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Gastbeitrag: Satire darf alles! Oder doch nicht?

Von Katharina Pfannkuch, Rana Deep Islam

Unsere Gesellschaft muss Normen für den satirischen Umgang mit dem Islam ausloten - und zwar mit den Muslimen.

Das Verhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Respekt vor religiösen Gefühlen ist mehr denn je Gegenstand hitziger Diskussionen, die immer wieder um eine Frage kreisen: Darf Satire alles? Wer sie verneint und Rücksicht auf religiöse Gefühle fordert, erntet den Vorwurf, nicht nur Satire, sondern auch der Meinungsfreiheit Grenzen setzen zu wollen. Deren Verteidiger plädieren hingegen dafür, religiöse Befindlichkeiten hintenan zu stellen. Die Meinungsfreiheit sei schließlich eine der wichtigsten Errungenschaften der Demokratie.

Die vermeintliche Eindeutigkeit dieser Positionen verschleiert einen entscheidenden Aspekt: Die Frage ist falsch gestellt. Denn sie impliziert eine legalistische Dimension, die es nicht geben kann und darf. Einschränkungen des Grundgesetzes oder Zensur wären falsche Signale, insbesondere an die Opfer religiösen Fanatismus. Falsch wäre es aber auch, der muslimischen Bevölkerung Deutschlands abzusprechen, genauso vielfältige Meinungen zu haben wie die Mehrheitsgesellschaft. Meinungsfreiheit bedeutet immer auch Meinungspluralismus. Reagieren Muslime aber nicht gelassen genug auf Witze über ihre Religion, heißt es, sie sollten sich nicht so anstellen. Die Kirche werde doch auch karikiert.

Gerade beim Satire-Objekt Kirche werden jedoch immer wieder Grenzen gezogen: Der WDR sah erst 2014 von der Veröffentlichung eines kirchenkritischen Videos der Komikerin Caroline Kebekus ab - der Sturm der Empörung blieb aus. Kritisieren Muslime aber Satire über ihre Religion, ist der Aufschrei stets groß.

Religion fristet in weiten Teilen der Bevölkerung zwar zunehmend ein Nischendasein. Doch gesellschaftliches Zusammenleben erfordert immer auch die Auseinandersetzung mit divergierenden Ansichten. Das Beharren auf der Rechtsgültigkeit der Verfassung befreit nicht von der Verantwortung, nach Kompromissen zu streben. Die Frage, ob Satire alles dürfe, bringt uns diesen Kompromissen nicht näher. Ein Grundsatz bringt Licht ins Dunkel: Rechte bedingen auch Pflichten. Wer das Recht auf freie Meinungsäußerung für sich beansprucht, hat die Pflicht, sich dieses Rechtes auf verantwortungsvolle Weise zu bedienen. Jenseits der legalistischen Auffassung des „Dürfens" sollten wir uns daher die Frage der Angemessenheit stellen.

2014 erschien in der FAZ eine Karikatur zum Thema Ärztemangel. Ein Schwarzer mit Maske und Lendenschutz tanzt um ein Feuer. „Praxis Dr. Mbongo. Viele Heilung. Alle Kasse." steht auf einem Schild, in der Bildunterschrift heißt es: „Deutschland profitiert von eingewanderten Fachkräften." Die massive öffentliche Kritik an der rassistisch-stereotypen Darstellung verdeutlicht: Nur weil etwas rechtlich erlaubt ist, wird es nicht automatisch als angemessen wahrgenommem. Die Frage der Angemessenheit unterliegt einem kontinuierlichen Wandel und beschränkt sich nicht nur auf Satire. Das zeigte die Dirndl-Causa des ehemaligen Wirtschaftsministers Rainer Brüderle, die in die „Aufschrei-Debatte" mündete. Auch hier mahnten einige, die Betroffenen mögen sich doch bitte nicht so anstellen. Doch die lautstarke Gegenposition setzte neue Maßstäbe für das Verhältnis zwischen Mann und Frau im dienstlichen Kontext.

Rassistische oder sexistische Karikaturen sind oft durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt - und widersprechen doch unseren gesellschaftlich ausgehandelten Normen von Anstand und Respekt. Ein Ausloten solcher Normen für den Umgang mit Muslimen ist dringend überfällig, wird aber oft ausgebremst. Da ist schnell die Rede von „unserer" Meinungsfreiheit, die wir uns „von denen" ganz bestimmt nicht nehmen lassen. Diese Reaktion hat nur einen Denkfehler: „Die" gehören längst zu „uns". Muslime haben wie jede Bevölkerungsgruppe das Recht und die Pflicht, gesellschaftliche Normen mitzugestalten. Der eine Muslim schmunzelt über Mohammed-Karikaturen, der andere nicht. Genau so, wie der eine Katholik über eine Karikatur des Papstes in eingenässter Soutane lächelt, während der nächste schon einen wütenden Leserbrief schreibt. Eine Gesellschaft, die so viel Wert auf Meinungsfreiheit legt, muss all diese Reaktionen aushalten. Medien gestalten gesellschaftliche Diskurse maßgeblich mit.

Natürlich sollen auch in Zukunft Karikaturen über den Islam erscheinen - so, wie über nahezu jeden anderen gesellschaftlichen Bereich auch. Der Medienschaffende, der der Versuchung einer provokanten, Aufmerksamkeit garantierenden Karikatur nicht widerstehen kann, sollte sich bei offensichtlichen Grenzüberschreitungen aber auch vernehmbar entschuldigen. Dies ist schließlich gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen ebenfalls üblich.

Wann die Grenzen des guten Geschmacks erreicht sind, ist mitnichten eine politische Frage. Vielmehr ist die ganze Gesellschaft aufgerufen, sie zu beantworten. So, wie wir uns auf Gender- und Rassismus-Debatten einließen, kommen wir auch nicht umhin, uns mit Angemessenheit von Islam-Satire auseinanderzusetzen. Auch Muslime in Deutschland sind gefragt. Wünschenswert wäre es, wenn Islamverbände endlich zu einer relevanten Stimme in der Debatte werden. Denn die Emanzipationsbewegungen der Vergangenheit haben es vorgemacht: In der organisierten Interessenvertretung liegt der Schlüssel zu einem respektvollen Miteinander.

Katharina Pfannkuch, Islamwissenschaftlerin und freie Journalistin. Rana Deep Islam, Non-Resident Fellow am American Institute for Contemporary German Studies in Washington DC.
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