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Kneipentour mit Corona: Einen Vorsatz nachzuweisen, ist schwierig

Trotz Erkältungssymptomen und Quarantäne-Anordnung feiern gehen? In Zeiten von Corona kann das schnell verheerende Folgen für viele haben. Bei der juristischen Bewertung liegt aber der Teufel im Detail.


Nach dem Corona-Ausbruch im bayerischen Garmisch-Partenkirchen drohen einer mutmaßlichen Superspreaderin juristische Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft München II leitete nach eigenen Angaben Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung ein. Die 26-jährige US-Amerikanerin soll dem zuständigen Landratsamt zufolge wegen Erkältungssymptomen einen Corona-Test gemacht haben. Noch bevor sie das Ergebnis erhielt und trotz Quarantäne-Anordnung soll sie jedoch mehrere Kneipen besucht und dabei zahlreiche weitere Menschen angesteckt haben. Einen "Musterfall von Unvernunft" nannte das etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann forderte Konsequenzen. "Gegen so eine Rücksichtslosigkeit sollte ein klares Signal und ein mahnendes Beispiel gesetzt werden", sagte er dem "Münchner Merkur".

Superspreading Beim Verlauf der Coronavirus-Pandemie ist entscheidend, wie viele andere Menschen eine infizierte Person ansteckt. Bei einem sogenannten Superspreading kommt es zu einer besonders hohen Zahl an Infektionen durch eine einzige Person. Das kann einerseits durch das Verhalten einer einzelnen Person geschehen: Wenn beispielsweise jemand trotz Symptomen viele andere Menschen trifft. Dabei wird das Risiko erhöht, wenn die Person weder eine Maske trägt noch Abstand hält. Man spricht aber auch von einem Superspreading-Ereignis, wenn auf einer Großveranstaltung wie einer privaten Feier viele Menschen infiziert werden, weil ein Teilnehmer bereits ansteckend war, aber noch keine Symptome hatte.

Bei Quarantäne-Verstößen ist die Schwere entscheidend

Grundsätzlich sind Verstöße gegen Quarantäne-Auflagen eine Ordnungswidrigkeit, die mit Bußgeldern geahndet werden können. Dabei handelt es sich aber immer um eine situationsbezogene Entscheidung, betont Henning Rosenau, Professor für Strafrecht und Medizinrecht von der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg. Wenn beispielsweise eine Person sofort einsichtig und der Fall nicht schwer sei, könne die zuständige Behörde auch auf ein Bußgeld verzichten.

Wenn aber eine Person trotz eindeutiger Erkältungssymptome und einer Quarantäne-Anordnung auf Kneipentour geht, seien auch Strafen über ein Bußgeld hinaus möglich. Je nach den genauen Umständen käme insbesondere fahrlässige oder sogar vorsätzliche Körperverletzung in Betracht.

"Was hat sie gewusst und wie ging sie mit dem Wissen um?"

Um einer Person Vorsatz nachzuweisen, gebe es insbesondere zwei Kriterien, erklärt Rosenau. Zum einen müsse die Person erkennen, dass sie jemanden möglicherweise am Körper verletzt oder die Gesundheit beschädigt habe. Zum anderen müsse sie dies auch billigend in Kauf nehmen, also den Konsequenzen ihres Handelns gleichgültig gegenüber stehen. Wenn etwa die mutmaßliche Superspreaderin aus Garmisch-Partenkirchen darstellen könne, dass die Ärzte ihr sagten, sie müsse zwar in Quarantäne, aber das heiße noch nichts, spreche das eher gegen einen Vorsatz. Zudem könne es die US-Amerikanerin entlasten, wenn es Verständigungsschwierigkeiten zwischen ihr und den örtlichen Behörden gegeben habe.

Auch die Information, die Aufklärung durch das Gesundheitsamt, was die Quarantäne bedeutet, spielt eine Rolle für die Beurteilung.

Henning Rosenau Professor für Strafrecht und Medizinrecht

Anders sei es, wenn das zuständige Gesundheitsamt die Frau deutlich vor der Gefahr warnte, dass sie durch bestimmte Verhaltensweisen andere Menschen anstecken könne. Habe sie dann dennoch gegen die Warnung gehandelt, spreche vieles für Gleichgültigkeit. Damit nehme sie dann die weiteren Infektionen billigend in Kauf und man spreche von Vorsatz.

Sogar "fahrlässige Tötung" ist möglich

Auch wenn Personen sich in einer Kneipe angesteckt haben und anschließend weitere Personen infizierten, könnten solche Folge-Infektionen noch der Frau als Auslöserin zugerechnet werden, die ihre Quarantäne-Auflagen missachtete. Voraussetzung dafür sei aber, dass der "Zwischenwirt" des Virus nichts von der eigenen Infektion wusste und selbst keine Symptome hatte.

Sollte eine Person nachweislich durch die 26-Jährige mit dem Coronavirus angesteckt worden sein und infolge der Infektion sterben, könnte man sogar über fahrlässige Tötung sprechen, erklärt Rosenau. In einem solchen Fall Totschlag - also einen Vorsatz - nachzuweisen, sei aber noch schwieriger als im Falle einer Infektion.

Bei HIV beispielsweise kann man das zum Teil genetisch belegen, dass genau dieser Virus-Stamm in dem Infizierten sich niedergeschlagen hat. Das ist bei Corona, soweit wir derzeit wissen, nicht so klar, weil dieses Virus relativ stabil ist.

Henning Rosenau Professor für Strafrecht und Medizinrecht

Gehe es dagegen um Schadenersatzansprüche, weil jemand nicht arbeiten kann oder Erstattung von Krankenkosten einklagt, seien die Beweisanforderungen nicht ganz so hoch wie im Strafrecht, erklärt Rosenau. Im Zivilrecht gebe es den sogenannten Anscheinsbeweis: Wenn vieles dafür spreche, dass derjenige der Verursacher sei, könne man davon ausgehen - es sei denn, die Person kann das Gegenteil beweisen.

Superspreaderin für Schäden der Gastronomie kaum zu belangen

Trotz aller Empörung über das Verhalten der 26-Jährigen: Für die aktuelle Gesamtsituation in Garmisch-Partenkirchen ist sie wohl kaum verantwortlich zu machen. Rosenau betont, dass es sich etwa bei wirtschaftlichen Schäden für die Gastronomie nur um mittelbare Folgen handle, wenn also Kneipen und Restaurants schließen müssen. Es sei zweifelhaft, ob man das tatsächlich auf die 26-Jährige zurückführen könne, da es noch weitere Infizierte gebe, die mit der Frau nichts zu tun gehabt hätten. "Einschränkungen durch das zuständige Landratsamt stellen ein allgemeines Geschäftsrisiko dar, das die Gastrononem wohl oder übel tragen müssen", sagt der Strafrechtsprofessor. Wenn die Frau nicht vorbestraft sei, werde es wohl erstmal eher um Geldstrafen gehen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 14. September 2020 | 19:30 Uhr


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