Robert B. Fishman

Journalist, (Hörfunk-)Autor, Fotograf, Moderator, Workshop-Trainer, Bielefeld

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Artikel

Totes Land

Klima-Krieg
Noch gibt es allein wegen des Klimawandels keine neuen Kriege. Aber die Folgen der Erderwärmung verschärft Konflikte. Auch in Europa.

von Robert B. Fishman

Der Klimawandel kommt nicht. Er ist schon da. Machen wir weiter wie bisher, wird es weltweit im Durchschnitt um sechs Grad wärmer, als es vor Beginn der Industrialisierung war. Das „2 -Grad-Ziel“, auf das sich die Vertreterinnen und Vertreter der meisten Staaten in Paris geeinigt haben, klingt gut: Man wolle die Erderwärmung auf anderthalb, allerhöchstens zwei Grad verglichen mit der Zeit vor der Industrialisierung begrenzen, heißt es dort. Mehr nicht. Niemand sagt, wer das wie durchsetzen soll.

1988 warnten 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Toronto vor einem Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur: „Schlimmer wäre nur noch ein Atomkrieg“. In einer Reportage beschreibt der US-amerikanische Autor Nathaniel Rich 1996 in der New York Times, wie die US-Präsidenten Reagan und Bush unter Druck der Ölindustrie in den 80er Jahren eine Umstellung der US-Wirtschaft auf weniger Energieverbrauch und mehr Nachhaltigkeit verhindert hätten. Forscherinnen und Forscher der NASA hätten schon Ende der 70er Jahre „sehr genau verstanden, dass die Verbrennung fossiler Energieträger die Erde in eine neue Heißzeit bringt.“ Nun hat sie begonnen.

Der Klimawandel als Konflikttreiber

Heißer werden damit auch die weltweiten Konflikte. Denn der Klimawandel bedroht vielerorts die Lebensgrundlagen der Bevölkerung und verschärft den Kampf um knappe Ressourcen. Heute speisen die Gletscher im Himalaya und in den Anden noch die großen Flüsse in Indien, Südchina und Südostasien. Seit 1980 ist schon ein Drittel der Gletscher weggetaut. Versiegen diese lebenswichtigen Wasserquellen, sitzt in Südamerika und Südostasien irgendwann ein Fünftel der Menschheit auf dem Trockenen.

Schon heute leben nach Informationen von Worldwatch 1,4 Milliarden Menschen in „Gebieten mit Wasserknappheit“. Geht es weiter wie bisher, werden es 2050 fünf Milliarden sein. Allein am Wasser aus dem Himalaya hängen etwa 500 Millionen Menschenleben. Süd-Vietnam zum Beispiel lebt am und vom Wasser des Mekong. Ohne Wasser kein Reis, kein Obst, kein Gemüse.

Auch in anderen Weltregionen verknappt der Klimawandel die Ressourcen, die die Menschen zum Leben brauchen. Schon heute gelten 40 Prozent der Landflächen als „Trockengebiete“ und die Wüsten breiten sich weiter aus. Naturkatastrophen wie Dürren, Stürme und Überschwemmungen treffen vor allem diejenigen, die ohne Rücklagen mit dem auskommen müssen, was sie ihrem kargen Boden abringen. Es sind die Armen.

„Das Tor zur Hölle geöffnet“

Dem Bürgerkrieg in Syrien ging die längste Dürreperiode voraus, die das Land je erlebt hat. Einer Studie des US-Klimatologen Colin Kelley zufolge sind zwischen 2006 und 2010 etwa 1,5 Millionen Syrerinnen und Syrer in Städte gezogen – auch weil ihr vertrocknetes Land sie nicht mehr ernähren konnte. Gewaltsam ausgetragene Konflikte entstehen aus der Not, wenn weitere Faktoren die Situation verschärfen.

Das Assad-Regime strich zum Beispiel die Subventionen für Grundnahrungsmittel. Es verschrieb sich einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die die Opfer der Dürre ohne staatliche Hilfe sich selbst überließ. „Der Klimawandel hat in Syrien das Tor zur Hölle geöffnet“, schrieb der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore und Barack Obama analysierte nach Beginn des Krieges: „Dürre, Ernteausfälle und teure Lebensmittel haben geholfen, den frühen Konflikt zu befeuern.“

Symbiotischer Deal

Der Krieg in der sudanesischen Provinz Darfur gilt manchen als der erste „Klimakrieg“ der Geschichte. Die Bilanz der Kämpfe allein zwischen 2003 und 2007: 200.000 Tote und 2,5 Millionen Geflüchtete. Auch hier kamen viele Faktoren zusammen, die den Streit unter etwa 36 Stämmen und Ethnien eskalieren ließ. Nach langer Dürre ist das Wasser immer knapper geworden. Das Regime in der fernen Hauptstadt Khartum hatte die Region aufgegeben. Es unterstützte einseitig die muslimisch-arabischen Milizen im Kampf gegen die schwarzafrikanische Bevölkerung.

Wie fast überall in der Sahel-Zone lebten hier über Jahrhunderte Vieh züchtende Nomaden und sesshafte Ackerbauern einigermaßen friedlich zusammen. Der symbiotische Deal: Die Viehzüchter kommen nach der Ernte mit ihren Herden auf die Äcker der Bauern, um dort ihre Tiere zu weiden. Die Ziegen, Schafe und Rinder fressen die Überreste der Ernte von den Feldern und düngen mit ihrem Kot den Acker, den die Bauern anschließend neu bestellen. Die Hirten ziehen dann zurück nach Norden, wo sich ihre Weidegründe inzwischen erholt haben. Das funktionierte in Niger, in weiten Teilen Malis, im Tschad, im Norden Kenias und auch in Darfur, so lange sich Regen- und Trockenzeiten in einem weitgehend vorhersehbaren Rhythmus abwechselten.

Auch aufgrund der Erderwärmung lässt sich das Wetter in der Sahel-Zone inzwischen immer schwerer vorhersagen. Sturzregen unterbrechen ungewöhnlich lange Dürreperioden. So wird es immer schwieriger, die Transhumanz genannten halbjährlichen Wanderungen der Viehhalter so zu planen, dass die Herden jeweils passend nach der Ernte auf den Feldern im Süden ankommen. Sind die Felder noch nicht abgeerntet, zerstören die Tiere die Pflanzen der Bauern. Kommen sie zu spät, finden sie auf den Äckern nichts mehr zu fressen oder schon die neue Aussaat.

In Darfur hat es wie überall im nördlichen Ostafrika auch deshalb so lange nicht mehr geregnet, weil der Indische Ozean dank des Klimawandels immer wärmer wird. Nachdem im Norden und Osten der Region das Land nach langer Dürre ausgetrocknet ist, ziehen die arabischen Wanderhirten immer weiter nach Süden. Die dort lebenden Bauern können sie in so großer Zahl und Häufigkeit nicht auf ihre Felder lassen. Der karge Boden kann längst nicht mehr alle ernähren.

Krieg hat viele Ursachen

Wie in Syrien und im Sudan sind es oft viele Faktoren, die zu bewaffneten Konflikten führen. Aufgrund der komplexen Zusammenhänge sprechen die meisten Fachleute nicht von „Klimakriegen“. Steigende Temperaturen alleine lösen keine Kriege aus. Es sind die Folgen, die die Konflikte anheizen: Die Verknappung von Wasser, Land und anderen lebenswichtigen Ressourcen befeuern vorhandenen Streit.

Diese Erkenntnis ist auch in der Politik angelangt: So bezeichneten die Außenminister der G7-Staaten den Klimawandel 2015 als „eine der zentralen Sicherheitsbedrohungen des 21. Jahrhunderts“. Ein Jahr danach warnte das US-Verteidigungsministerium vor einer „Gefährdung der internationalen Sicherheitslage“ durch den Klimawandel. Sich selbst sehen die Uniformierten als „Friedensstifter“, obwohl sie den Planeten mit aufheizen. Allein das US-Militär, mit seinen Panzern, Schiffen und Flugzeugen selbst größter Ölverbraucher der Welt, trägt zum Klimawandel etwa so viel bei wie das afrikanische Nigeria mit seinen fast 200 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern.

Gesellschaften sind überfordert

Das Deutsche Klimakonsortium, ein Verband von Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, warnt, die Erderwärmung könne die Anpassungsfähigkeit vieler Gesellschaften überfordern. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen die Fachleute des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen: Sie befürchten, dass „die planetare Überhitzung ganze Gesellschaften im globalen Süden überfordern und unter der Last von Ernteausfällen, wiederkehrenden Katastrophen und dem Meeresspiegelanstieg zusammenbrechen lassen könnte.“

Ein Beispiel: In dicht besiedelten Küstenländern wie Bangladesch fliehen Millionen vor dem steigenden Meeresspiegel ins jetzt schon überbevölkerte Hinterland. Seit die meisten Mangrovenwälder an den Küsten abgeholzt wurden, treffen die immer häufigeren Sturmfluten ungebremst auf Land. Das Meer dringt immer weiter vor und versalzt das Grundwasser.

Steigende „Konfliktwahrscheinlichkeit“

Der Geograf Jürgen Scheffran forscht an der Universität Hamburg zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Konflikte. Ein weltweiter Temperaturanstieg um 4,5 Grad verfünffache das „klimabedingte Konfliktrisiko“, so Scheffran. Gemeint ist damit die Dauer, Häufigkeit und Intensität der Auseinandersetzungen, die Zahl der Opfer und die Höhe der Schäden. Kriege und andere bewaffnete Konflikte dauern länger, werden häufiger und brutaler.

„Die Menschen greifen ihre Nachbarn an, bevor sie verhungern“, hat nicht nur der Autor Gwen Dyer erkannt. Angesichts knapper werdender Ressourcen für immer mehr Menschen fehlen Mechanismen zur gewaltfreien Bearbeitung der zunehmenden Konflikte. Um die Folgen der Erderwärmung zu bewältigen, sind Maßnahmen zum Klimaschutz ebenso wichtig wie Friedensarbeit und konfliktsensible Lösungswege.

Friedensarbeit leistet wichtigen Beitrag

In der Sahel-Zone werden bereits verschiedene Ansätze der Friedensarbeit erprobt, um Konflikte um Wasser und Weidegründe zu entschärfen. Ein Projekt der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit vermittelt zwischen Wanderhirten und Bauern in Niger, Burkina Faso und Benin. Die Konfliktparteien erhalten Informationen über ihre Rechte und erarbeiten im Dialog Lösungen zur gemeinschaftlichen und sozial gerechten Nutzung der knappen Ressourcen. Absprachen im Vorfeld der Viehwanderungen über Durchzugswege und -zeiten helfen, die Zahl der Konflikte zu verringern.

Im Tschad organisiert die Bürgerrechtlerin und Klimaaktivistin Hindou Oumarou Ibrahim für die Wanderhirten des Poel-Volks mit Unterstützung der Organisation Conservation.org Workshops zu den Themen Ressourcenschonung und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. So will sie Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften mit den mündlichen Überlieferungen ihres Volkes zusammenbringen und für die Anpassung an den Klimawandel nutzbar machen.

Einen Beitrag zum Ende der Kämpfe im sudanesischen Darfur leisteten die Friedenseinsätze der Mercy Corps. Ihre zumeist einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen örtliche Gemeinschaften miteinander ins Gespräch. Gemeinsam mit den Dorfbewohnerinnen und -bewohnern bauen sie Wasser-Rückhaltebecken, Bewässerungsgräben und helfen bei der Suche nach Kompromissen zwischen Wanderhirten und örtlichen Bauern.

Wenig Hilfe für Klimaflüchtlinge

Unterdessen steigt jedoch die Zahl derjenigen, die aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlassen. Immer mehr Menschen suchen nicht nur Zuflucht vor Krieg und Gewalt, sondern fliehen auch aus Gebieten, die wegen Dürren, Stürmen, Überschwemmungen oder dem Anstieg der Meeresspiegel unbewohnbar werden. 2018 zählte das Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen mehr als 70 Millionen Geflüchtete und Vertriebene, mehr als je zuvor in der Geschichte.

Allerdings ist der rechtliche Status dieser Schutzsuchenden noch unklar: Flüchtling ist nach der Genfer Konvention von 1951 nur, wer wegen seiner „Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen (seiner/ihrer) politischen Überzeugung“ in seinem Heimatland nicht mehr sicher ist und deshalb nicht mehr zurückkehren kann. Wer vor den Folgen des Klimawandels flieht, hat bisher nirgends Anspruch auf Asyl.

Die Politik in der Pflicht

Die internationale Politik nimmt das Thema allmählich in den Blick. 27 Staaten, die sich 2011 zur „Nansen-Initiative“ zusammengeschlossen haben versprechen den Betroffenen Hilfe und Schutz. Auch Deutschland arbeitet in der Steuerungsgruppe der Initiative mit.

Rixa Schwarz, Teamleiterin „Internationale Klimapolitik“ bei der Nichtregierungsorganisation Germanwatch, verweist auf Programme einiger Pazifik-Inseln: Dort sollen junge Leute Weiterbildungen erhalten. Mit einer besseren Qualifikation steigen ihre Chancen in Australien oder Neuseeland Aufnahme zu finden, wenn ihre Heimatländer im Ozean versinken. Nachdem die USA Teile der Marshall-Inseln in den 50er Jahren durch Kernwaffentests unbewohnbar gemacht haben, nehmen sie heute zumindest Flüchtlinge der vom Untergang bedrohten Inselgruppe auf.

Das Problem ist erkannt. Geändert hat sich wenig, weder in Politik und Wirtschaft noch beim individuellen Konsumverhalten in den Industriestaaten. So lange klimaschädliches Verhalten für den und die Einzelne billiger ist als klimafreundliches, geht der Klimawandel weiter. Ändert die Politik nicht die Rahmenbedingungen, werden wir mit mehr Konflikten und Kriegen um die knapper werdenden Ressourcen leben müssen.

Quellen:
Gespräche mit Mitarbeiter/inne/n der GIZ in Westafrika

Deutschlandfunk: Die große Transformation: https://www.deutschlandfunk.de/the-great-transformation.1148.de.html?dram:article_id=180384

Humanistischer Pressedienst: Klimawandel und gewaltsame Konflikte, https://hpd.de/artikel/klimawandel-und-gewaltsame-konflikte-16925

International Panel on Climate Change IPCC, Bericht 2014 https://www.ipcc.ch/report/ar5/syr/

Entwicklungsprogramm der Vereinte Nationen UNDP, Klimabericht 2007

„Experten warnen vor Klimakollaps“, Badische Zeitung vom 2. Juli 1988

Nansen-Initiative: https://www.nanseninitiative.org/

Mercy Corps: https://www.mercycorps.org/

Friedensakademie der Uni Koblenz-Landau: https://www.uni-koblenz-landau.de/de/friedensakademie/konzept

Klimawandel als Ursache von Konflikten: https://www.tagesspiegel.de/wissen/kriegs-und-fluchtfaktoren-klimawandel-ist-eine-ursache-von-konflikten-unter-vielen/24449770.html

taz: US-Militär wird ökologisch bewusster https://taz.de/US-Militaer-wird-oekologisch-bewusster/!5031069&s=Klimakrieg/

Leben der Wanderhirten in Tschad und die Folgen des Klimawandels https://www.youtube.com/watch?v=UQLTa4sU1Ow und https://www.youtube.com/watch?v=UQLTa4sU1Ow