Ralph Diermann

Freier Energiejournalist, München

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Stadtwerke-Renaissance: Angriff auf die Energie-Giganten

Olfen, Ascheberg, Havixbeck, Billerbeck, Nordkirchen, Senden, Rosendahl, Lüdinghausen: Diese Kommunen machen gemeinhin eher selten Schlagzeilen in überregionalen Medien. Doch das ändert sich jetzt: Denn die acht aus dem Münsterland nehmen es mit einem Giganten der Energiebranche auf. Sie wollen RWE die Stromversorgung in ihrer Region entreißen.

Im vergangenen Sommer haben die Kommunen gemeinsame Stadtwerke gegründet; 2013 wollen sie zusammen mit einem Partner das lokale Stromnetz des Energiekonzerns übernehmen. Es ist ein ungleicher Kampf: In den acht Kommunen leben insgesamt 115.000 Einwohner, RWE beschäftigt allein 65.000 Mitarbeiter.

Dennoch liegt die Initiative im Trend. Seit eine Gruppe von Stadtwerken dem Energieriesen E.on für 2,9 Milliarden Euro die Versorgergruppe Thüga abgekauft hat, wollen Kommunalpolitiker landauf, landab ins Energiegeschäft einsteigen. "Jede Verwaltung, die verantwortungsvoll agiert, setzt sich heute mit dem Thema auseinander", sagt der Rechtsanwalt und Energieexperte Christian Marthol von der Kanzlei Rödl & Partner.

Tatsächlich sind die Chancen für einen Einstieg ins Energie-Business so günstig wie lange nicht mehr. Allein in den nächsten zwei Jahren enden etwa 2000 Konzessionsverträge, mit denen Städte und Gemeinden Anfang der neunziger Jahre ihre Strom- und Gasnetze in die Hände privater Energieversorger gegeben haben. Damals galt Energieversorgung vielen Kommunen als lästige, kostspielige Aufgabe und der Verkauf der eigenen Netze als attraktive Einnahmequelle.

Großeinstieg in den Energiemarkt

Jetzt denken die Gemeinden anders: Strom gilt wieder als attraktive Investition. Stromnetze als Infrastruktur, mit der sich gutes Geld verdienen lässt. Ihre Umsatzrendite liegt oft bei sechs bis sieben Prozent.

Zudem können die Städte und Gemeinden mit dem Rückkauf der Stromnetze ihre Klimabilanz aufpolieren. Sie können Ökostrom am Markt einkaufen oder selbst produzieren und diesen dann über die eigenen Netze vertreiben. "Viele Kommunen wollen erneuerbare Energien fördern und den Bau von Biogas- oder Solaranlagen forcieren. Die Netzübernahme ist da nur der erste Schritt; der zweite ist oft der Aufbau eines Vertriebs sowie eigener Anlagen zur Energieproduktion", erklärt Marthol.

Etwa an der Elbe: Hier gewinnt das im vergangenen Jahr gegründete Kommunalunternehmen Hamburg Energie zurzeit täglich zwischen 50 und 100 neue Stromkunden. Die Energie stammt aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Wasserkraftwerken und eigenen Windkraft- und Solaranlagen. Wenn die Konzessionsverträge mit Vattenfall Ende 2014 auslaufen, könnten die Stadtwerke auch das Stromnetz übernehmen. "Die Stadt prüft das gerade", sagt Unternehmenssprecher Carsten Roth.

Der Konflikt der kommenden zwei Jahre ist damit vorgezeichnet. Viele Kommunen dürften die Konzessionen der Stromriesen für die Netze nicht verlängern - und die Energieversorger versuchen, vor dem Verlust der Netze noch einmal abzusahnen. In der Zeit, in der sie über die Infrastruktur verfügten, haben sie die Netze ausgebaut - jetzt verlangen sie von den Kommunen dafür eine Gegenleistung.

Millionenpoker ums Stromnetz

Im nordhessischen Wolfhagen etwa zogen sich die Verhandlungen zwischen den Stadtwerken und E.on über den Rückverkauf der Netze über fünf Jahre hin. In Springe bei Hannover trugen die Kommunen ihren Streit mit E.on um den Wert des Netzes gleich vor Gericht aus. Am Bodensee, wo sieben Gemeinden die Strom- und Gasnetze von EnBW übernehmen wollten, konnte erst die Bundesnetzagentur den Konzern zur Rückgabe bewegen.

Der Verhandlungspoker mit den Konzernen ist nur eine von vielen Hürden, die die Kommunen auf dem Weg zur Energiemacht nehmen müssen. Immerhin wollen sie sich auf einem hart umkämpften Markt betätigen, Profis mit großem Wissensvorsprung die Stirn bieten.

Die Energieriesen kämpfen erbittert um Kunden, zudem gibt es juristische Risiken bei der Übernahme: So existieren keine Präzedenzurteile zur Berechnung des Werts der Netze. Auch technisch ist die Übernahme kein Kinderspiel; die Entflechtung der Netze könne sehr aufwendig und teuer sein, sagt Energieexperte Marthol. Den Kommunen fehlt zudem oft die Kompetenz für den Netzbetrieb - dabei stehen sie gerade in diesem Bereich vor großen Herausforderungen.

Die dezentrale Einspeisung von Strom etwa aus Solaranlagen und Windrädern nimmt rapide zu. Die Energieversorgung wird dadurch unbeständiger, die Netze müssen immer größere Stromschwankungen ausgleichen. Ihre Aufrüstung zum sogenannten Smart Grid (siehe Fotostrecke) dürfte viele Milliarden Euro kosten.

Die Konzerne warnen ihre potentiellen künftigen Konkurrenten schon mal vor: "Kommunen, die ein Strom- oder Gasnetz übernehmen, müssen erst einmal den Kaufpreis für die Anlagen bezahlen", sagt RWE-Sprecher Wolfgang Schley. "Sie übernehmen unternehmerische Verantwortung, mit Chancen, aber eben auch mit technischen und wirtschaftlichen Risiken."


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