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Waffenlieferungen - Deutschland braucht einen Expertenrat für Rüstung

Zu Wochenbeginn durfte der Bundestag die Lieferung von zigtausenden Schnellfeuergewehren, Granaten und Panzerabwehrwaffen an die sogenannten Peschmerga im Nordirak abnicken. Die Entscheidung aber fiel schon vorher - an Regierungshandys, in Zeitungsartikeln und Kabinettshinterzimmern.

Rüstungsexporte und Waffenlieferungen bilden bereits seit vielen Jahren einen Konfliktherd deutscher Innenpolitik. Die bisher populäre Formel, dass Rüstungslieferungen die Krisen von morgen schüren, scheint zunehmend an ihre Grenzen zu stoßen und spielt in Sachen Erkenntnissgewinn in einer Liga mit dem Gegenargument, dass ansonsten Waffen aus anderen Quellen geliefert werden. Deutschlands gewachsene Verantwortung in der internationalen Politik, die in den vergangenen Monaten von vielen Seiten betont wurde, verlangt nach deutlich mehr Diskursschärfe.

Die „Merkel-Doktrin"

Auch wenn es jenseits von Detailfragen des deutschen Rüstungsexports schwer fällt, die politischen Lager programmatisch zu unterscheiden, so ist die Gretchenfrage nach Waffen „made in Germany" eine sichere Bank, um Links-Rechts Schemata zu bedienen. Die politische Linke propagiert gerne den friedliebenden Internationalismus, der die Instrumente ziviler Konfliktprävention in den Vordergrund stellt. Die vermeintlich realpolitische Staatsräson bleibt den „Konservativen" überlassen. Hier wird bereits von einer „Merkel-Doktrin" gesprochen. Diese sieht Waffenlieferungen als zentrales Instrument der deutschen Außenpolitik, um den Einsatz eigenen Personals zu vermeiden und gleichzeitig deutsche Rüstungsunternehmen zu stärken. Die Menschenrechtslage in Importländern wie Saudi-Arabien oder Indonesien ist dabei ein nachgeordneter Faktor.

Die katastrophale Lage im Nordirak hat dieses komfortable, weil übersichtliche Lagerdenken durcheinandergewirbelt. Plötzlich finden sich über Parteigrenzen hinweg Befürworter und Gegner deutscher Waffenexporte an die kurdischen Paramilitärs in ihrem Kampf gegen die immer mächtiger werdenden Terrorbanden des „Islamischen Staates". Doch musste man sich die Augen reiben, als selbst Gregor Gysi, Fraktionschef der streng-pazifistischen Linken, kurzzeitig die Lieferung von militärischem Equipment forderte.

Die öffentliche Debatte kennt nur Zauderer und Kriegstreiber

Bisherige Eckpfeiler deutscher Rüstungsexportpolitik wurden von der Großen Koalition in Windeseile beiseitegeschoben. Nicht nur, dass hier eine Krisenregion aufgerüstet wird, auch werden Waffen an nicht-staatliche Akteure geliefert. Angesichts der Schnelligkeit, mit der die jüngste Entscheidung gefällt wurde, entsteht in der Öffentlichkeit wie auch im Bundestag ein Gefühl zunehmenden Kontrollverlusts, da die Politik zu ad-hoc Entscheidungen getrieben wird, anstatt einer langfristigen Strategie zu folgen.

Die öffentliche Auseinandersetzung über diesen konkreten Fall ist an Polemik kaum zu überbieten. Die einen werden als verantwortungslose Zauderer verschrien, den anderen wird hingegen Kriegstreiberei unterstellt. Das Dilemma liegt offen auf der Hand. Denn vor den zivilen Opfern, die womöglich mit deutschen Waffen gerettet werden können, darf man genau so wenig die Augen verschließen, wie vor den möglichen Folgekonflikten, die ein Export von Rüstungsgütern in die Region nach sich ziehen könnten.

Ein solch aufgeheiztes Spannungsfeld lässt nur wenig Raum für Sachargumente, die aber notwendiger sind denn je. Im Falle von Konflikten wie im Nordirak sind die Schlüsselfragen jedoch andere.

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