Zu Beginn des Jahres 1933 lebten 160.000 Juden in Berlin, anteilig rund ein Drittel der in Deutschland lebenden Juden. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wurden 55.000 Berliner Juden ermordet, 7.000 von ihnen nahmen sich durch Selbsttötung das Leben.[1] Der Rest konnte in der Emigration oder im Untergrund der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie entkommen. Einer von ihnen ist Cioma Schönhaus. Seine Überlebensgeschichte wurde nun unter der Regie von Maggie Peren im Spielfilm „ Der Passfälscher " nacherzählt.
Samson Schönhaus wurde als einziger Sohn belarussisch-jüdischer Eltern 1922 in Berlin geboren. Schon früh träumte der Junge, der nur Cioma genannt wurde, davon, Grafiker zu werden. Im Gegensatz zu seinen Eltern und vielen anderen jüdischen Personen aus seinem Berliner Umkreis schaffte er es bis 1943 nicht in den Osten deportiert zu werden und im Berlin des NS-Regimes zu bestehen. Durch die Emigration in die Schweiz im Spätsommer desselben Jahres überlebte er die Shoah. Da er als Grafiker im Umkreis der Widerstandsgruppe von Dr. Franz Kaufmann über 300 Ausweise für im Untergrund versteckte Juden anfertigte, wurde er von der Gestapo als „Passfälscher" gesucht: Sein Zeichentalent rettete nicht nur ihm selbst, sondern auch anderen das Leben. Bereits 2017 widmete sich das deutsche Doku-Drama „ Die Unsichtbaren " den Überlebensgeschichten Hanni Lévy, Ruth Arendt, Eugen Friede und Cioma Schönhaus. Die Vorlage für Perens Spielfilm bildet die gleichnamige Autobiografie, die Cioma Schönhaus 2004 sechzig Jahre nach den Geschehnissen als über Achtzigjähriger niederschrieb. Cioma Schönhaus berichtet in seiner Autobiografie davon, wie er als „junger Grafiker [...] zum heimlichen Fluchthelfer für Hunderte von Todgeweihten" wird. In seinen fast unglaublich klingenden, anekdotenreichen Erinnerungen berichtet er mit Sinn für Selbstironie und Spannung aus seinem wechselvollen Leben im nationalsozialistischen Berlin.
Der Überlebende beginnt seine Geschichte: „Meine glückliche Rettung ist die Folge eines Geschehens, bei dem das Gesetz der großen Zahlen die entscheidende Rolle spielt. Wenn der Parkettboden in einem großen Raum ein faustgroßes Loch aufweist, und wenn in diesem Raum jemand versuchen wollte, mit einer Erbse in dieses Loch zu treffen, wären die Chancen minimal. Nähme man aber einen Sack voller Erbsen und leerte diese im Raum aus, das Loch wäre sofort gefüllt. Die Geschichte einer jeden Erbse, die im Loch gelandet ist, bestünde dann ebenso wie die meine aus einer Kette wundersamer Zufälle. Ich bin eine solche Erbse."[2]
Seit über zwanzig Jahren arbeitet Maggie Peren erfolgreich als Drehbuchautorin und Regisseurin im deutschen Film- und Fernsehmarkt. Mit dem Kurzfilm „Hypochonder" (2004) feierte sie ihr Regiedebüt. Bereits mit 24 Jahren gewann Peren mit ihrem Drehbuch für den deutschen Spielfilm „Vergiss Amerika" (1999/2000) Preise. Anfang der 2000er-Jahre stand Peren als Darstellerin in Filmen wie „Kiss and Run" (2002) oder „Nicht meine Hochzeit" (2004) selbst vor der Kamera. Über ihre zahlreichen Drehbucharbeiten hat Peren sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem mit Reihen wie „Mädchen, Mädchen" (Teil 1 2001 und Teil 2 2004), „Freche Mädchen" (Teil 1 2008 und Teil 2 2010) oder Kinofilmen wie „Dieses bescheuerte Herz" (2016) im Genre der Liebeskomödie einen Namen gemacht. Für „Napola - Elite für den Führer" (2004) wurde Peren gemeinsam mit Dennis Gansel mit dem Deutschen Filmpreis in der Kategorie „Bestes Drehbuch" ausgezeichnet. Ihre neueste Arbeit, in der sie sowohl Regie geführt als auch das Drehbuch geschrieben hat, ist eine Filmbiografie über den „ Passfälscher " Cioma Schönhaus. Das Spielfilm-Drama feierte im Februar 2022 im Rahmen der Filmfestspiele in Berlin Premiere.
In einem kurzen Video, das der Vorführung auf der diesjährigen Berlinale vorausgeht, erzählt Peren von ihrer persönlichen Begegnung mit Cioma Schönhaus. Peren bewundert seine Lebensfreude, die für die Filmemacherin Motivation war, seine Autobiografie in einen Spielfilm zu verwandeln.
Zu Beginn des Spielfilms rennt Cioma Schönhaus, gespielt von Louis Hofmann, in ein Fundbüro: Der Held hat etwas verloren und redet mit dem Beamten am Tresen. Er setzt sich hin, holt ein kleines Notizheft heraus und beginnt etwas auf dessen Seiten zu malen. Der Spielfilm verortet seine Zuschauer:innen in Berlin, im Sommer 1942. Der noch nicht zwanzigjährige Cioma lebt allein in einer großen, bürgerlich ausgestatteten Wohnung. Seine jüdischen Eltern Boris und Fanja Schönhaus wurden vor fünf Tagen nach Sobibor und Majdanek deportiert. Weil er in der Kleinkalibergewehr-Fabrik Gustav Genschow, damit in der Kriegswichtigen Rüstungsindustrie, arbeitet, entgeht er einer Deportation.
Als einziger aus seiner Familie, auch seine „Omama Alte" Enta Maria Berman, seine „Tante Soschka" Sophie Berman und sein „Onkel Meier" Meier Berman, mussten Berlin Richtung Osten verlassen, bleibt er in der bürgerlichen Wohnung in der Münzstraße 11 zurück. Damit lässt der Film das erste Drittel der Autobiografie, in denen die ersten Jahre des Zweiten Weltkrieges, die jüdische Familiengeschichte - Ciomas Eltern sind aus Weißrussland nach Deutschland emigriert - und seine Zwangsarbeit sowie kurzzeitige Inhaftierung geschildert werden, komplett weg. Tante, Onkel, Omama und seine Eltern spielen im Film keine Rolle. Sie alle werden in den Vernichtungslagern im Osten ermordet.
Doch der lebensfrohe Halbstarke Cioma (Louis Hofmann) bleibt im Spielfilm nicht lange allein in der verlassenen Wohnung.
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