Robert Harsieber

freier Journalist, Autor, Philosoph, Verleger, Wien

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Artikel

Warum es Gott nicht gibt

Wenn sich gläubige Fundamentalisten und Neoatheisten über die Frage streiten, ob es Gott gibt, dann diskutieren sie nicht über Religion. Die Frage, ob es Gott gibt, hat mit Religion nichts zu tun.

„Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott!" So ähnlich plakatierte es Richard Dawkins. Wobei man aufgrund dieser Äußerung nicht annehmen würde, dass er Wissenschaftler ist. Ein Wissenschaftler muss unter anderem differenzieren können. Religion zählt zu den vielfältigsten Erscheinungen des Planeten. Da von DER Religion zu sprechen, ist bestenfalls unwissenschaftlich.


Es gibt den Monotheismus, da ist Gott das Ganze und noch mehr. Es gibt den Polytheismus, da geht es (auch) um das (eine) Absolute und dessen Erscheinungen und Eigenschaften. Es gibt die griechisch-römische Götterwelt, eine erstaunlich moderne mythologische Psychologie. Es gibt den Schamanismus, da geht es um inner- und außerpsychische Kräfte. Und jede Religion beherbergt das ganze Spektrum vom Primitiven über das Intellektuelle bis zum Mystischen. Damit ist die Frage, ob es Gott gibt, eine Scheinfrage, weil nicht präzisiert wird, was damit gemeint ist.


Außer man stellt sich auf den Standpunkt des Naturalismus und behauptet, dass es außerhalb dessen, was Naturwissenschaft erforscht, nichts gibt. Das wäre aber eine an Dummheit grenzende Aussage. Denn wie immer man Naturwissenschaft definiert, als Methode, das für alle Menschen in gleicher Weise Gültige zu beschreiben, als Untersuchung vom Materie in Raum und Zeit, als Beschreibung der Welt (in der der Mensch nicht vorkommt), immer geht es um einen Bereich, der begrenzt wird, um ihn genau untersuchen zu können. Es ist damit in der Definition von Naturwissenschaft bereits enthalten, dass es sehr wohl etwas außerhalb gibt: Geschichte, Literatur, Kunst,Politik, Staaten, Träume, Gedanken, oder kurz: den Menschen.


Fetischismus und Religion

Markus Gabriel unterscheidet zwei Formen der Religion: Die erste Form wäre der Fetischismus, die Vorstellung, dass „Etwas" hinter allem steht. Fetischismus ist die Projektion von übernatürlichen Kräften auf einen Gegenstand, den man selbst gemacht hat, um die eigene Identität in ein rationales Ganzes zu integrieren. Das gilt für manche Religionen genauso wie für die Wissenschaft. Ob man dieses Ganze „Gott" oder „big bang" nennt, ist nebensächlich. Daher ist für Gabriel das wissenschaftliche Weltbild nur eine Religion unter anderen.


Es gibt aber noch eine andere Form von Religion, von der Friedrich Schleiermacher spricht: Darin geht es um das Unendliche und das Verhältnis des Menschen zu diesem. Während es in der Naturwissenschaft um die Welt geht (unter Ausschluss des Menschen), geht es in der Religion um den Menschen und sein Verhältnis zu einem nicht verfügbaren und unfassbaren Unendlichen. Gott ist eine Chiffre für das Ganze. Das Ganze ist alles, was es gibt, nur das Ganze selbst kann im Ganzen nicht vorkommen, sonst wäre es nicht das Ganze. In dem Sinne, wie es alles gibt, gibt es das Ganze daher nicht (Markus Gabriel: „Warum es die Welt nicht gibt" *).


Genau das sagt aber bereits die negative Theologie, z.B. Meister Eckehart, wenn er vom Nichts spricht. Oder das Nirvana des Buddhismus, das kein logisches Nichts, sondern ein Nicht-Etwas ist. Oder Dietrich Bonhoeffer: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht." Die Religionen selbst sind also mitunter weit vernünftiger als ihre eindimensionalen Kritiker. Auch heißt es: Du sollst dir kein Bild machen! Eine Abkehr vom Fetischismus. Gott ist nur die Idee, dass das Ganze sinnvoll ist, auch wenn es unsere Fassungskraft übersteigt. Im Verhältnis zum Unendlichen gibt es nach Schleiermacher auch nicht eine einzige wahre Religion, sondern unendlich viele Zugänge. Und genauso antwortete Joseph Ratzinger auf die Frage, wie viele Wege zu Gott es gäbe? Seine Antwort: „So viele wie es Menschen gibt."


Religionskritik

Religionskritiker haben ja völlig recht: Das was sie attackieren (das religiöse Weltbild als Fetisch), hat aber wenig mit Religion im eigentlichen Sinne zu tun. Religion ist nicht der Glaube an einen Gott, an ein Etwas, sondern Religion ist eine Form der Sinnsuche, ist der Umweg über ein nicht verfügbares Ganzes zu sich selbst. Der Mensch kann sich als geistiges Wesen zu sich selbst als einem anderen verhalten. Umgekehrt verhält er sich zu anderen wie zu sich selbst. („Liebe deinen Nächsten wie dich selbst"). Daher kann er sich am Besten in Beziehungen selbst erkennen. Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Damit beginnt Religion und damit beginnt Bewusstsein.


Kierkegaard definiert „Gott" als die Tatsache, „dass alles möglich ist". Er ist die Distanz zu uns selbst, in der wir den Boden unter den Füßen verlieren und zu verstehen beginnen, dass uns alle Möglichkeiten offenstehen. Menschen können sich nicht nur zu sich selbst verhalten, sondern sich auch ändern. Der Mensch ist radikale Offenheit.


Wissenschaft und Religion kommen einander gar nicht in die Quere. In der Naturwissenschaft geht es um die Welt ohne den Menschen, in der Religion geht es um die Welt der Menschen. Wobei es interessant ist, dass es zumindest in der modernen Physik nicht (mehr) um die Natur geht, sondern um unser Sehen der Natur. Und dieses Sehen verändert das Gesehene. Auch aus der Naturwissenschaft lässt sich der Mensch nicht auf Dauer verdrängen. Aber das ist ein eigenes, spannendes Thema.


Aberglaube und Offenheit

Religion bezieht sich auf den menschlichen Geist, der nicht in sich abgeschlossen, definierbar ist, sondern auf ein Unverfügbares hin offen ist. Gott ist kein „Etwas" in der Welt, d.h. so wie es in diesem Sinne die Welt oder das Ganze nicht gibt, so gibt es auch Gott nicht (Bonhoeffer). Jede Vorstellung von Gott ist bereits Aberglauben und Fetischismus.

Religion schlichtweg als Aberglauben abzutun, ist jedenfalls kindisch. Markus Gabriel, der sich selbst nicht als gläubigen Menschen bezeichnet, kann trotzdem sagen: „Ohne die Religion wäre es niemals zur Metaphysik, ohne die Metaphysik niemals zur Wissenschaft und ohne die Wissenschaft niemals zu den Erkenntnissen gekommen, die wir heute formulieren können." Solange sich Religionskritik geschichtsvergessen in defiziente und pathologische Formen von Religion verbeißt, kann man sie jedenfalls getrost ignorieren.


* Markus Gabriel: „Warum es die Welt nicht gibt", Ullstein Verlag, 8. Aufl. 2013

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