Sich für seine Ernährung und seine Lebensweise rechtfertigen zu müssen, nervt. Die meisten Menschen haben es wahrscheinlich trotzdem schon erlebt. So müssen vegan lebende Menschen oft erklären, warum sie auf tierische Produkte verzichten. Allesesser und -esserinnen, warum sie nicht verzichten und Vegetarier und Vegetarierinnen, warum sie zwar verzichten aber nicht komplett. Und das, obwohl die Frage der Ernährung durch und durch privat sein sollte.
Statt Anderen das Gefühl zu geben, sich rechtfertigen zu müssen, sollte jede und jeder in den eigenen Kühlschrank schauen. Ernährung ist Privatsache, und dennoch schadet es nicht, sich hinreichend zu informieren. Die Leibniz Universität Hannover hat in einer Studie herausgefunden, dass Menschen, die sich vegetarisch ernähren, im Schnitt gesünder sind als Mischköstler und Mischköstlerinnen - also Menschen, die alles essen. Allerdings kam die Studie auch zu dem Schluss, dass Menschen, die sich vor allem vegetarisch ernähren und gelegentlich Fleisch und Fisch konsumieren, im Schnitt ebenso gesund sind, wie jene, die darauf verzichten. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, zwei Drittel des täglichen Bedarfes mit pflanzlichen Lebensmitteln abzudecken.
Das bedeutet, dass eine bewusste und ausgewogene Ernährung gesundheitsfördernd ist. Statt aber den eigenen Konsum zu hinterfragen, scheinen sich viele Menschen lieber damit auseinanderzusetzen, was andere zu sich nehmen - oder eben nicht. Ein gängiges, wenn auch falsches, Vorurteil gegenüber rein pflanzlicher Ernährung: Vegan ist ungesund. Gestützt wird es meistens mit dem Argument, dass die Ernährungsform zu einem Nährstoffmangel führe. Natürlich gibt es besondere Stoffe auf die Menschen, die auf tierische Produkte verzichten, besonders achten müssen. So zum Beispiel auf Kalzium oder die B-Vitamine. Genauso sollten aber auch jene, die alles essen, darauf achten, alle wichtigen Mikro- und Makronährstoffe abzudecken.
Klar sollte sein, dass eine Ernährungsform per se nicht gesund oder ungesund sein kann. Menschen, die sich vegan ernähren, können den ganzen Tag Pommes mit Ketchup essen. Das ist genauso frei von tierischen Produkten wie eine Linsensuppe mit Räuchertofu. Die frittierten Kartoffeln beinhalten aber weniger gesunde Nährstoffe, mehr Fett und mehr Zucker. Gleichzeitig können Mischköstler und Mischköstlerinnen täglich Pizza bestellen oder aber stattdessen frisch und gesund kochen. Die Frage nach einer gesunden und ausgewogenen Ernährung impliziert also die Fragen, ob alle wichtigen Nährstoffe abgedeckt sind und ob die Ernährung zu eintönig ist. Sie muss also weder rein pflanzlich sein, noch komplett auf tierische Produkte bauen.
Dass die deutsche Bevölkerung sich in großen Teilen ungesund ernährt, zeigt eine Statistik des Robert-Koch-Instituts: Zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen sind übergewichtig. Eine Volkskrankheit in westlichen Zivilisationen, die weitere Krankheiten mit sich bringen kann: Herzinfarkte oder Diabetes-Typ-2. Eine ausgewogene pflanzenbasierte Ernährung könnte dem vorbeugen.
Im Grunde sind die meisten Veganerinnen und Veganer Menschen, die ihren Idealen folgen. Denn nicht nur Gesundheit ist ein Punkt, weshalb sich Menschen für eine rein pflanzliche Ernährungsform entscheiden. Viel wichtiger ist meistens die Frage der Ethik. Kann ich es vertreten, dass Lebewesen für mich nicht artgerecht gehalten werden oder sogar sterben? Veganer und Veganerinnen verneinen diese Frage. Sie verzichten auf Fleisch und Fisch, auf Käse, Milch und Butter, auf Eier und auf Honig. Auch außerhalb der Küche sind viele vegan lebenden Menschen darauf bedacht, auf tierische Produkte zu verzichten. Sie tragen weder Leder noch Schurwolle und achten auch bei Kosmetika darauf, dass sie frei von Tierversuchen sind.
Ethik ist kein Attribut, das Menschen aufgezwungen werden kann. Viel mehr muss sie sich von innen heraus entwickeln können. Trotzdem gibt es vegan lebende Menschen, die es sich anscheinend zur Aufgabe gemacht haben, die angeblich unwissenden Allesesser zu missionieren. Möglicherweise sind Radikalität und Missionierungswut der Bewegung sogar hinderlich und das, obwohl sich ein großer Teil der Gesellschaft mit den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit beschäftigt. Konsum wird überdacht, Umwelt- und Artenschutz diskutiert. Dass Massentierhaltung klimaschädlich ist, ist mittlerweile bekannt. Der Nährboden, sich auch mit Ethik und nachhaltigem Fleischkonsum zu beschäftigen, ist also da. Gezwungen werden kann und sollte aber keiner. Letztlich muss auch in diesem Fall gelten: Ernährung ist Privatsache.
Was allerdings öffentlich diskutiert werden kann und sollte, ist die Art und Weise, wie Tieren ein artgerechtes Leben ermöglicht werden kann. Es braucht klare Regeln für die Industrie und darüber hinaus eine einheitliche Deklarationspflicht. So kann den Konsumenten eine eigene Entscheidung aufgrund von Fakten ermöglicht werden. Wenn das Fleisch durch die angepassten Standards teurer wird, ist das nicht schlimm. Die Deutschen essen davon ohnehin doppelt in der Woche, wie es die DGE empfiehlt - nämlich 59 Kilogramm im Jahr 2019. Das macht 1,1 Kilogramm in der Woche, statt der empfohlenen 300 bis 600 Gramm. Warum also nicht zwei Mal in der Woche Fleisch konsumieren, das zwar teurer ist, dafür aber aus einer artgerechten Haltung stammt?
Letztlich muss jeder Mensch selbst entscheiden, was die eigene Gesundheit wert und was moralisch vertretbar ist. Dafür darf sich niemand rechtfertigen müssen. Jeder hat seine Gründe, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Und niemand sollte sich das Recht herausnehmen, über private Entscheidungen anderer zu urteilen oder das eigene Handeln als Ultima Ratio zu inszenieren.