Die Tage werden wärmer. Wir haben schließlich Mai, und wir haben Erderwärmung. Ob im Dorf in der Pfalz, in Leipzig oder in Kurdistan. Überall dasselbe, die Rebstöcke müssen bewässert werden, die Bäume trocknen aus. Die Parks sind schon im Juni ausgedörrt, und die Brunnen muss man jedes Jahr tiefer bohren. In Neustadt an der Weinstraße wie in Duhok organisieren sich die Klima-Kids von Fridays for Future, malen Plakate und protestieren. So ist das, wenn man auf demselben Planeten lebt. Da gibt es keinen Ort, der von der Klimakrise ausgenommen ist. Wenn man auch nicht überall auf gleiche Weise von ihr betroffen ist. Vereinfacht gesagt: Den einen steigt das Wasser bis zum Dach, die anderen haben gar keins mehr. Und auch nicht alle haben dieselben Ressourcen, die einen können ein schwimmendes Haus bauen, die anderen haben nicht mal eine Bohrmaschine, um einen Brunnen zu errichten.
Die Erderwärmung ist beileibe nicht das einzige Problem. In Kurdistan hat man an den beliebten Picknick-Spots Schilder aufgestellt: Haltet Kurdistan sauber. Picknick, das muss man wissen, ist in Kurdistan Volkssport. Kaum ist Newroz, Frühlingsbeginn, ziehen alle hinaus ins Grüne. Es wird gepicknickt, was das Zeug hält. Ganze Horden von Familien fahren in die Natur oder Stadtparks, mit Plastikstühlen, Tischen, Teppichen, mit Teekannen, Obstschalen, Kühltonnen voll Fleisch und Tüten voll Brot. Selbst als die Front zum IS nur eine Autostunde entfernt war, sind die Leute noch picknicken gegangen. Es ist überall derselbe Jammer: Die Leute fahren ins Grüne und müllen alles zu.
Figuren formen aus LehmDer Mittlere Osten ist hinlänglich bekannt für einen riesigen Haufen von Problemen (Krieg, Korruption, Terror, Diktatur). Das Umweltproblem ist nur eines davon, hängt aber mit diesen zusammen. Es wird gar Krieg geführt mit Feuer und Wasser. Wenn die Türkei zum Beispiel Staudämme baut und den Kurden in Syrien und Irak das Wasser entzieht. Oder der sogenannte IS ganze Felder anzündet, die türkische und iranische Armee Wälder niederbrennt. Saddam Hussein ließ schon in den Neunzigerjahren die Mesopotamischen Sümpfe austrocknen, um den Schiiten die Lebensgrundlage zu entziehen. Nachdem er endlich weg war, hat man die Dämme wieder abgerissen und die Sümpfe konnten sich erholen, nur um gleich wieder bedroht zu werden - diesmal durch den Ilisu-Staudamm in der Türkei.
Doch damit nicht genug. Nicht detonierte Bomben, Kriegsmunition, Schwermetalle vergiften Böden und Grundwasser. In Nordostsyrien verpesten außerdem provisorische Ölraffinerien Luft und Erde. Dabei galt der kurdische Norden einst als Kornkammer, sechzig Prozent des syrischen Getreides wurden hier angebaut. Die Böden waren fruchtbar. Wasser gab es reichlich. Meine Großeltern, meine Tanten und Onkel waren Teil dieser Getreideproduktion. Und nicht nur Getreide: Sie bestellten Felder, ernteten Wassermelonen, pflückten Baumwolle. Sie hatten außerdem einen Garten, der kaum etwas mit dem zu tun hat, was man hierzulande unter einem Garten versteht. Dort gab es alles: Oliven, Feigen, Zitronen, Tabak. Sie waren Selbstversorger, aber das war eine völlig ideologiefreie Sache. Sie steckten viel Liebe in den Garten, vor allem aber Mühe: Man pflanzt, weil man essen muss.
Vor einer Weile war ich bei einer Veranstaltung, da saßen kurdisch-deutsche Politiker. Und einer stellte sich stolz vor und sagte: Mein Name ist Kassem, ich bin in den Neunzigern in einem Passivhaus in Zakho aufgewachsen, einem Lehmhaus.
Mittlerweile sind die meisten Lehmhäuser aus Zakho verschwunden und Betonbauten gewichen. Im Dorf meiner Großmutter gibt es sie noch. Der Lehm ist der Beton der Armen. Lehm ist kostenlos. Er liegt überall herum. Man muss trotzdem wissen, wie man mit ihm umgeht, wie viel Strohhäcksel, wie viel Ton, Wasser und Schluff man mischen muss, damit er weder Risse bekommt noch bröckelt. Meine Großeltern haben im Lehm gelebt, mein Vater ist im Lehm aufgewachsen. Ich habe als Kind in den Sommerferien mit dem Lehm gespielt, Figuren geformt und geknetet. Wenn ich von Lehmhäusern in Deutschland erzählte, klang das immer nach Misereor, Brot für die Welt und SOS Kinderdorf. Dabei war der Lehm hervorragend. Im Winter hielt er warm, im Sommer kühlte er. Wenn wieder mal der Strom ausgefallen war, was täglich passierte, und die Ventilatoren und Klimaanlagen ausgingen, schützte der Lehm noch lange vor der Hitze, während es in den Betonhäusern schon längst nicht mehr auszuhalten war.
Lehm ist weich und hat diese besondere warme Farbe. Er ist hundert Prozent biologisch abbaubar. Schon die Mesopotamier haben mit Lehm gebaut, und in Mitteleuropa waren die Fachwerkmauern aus Lehm. Vor Kurzem habe ich ein Interview mit der Architektin Anna Heringer gelesen, die sich auf Lehm spezialisiert hat. Sie baut nun auch in Deutschland mit Lehm, wurde damit lange nicht richtig ernst genommen, mittlerweile aber sieht man sie als Pionierin. Die Pionierin einer Bauform, die es schon seit Tausenden von Jahren gibt