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Deutsche Islamverbände entziehen Theologen das Vertrauen

Viel Kritik musste der liberale Islam-Theologe Mouhanad Khorchide von den Islamverbänden einstecken. Der Streit um Deutungshoheit geht weiter

Siebzig Seiten stark ist das Gutachten, das der so genannte Koordinationsrat der Muslime (KRM), in Auftrag gegeben hatte, nach dem die beiden populärwissenschaftlichen Bücher des Münsteraner Islam-Theologen Khorchide erschienen sind. Die "Theologie der Barmherzigkeit", die der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) an der Uni Münster Khorchide, vertritt, wurde von den Islamverbänden von Anfang an kritisiert.

Bereits am Vortag hatte der größte, deutsche Islamverband, die staatlich-türkische DITIB die Veröffentlichung des Gutachtens durch den KRM vorweggenommen. Unter Zugzwang veröffentlichte nun der KRM besagtes Gutachten und eine knappe Stellungnahme, die die deutsche Politik wie auch Universitätsleitung vor neue Probleme stellen dürfte: "Eine weitere konstruktive Zusammenarbeit mit ihm (Khorchide, Anm.) ist für den KRM daher nicht möglich."

Schicksal des Vorgängers

In der augenblicklichen Situation werden Erinnerungen an den Vorgänger Khorchides wach. Sven Kalisch, ein deutscher Konvertit, war der Vorgänger Khorchides und hatte für Aufsehen gesorgt, als er die historische Existenz des islamischen Religionsgründers Mohammed öffentlich angezweifelt hatte. Nach lang andauernder öffentlicher Debatte entfernte die Universität Münster Kalisch von der Institutsleitung. Dennoch lehrt er weiterhin an der Uni Münster, nur wurde sein Lehrstuhl umbenannt in "Geistesgeschichte im Vorderen Orient in nachantiker Zeit".

Damals gab es noch keinen KRM und keinen wissenschaftlichen Beirat. Dennoch könnte Khorchide ein ähnliches Schicksal ereilen, so dass er die Institutsleitung abgeben muss, aber weiterhin im Fachbereich Islamwissenschaft lehren darf. Die endgültige Entscheidung der Universitätsleitung wird nicht vor Neujahr erwartet.

Islamverbände wollen Religionsgemeinschaften werden

Die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün hatte am 15. Dezember noch einen Debattenbeitrag in "Deutsch-Türkische-Nachrichten" geschrieben, in dem sie Khorchide in Schutz nahm und die Islamverbände kritisierte: "Khorchide war und ist ihnen seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge, und sie werden ihn ad acta legen - oder zu seinem bereits abgesägten Vorgänger im Amt, Sven (Mohammed) Kalisch."

Akgün spricht dabei einen weiteren wichtigen Punkt in der Debatte an. Und zwar wollen die vier großen Islamverbände, die im KRM zusammengefasst sind (DITIB, VIKZ, Islamrat und Zentralrat), von der deutschen Politik als Religionsgemeinschaften anerkannt werden, da sie dadurch automatisch als Ansprechpartner im Zuge von Religionsunterricht und Ausbildung von Religionslehrern anerkannt werden würden. Doch Akgün schreibt dazu: "Die islamischen Verbände sind bislang keine Religionsgemeinschaften, auch wenn sie sich hundert Mal so bezeichnen."

Wie der heutige Schritt vom KRM von der deutschen Politik aufgenommen werden wird, wird sich noch zeigen. Derweil sind die Verbände bemüht auf ihrem Weg zur Anerkennung als Religionsgemeinschaften die Causa Khorchide nicht zum Hindernis werden zu lassen: "Ungeachtet der notwendigen personellen und thematischen Neuausrichtung des Instituts in Münster ist es dringend geboten, (...) flächendeckende Versorgung ausgebildeter Islamtheologen und Religionslehrer zu gewährleisten." (Rusen Timur Aksak, 17.12.2013, daStandard.at)

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