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Selenski kämpft auch gegen den Oligarchen

Während sich die Ukraine durch einen russischen Truppenaufmarsch an ihren Grenze bedroht sieht, gerät Präsident Wolodymyr Selenski in der Mitte seiner Amtszeit auch im Innern zunehmend in Konflikte. Seit geraumer Zeit trägt er einen offenen Kampf mit dem reichsten Oligarchen des Landes aus. Rinat Achmetow dem große Teile der Kohle- und Stahlindustrie in dem von Rebellen kontrollierten Osten des Landes gehören, macht in seinen Kiewer TV-Kanälen gegen das Staatsoberhaupt mit einem Informatonskrieg mobil. Selenski beschuldigt den Milliardär, einen Putsch vorzubereiten.

Tatsächlich bietet Selenski innenpolitisch Angriffsfläche. Der ehemalige Schauspieler hatte hohe Erwartungen an sich geschürt, doch erfüllen konnte er sie bisher nicht, was einen wesentlichen Grund in der russischen Aggression hat - aber nicht allein. Reformen kommen nicht voran, noch immer grassiert die Korruption. Zweieinhalb Jahre nach seinem Amtsantritt werfen Kritiker Selenski vor, zunehmend autoritär und teilweise verfassungswidrig zu agieren.

Die Beziehungen zu Achmetow hatten sich jüngst verschlechtert, nachdem der Präsident im November ein umstrittenes Gesetz unterzeichnet hatte, das den Einfluss von Oligarchen auf die Politik schmälern soll. Er werde alles in seiner Macht Stehende tun, so Achmetow in der Zeitung „ Ukrainska Prawda", um Autoritarismus und Zensur in der Ukraine zu verhindern. Kritiker werfen ihm jedoch vor, das Gesetz könne dazu genutzt werden, politische Gegner zu schwächen. Denn letztlich entscheidet der vom Präsidenten geleitete Sicherheitsrat, wer als Oligarch gilt und wer nicht.

„Einige Punkte des Gesetzes könnten in der Tat von Verfassungsgericht und internationalen Gerichten angefochten werden", sagt der Kiewer Politologe Wladimir Fesenko. Dennoch stelle es ein Instrument dar, die Einflussnahme von Oligarchen auf die Politik zu kontrollieren. Die Notwendigkeit dazu bestehe seit über 20 Jahren.

Auf kritische Fragen reagiert der ukrainische Präsident zunehmend dünnhäutig

Ohne Entmachtung der Oligarchen kann auch die massive Korruption in der Ukraine nicht bekämpft werden. Das ist auch westlichen Partnern klar und so begrüßte die Europäische Union die von der ukrainischen Regierung unternommenen Anstrengungen. Wie konsequent dieser Kampf geführt wird, ist jedoch zweifelhaft. Die jüngsten Veröffentlichungen zu weltweiter Steuerhinterziehung und Geldwäsche werfen ein schlechtes Licht auf die Ukraine. Gleich 38 Ukrainer, so viel wie aus keinem anderen Land, werden in den sogenannten Pandora Papers genannt. Unter ihnen auch Präsident Selenski selbst.

Auf kritische Fragen seitens der Presse reagiert der ukrainische Präsident zunehmend dünnhäutig. Gleichzeitig zeigt er sich in außenpolitischen Angelegenheiten immer häufiger enttäuscht von westlichen Partnern. Obwohl kein Thema in seinem Wahlkampf, ging Selenski nach Amtsantritt schnell dazu über, offen den Beitrittswillen des Landes zu EU und Nato zu bekunden. Ein Wunsch, der unter Beobachtern als unrealistisch gilt. „Die ukrainische Regierung sollte akzeptieren, dass sie als Nachbar behandelt wird", sagt André Härtel, Politikwissenschaftler und Ukraine-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Anstatt einen EU-Beitritt zu fordern, solle sich das Land auf konkrete Projekte der Zusammenarbeit konzentrieren.

Eine klare außenpolitische Strategie können Beobachter indes nicht erkennen. Die Ukraine befindet sich in einer komplizierten Lage. In der Ostukraine herrscht seit sieben Jahren Krieg mit von Russland finanzierten und unterstützen Separatisten. Selenski wollte diesen Krieg beenden, konnte sein Wahl versprechen jedoch nicht halten. „Der Schlüssel zur Lösung des Konflikts liegt in Moskau", sagt Härtel.

Weil das auch den meisten Menschen in der Ukraine bewusst sei, habe es Selenski nicht geschadet, dass er sein Wahlversprechen nicht eingelöst hat. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung der russischen Regierung die Schuld für den andauernden Krieg gibt und sich ein härteres Vorgehen gegenüber den separatistischen Gebieten wünscht.

Selenski tritt selbstbewusster auf als sein Vorgänger Poroschenko. Ende Oktober setzte die ukrainische Armee erstmals eine türkische Drohne in der Ostukraine ein. „Er will zeigen: Die Ukraine kann sich wehren", sagt Härtel. Zudem wurden drei pro-russische Fernsehkanäle geschlossen und Sanktionen gegen den pro-russischen Politiker Wiktor Medwedtschuk umgesetzt, der enge familiäre Verbindungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegt. Das Vorgehen bringt Selenski viel Sympathie ein, in den Umfragen führt der vor allen anderen Politikern.

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