"Sie sind der Verderber der Presse", hat Theodor Heuss 1956 gegenüber dem Verleger Axel Springer gesagt. Wegen solch deutlicher Worte hat sich das Ex-Staatsoberhaupt ein eigenes Kapitel in Henschels Buch verdient.
"Sie sind der Verderber der Presse", hat Bundespräsident Theodor Heuss 1956 gegenüber dem Verleger Axel Springer gesagt, nachdem er vorher schon Bild als "eine geradezu fürchterliche Tageszeitung" bezeichnet hatte.
Wegen solch deutlicher Worte hat sich das Ex-Staatsoberhaupt ein eigenes Kapitel in Gerhard Henschels Buch "Die Springer-Bibel" verdient. Schließlich ist nicht zu erwarten, dass Horst Köhler heute Vergleichbares gegenüber Friede Springer äußern würde.
Generell haben sich, so Henschel, "die politischen, industriellen, gewerkschaftlichen, kulturellen, sportlichen und kirchlichen Spitzenvertreter der Gesellschaft dem Niveau der ‚Bild'-Zeitung und anderer Organe des Hauses Springer von Jahr zu Jahr geschmeidiger angepasst und unterworfen".
"Das Buch Theodor" heißt das dem resoluten Politiker gewidmete Kapitel, und der Titel deutet an, dass der Aufbau dieser Bibel dem Original nachempfunden ist - mit dem Alten Testament geht es los, mit dem prophetischen Buch des Neuen Testaments hört es auf. Der Autor findet eine amüsante Form für ein letztlich ernsthaftes Sujet. Sein Buch - eine Reaktion auf die "Bild-Volksbibel", die "Bild-Gold-Bibel" und die "Bild-Benedikt-Bibel" - ist ein Sittengemälde des Journalismus à là Springer.
Henschel argumentiert dabei "nicht politisch, sondern moralisch", wie er selbst formuliert. Eine Richtung, die er bereits mit dem "Gossenreport: Betriebsgeheimnisse der Bild-Zeitung" eingeschlagen hatte. Wenn - Beispiel: Bild-Benedikt-Bibel - der Papst höchstpersönlich mit dem Blut-, Schweiß- und Busenblatt kooperiert, wird Henschel nicht müde zu betonen, dass dies jemand, der die katholische Glaubenslehre ernst nimmt, mit seinem Gewissen kaum vereinbaren kann. "Da bin ich päpstlicher als der Papst", meint Henschel.
Für Medienbeobachter sind viele Details erhellend - etwa zum stets heroischen Kampf von Bild gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen: Da griff man 1967 auf Agentenmethoden zurück, um Näheres über das Intimleben eines leitenden ZDF-Redakteurs zu erfahren. Oder zur sich wandelnden Beziehung zwischen Franz Beckenbauer und Bild. 1977 konnte man ihn noch als Opfer des Blattes sehen: Damals wurde er mit recht scheinheiligen Schlagzeilen über sein Liebesleben "außer Landes geschrieben" (Sepp Maier). Später avancierte Beckenbauer zu einem der prominentesten Mitläufer des Boulevardjournalismus.
Henschel greift oft auf ein Kompositionsprinzip zurück: Er zitiert zunächst einen Ausspruch Springers, eines Weggefährten oder Verlagshistoriographen, in dem des Verlegers Kampf für das Gute betont wird. So soll er Wert darauf gelegt haben, "dass seine Zeitungen sich für die Stärkung religiöser Prinzipien in der Bundesrepublik einsetzten". Das verknüpft der Autor dann mit einer Bild-Schlagzeile, die eher das Gegenteil belegt: "13-Jährige starb an ihrem ersten Kuss. Tödlicher Schock durch einen Klassenkameraden."
Die überraschendste Figur im Buch ist Jimi Hendrix ("Das Buch Jimi"). Das ist einigen Briefen zu verdanken, die ums Abendland besorgte TV-Zuschauer 1967 nach einer "Beat-Club"- Sendung an Springers Zeitschrift Hörzu schickten. "Ist dieses langmähnige Etwas mit der Banane aus dem Urwald gelockt worden?" wollte ein Leser wissen, Der kürzeste Text heißt "Das Buch Steffi" und bezieht sich sich auf eine zwischenzeitliche Malaise einer Tennisspielerin. Diese animierte Bild im Herbst 1991 zu der Schlagzeile "Steffi: Magen, Krankenhaus".
Gerhard Henschel: "Die Springer-Bibel - Ein Panorama der Mediengeschichte", konkret, 277 S., 18,50 Euro