2003 ermordet Stefan S., heute um die 50, in einer bayerischen Kleinstadt eine junge Frau. Vorher ist er schon mehrmals in ihre Wohnung eingebrochen, um Unterwäsche zu stehlen. Die Leiche vergräbt er. Später wird er sie aus Angst vor Entdeckung wieder ausbuddeln und woanders vergraben.
Stefan S. und seiner Geschichte widmen sich nun die Filmemacher Stefan Kolbe und Chris Wright in ihrem Dokumentarfilm Anmaßung. Sie betonen aber gleich zu Beginn, dass es kein Film über einen Mörder sei, "sondern darüber, wie wir uns ein Bild von ihm machen". Obwohl sie Stefan S. vier Jahre lang begleitet hätten, sei er für sie weiterhin "schwer lesbar", sagen sie an anderer Stelle.
2015 beginnen die beiden Dokumentarfilmmacher, sich mit sogenannter Täterarbeit zu beschäftigen. Sie recherchieren zu Therapien für Gewalt- und Sexualstraftäter, die das Ziel haben, dass die Männer im Fall einer späteren Entlassung nicht wieder straffällig werden. Während einer solchen Therapiesitzung der Sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Brandenburg, zu der sie Zugang bekommen, begegnen sie Stefan S. Das Thema der Sitzung: "Männlichkeit und Identität".
Als klassischer Protagonist kommt S. aber nicht infrage: Er will nicht, dass man ihn erkennt, außerdem spricht er manchmal undeutlich. Die Regisseure entwickeln daraufhin die Idee, S. durch eine Puppe darzustellen, die von zwei Puppenspielerinnen geführt wird. Das mag auf den ersten Blick wie ein spleeniger Einfall klingen, aber relativ schnell wird deutlich, dass die Notlösung Vorteile hat: Die kindgroße Puppe mit dem hässlichen Gesicht lässt keine Faszination für das Böse entstehen. Vor allem ermöglicht sie theaterhaftes Arbeiten.
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Im Film stellen nun die Puppenspielkünstlerinnen Josephine Hock und Nadia Ihjeij Gespräche nach, die Wright und Kolbe mit S. geführt haben. Dabei setzen sie mithilfe von Requisiten Schilderungen aus der Therapie oder der Kindheit in Szene - etwa über ein Terrarium, in dem S. als Kind Mäuse hielt.
Diese inszenierten Passagen werden oft gegengeschnitten mit Bildern des Ausgangsmaterials, das Kolbe und Wright gedreht haben. Diese Originalbilder inszenieren sie wie einen Film im Film, man sieht sie beispielsweise auf einem großen Monitor. Stefan S. bleibt dabei stets unkenntlich, mal ist er von hinten, mal von der Seite zu sehen, mal mit verpixeltem Gesicht.