Es ist wieder Pride Month. Zeit also für viele Unternehmen für etwas RainbowWashing. Die Logos von BMW, VW, Lenovo und Ko leuchten in Regenbogenfarben - aber natürlich nur in Ländern wie Deutschland, den USA oder der Schweiz. Ein bisschen Sekt, etwas Glitzer und Sichtbarkeit, also Queer, ohne dass es wehtut: Unternehmen wollen Geld verdienen. In Deutschland wäre dieses Pride-Marketing noch vor 30 Jahren undenkbar gewesen: Homosexualität stand bis 1969 in der Bundesrepublik unter Strafe, komplett gestrichen wurde der §175 erst 1994.
LGBT-Menschen hat es schon immer und überall gegeben. Davon erzählen beispielsweise alte arabische homoerotische Liebesgedichte oder die Lyrik der griechischen Dichterin Sappho. Homosexualität ist ein globales, zeitloses Phänomen. Gleiches gilt leider auch für die Homofeindlichkeit. Angesichts der vielen No-go-Areas für Homos kommt einem das Gruseln: In 69 Staaten der Welt steht Homosexualität unter Strafe, in Iran, im Jemen und in Saudi-Arabien sogar unter Todesstrafe. Man bestraft mit Peitschenhieben, Hängen an Baukränen, Steinigung. Und selbst wenn Homosexualität legal ist, bedeutet das nicht unbedingt gesellschaftliche Akzeptanz. Homofeindlichkeit gibt es in allen antimoderneren Ideologien: Nazis sind homofeindlich ebenso Graue Wölfe, evangelikale Christen, Islamisten.
Denken wir nur daran, wie der IS Homosexuelle von Dächern stürzte. Oder an den islamistischen Anschlag auf den vor allem von LGBT-Personen besuchten Nachtclub Pulse in Orlando 2016. Oder an 2020 in Dresden, als ein 21-jähriger IS-Anhänger auf ein schwules Paar einstach und einen der Männer tötete. Islamisten begründen ihre Homofeindlichkeit mit Koran und Hadithen. Sie fantasieren Homosexualität als westliche Erfindung und empfehlen Konversionstherapie oder gleich die Tötung. Der schiitische Geistliche und Milizenführer Muqtada Sadr aus dem Irak meinte sogar, Homos wären schuld an Corona. Ebenso Ali Erbas, der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Homosexualität sei unislamisch, haram. Erdogan stellte sich natürlich hinter Erbas, der wegen Hetze angezeigt wurde, und reagierte mit einer Gegenanzeige wegen „Verletzung religiöser Gefühle". Zu Diyanet gehören auch die Ditib-Moscheen in Deutschland. Das heißt: Was Ali Erbas für die Diyanet vom Stapel lässt, gilt auch für sie. Die Diyanet finanziert die Ditib, schickt Imame und soll sich jetzt sogar in Rheinland-Pfalz am Religionsunterricht an Schulen beteiligen.
Homohass ist bei der Ditib kein Einzelfall. Bis vor kurzem gab es noch in deren Onlineshop die Bücher des Homohassers Şimşirgil zu kaufen. Eine Veranstaltung mit ihm wurde erst auf öffentlichen Druck abgesagt. Dass auch ein anderes Islamverständnis möglich ist, zeigen LGBT-freundliche Moscheegemeinden wie jene in Paris, gegründet von dem schwulen Imam Ludovic-Mohamed Zahed, oder wie jene von Seyran Ateş in Berlin. Deutschland sollte sorgfältiger bei der Wahl seiner Dialogpartner sein. Islam und Homosexualität schließen sich nicht aus, Homofeindlichkeit und eine freiheitlich-demokratischen Grundordnung hingegen schon.
Im März hat das Auswärtige Amt angekündigt, sich in der Außen- und Entwicklungspolitik künftig stärker für die Rechte queerer Menschen einzusetzen. Konsequent wäre es, auch die Situation von LGBT-Flüchtlingen zu verbessern. In den Unterkünften sind sie oft queer-feindlichen Bedrohungen ausgesetzt. Vielerorts mangelt es an Schutz. Der Asylprozess ist oft mühsam, da die sexuelle Orientierung bewiesen werden muss. Wie soll das gehen? Fotos von sich beim Sex? Es wurde auch schon queeren Flüchtlingen Asyl verweigert. Die Begründung: Im Herkunftsland sei ja nur die Ausübung strafbar, nicht die Orientierung. Sprich: Lass dich nicht erwischen, oder verzichte auf Liebe und Sex.
Es ist immer auch die Gesellschaft, die Queerfeindlichkeit toleriert und befeuert. Auch in Deutschland sind LGBT-Personen von Zwangsheirat, Gewalt im Namen der Ehre und Ausgrenzung bedroht. Es kann Yusuf treffen aus Neukölln, Maria aus einem erzkatholischen Dorf in Oberbayern oder Ciwan aus einer êzîdischen Familie in Bremen. LGBT-Personen sind auf die Mehrheitsgesellschaft angewiesen, und die muss mehr tun, als nur Regenbogenflaggen aufzuhängen. LGBT-Rechte s-ind keine Partikularinteressen einer skurrilen Minderheit, sondern universale Menschenrechte. Ein Wandel aber ist möglich, in Deutschland wie im Nahen Osten. Vor drei Jahren gehörte ich der Jury des Filmfestivals in Duhok in der Autonomen Region Kurdistan an. Medien, Kultur und Parteifunktionäre waren geladen. Der Saal war voll. Im Eröffnungsfilm sagte einer der Protagonisten „Ich bin schwul. Warum denkst du, bin ich vor zehn Jahren aus Kurdistan abgehauen?" Homosexualität ist auch in der kurdischen Gesellschaft ein Tabu. Nachdem dieser Satz gefallen war, gab es einen Moment der Stille, aber dann fing das Publikum an zu klatschen. Es wird sich etwas ändern, weil es muss. Damit happy pride!