4 Abos und 4 Abonnenten
Artikel

Islamverbände gegen liberalen Theologen

Der Islam-Theologe Mouhanad Khorchide steht nach zwei Buchveröffentlichungen unter heftiger Kritik der großen Islamverbände

"Jeder fünfte Islam-Lehrer lehnt die Demokratie ab", so oder so ähnlich titelten 2009 österreichische Medien, als die Studie des damals in Wien lebenden Imams Khorchide veröffentlicht wurde. Khorchide arbeitete an der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) der Islamischen Glaubensgemeinschaft, als seine Dissertation hohe Wellen schlug und ihm letztendlich heftige Kritik von Seiten offizieller muslimischer Stellen eingebrachte.

Er verließ Wien in Richtung Münster, um dort am Aufbau des Zentrums für Islamischen Theologie (ZIT) mitzuwirken. Kurz aufeinander folgend veröffentlichte Khorchide zwei Bücher mit theologischem Anspruch, die ihm wie dazumal in Wien viel Aufmerksamkeit beschert haben - positive wie negative. "Scharia - der missverstandene Gott" und "Islam ist Barmherzigkeit" brachten ihm bittere Vorwürfe ein, insbesondere aus dem Eck konservativer deutscher Muslime und entsprechender Islamverbände - darunter das Pendant zur österreichischen ATIB die DITIB. Er wurde im Februar sogar öffentlich zur Reue aufgerufen. Diese Forderung stellt im islamischen Kulturkreis ein pikantes Phänomen dar, da man für gewöhnlich "Häretiker" und vom Glauben Abgefallene öffentlich zur Reue aufruft.

Khorchide übernahm in Müster ein schweres Erbe. Sein Vorgänger als Leiter des Zentrums für Islamische Theologie war ein gewisser Sven Kalisch, ein deutscher Konvertit, der nach eigenen Angaben den Islam wieder verlassen hat. Kalisch hatte 2008 behauptet, dass der Religionsgründer des Islam, Mohammed womöglich gar nicht existiert hätte. Daraufhin wurde Kalisch abberufen und Khorchide berufen, doch die Islamverbände waren bereits alarmiert.

Aus der bizarren Ecke: Selbst der berüchtigte Salafistenprediger und Ex-Boxer Pierre Vogel hat sich in die Debatte eingeschaltet. Machtkampf: Islamische Theologie

Khorchide hatte mit seiner Wiener Dissertation im Jahr 2009 den Fokus auf ein Problem gelenkt, das immer wieder thematisiert wird: Wer sind die Imame in Deutschland und Österreich, die oftmals aus der Türkei "importiert" werden und wie stehen sie zu Demokratie, Säkularität und Integration? Schnell wurden Pläne an deutschen und österreichischen Universitäten entworfen Islam-Lehrer wie auch Imame auszubilden. Während diese Institute aber noch in den Kinderschuhen stecken, ist ein Kampf um die Deutungshoheit entbrannt: Zwischen den großen Islamverbänden, dem Staat und unabhängigen Professoren für islamische Theologie und Religionspädagogik.

Exemplarisch dafür steht die Debatte rund um das ZIT in Münster und Khorchide. Da die Islamverbände nicht ausgeschlossen werden können, wurde in Münster ein "Beirat" eingerichtet, der sich auch aus den Reihen der Islamverbände füllen hätte sollen. Doch der Beirat konnte nicht handlungsfähig werden, weil einzelne Nominierte aufgrund der Nähe zur Milli Görüs Bewegung keinen Posten im Beirat übernehmen durften. Da die Milli Görüs Bewegung im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, war hier sozusagen der deutsche Staat aktiv geworden. Doch in weiterer Folge ist der Islamrat in Deutschland, der wiederum der Milli Görüs nahe steht, einer der heftigsten Kritiker des Professors Khorchide.

Der verbandsunabhängige Buchautor Eren Güvercin kritisiert alle Akteure in diesem Szenario: "Zurzeit sind zwei politische Apparate - auf der einen Seite der Staat und auf der anderen Seite der organisierte Islam mit seinen Verbänden - dabei, die Etablierung der Islamischen Theologie und des Islamischen Religionsunterrichts für ihre Zwecke zu instrumentalisieren". Aus Protest gegen "Mobbing" von Seiten der Uni-Leitung, da Güvercin die Auseinandersetzungen rund um Khorchide öffentlich gemacht hatte, ist er kürzlich vom Beirat zurückgetreten.

Auch in Wien gärt es

Auch bei uns in Österreich kann man einen ähnlichen Zwist beobachten: Der Leiter der islamischen Religionspädagogik in Wien ist der türkeistämmige Ednan Aslan. Auch er ist nicht unumstritten. Spätestens mit dem letztjährigen Projekt "Islam-Landkarte" sorgte der Religionspädagoge für Aufregung. Größter Kritiker dieses Projekts ist die Islamische Föderation Wien (IFW), die wiederum der Milli Görüs zuzuordnen ist. In einer Aussendung unterstellte der Sprecher der IFW Yakup Gecgel dem "studierten Religionspädagogen" diffamierende Aussagen über die IFW gemacht zu haben. Spätestens mit der "Islam-Landkarte" herrscht zwischen Aslan und der IFW Eiszeit. (Rusen Timur Aksak, 21.11.2013, daStandard.at)

Zum Original