederlassungen eine Art Scharnierfunktion. So gibt es in der Türkei ein Staatssekretariat für Diaspora und Auslandstürken, das sich im Jahr 2010 bildete und sich den ehemaligen Obmann der UETD Wien, Gürsel Dönmez, als stellvertretenden Chef holte. Diese Institution wiederum hatte am 1. und 2. Februar Vertreter "türkischer" Vereine in Österreich zu einem Fortbildungsseminar nach Wien geladen. Unter den Geladenen waren auch Funktionäre der islamischen Verbände ATIB und Islamische Föderation.

Nicht nur AKP aktiv

Der durch die Korruptionsermittlungen unter Druck geratene Erdogan spekuliert auf die Stimmen der Auslandstürken, die bei der Präsidentschaftswahl im August ausschlaggebend sein könnten. Seine Umfragewerte haben zuletzt gelitten. Doch die AKP ist nicht die einzige Partei, die es auf die Stimmen der Auslandstürken abgesehen hat.

Die Türkische Föderation Österreich (ATF) - sie wird in Österreich als Islam-Verband geführt - steht etwa der rechtsnationalistischen MHP nahe. Und insbesondere die größte türkische Oppositionspartei, die kemalistische CHP, ist seit dem Sommer 2013 als CHP Österreich aktiv. Kurz vor Neujahr organisierte die CHP Österreich eine Veranstaltung in Tirol zusammen mit türkischen CHP-Abgeordneten, aber auch Funktionären der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter. (Rusen Timur Aksak, daStandard.at, 5.2.2014)

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