Ralph Bauer

Freier Redakteur, Würzburg

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Teilen, tauschen und verschenken

Sie sind der Gegenentwurf zur Kommerzialisierung: Würzburg ist mit zahlreichen Gruppierungen eine Hochburg in Sachen Tauschkultur und Nachhaltigkeit. Ein Überblick.


von Ralph Bauer


Drei, zwei, eins ... meins". Einige Jahre lag Deutschland im Ebay-Fieber, was etwa bei Wohnungsauflösungen nur halbwegs monetarisierbar zu sein schien, wurde im Online-Auktionshaus versteigert. Doch seit einigen Monaten setzt sich vor allem in den sozialen Netzwerken ein Gegenentwurf zur Kommerzialisierung durch, hin zu Nachhaltigkeit und einer Tauschkultur.


2012 etwa startete in Facebook der „Fair-Teiler", inzwischen ist dessen Würzburger Ableger der aktivste in ganz Deutschland. Über 34.000 Mitglieder bieten hier für kleines Geld, gegen einen symbolischen Preis oder sogar umsonst Dinge an, für die sie selbst keine Verwendung mehr haben. „Das ist der Gegenentwurf zum klassischen Ebay", kommentiert Dominik Sennes, der als Geschäftsführer für die verschiedenen Plattformen verantwortlich zeichnet.

„Die Gruppe in Würzburg ist mit Abstand die größte", gibt er Auskunft. Fünf bis sieben Administratoren kümmerten sich täglich mehrere Stunden um das Einhalten der Regeln auf der Plattform. Dazu zählt unter anderem eine feste Preisvorstellung, das Verbot des Verkaufs von Tieren und Medikamenten. Zudem sind professionelle Händler unerwünscht. „Wenn uns das auffällt, fliegen die schon raus", bekräftigt Sennes.


Die Würzburger Gruppe sei vom Handling inzwischen fast zu groß, nicht zuletzt durch den ungebrochenen Ansturm. Der war so groß, dass es vor einigen Monaten sogar eine Aufnahmesperre gab. „Es gibt sicher ein erhöhtes Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen, aber auch immer mehr Menschen, die in finanziellen Nöten sind und darauf angewiesen", begründet er die hohe Zahl von Mitgliedern. So bekam etwa eine Hartz IV-Empfängerin von einer älteren Dame deren Flachbildfernseher wegen eines Neukaufs. Der „Preis" für den Bildschirm: Die überglückliche Frau überreichte der Spenderin einen Strauß Blumen. Wenn es nach Sennes geht, würde im Fairteiler noch viel mehr getauscht, geliehen und verschenkt: „Das braucht aber leider noch seine Zeit."


Zumindest dem Namen nach etwas weiter ist hier die Gruppe „Fair Tauschen Teilen Würzburg", ebenfalls in Facebook. Sie hat aktuell etwas mehr als 2.100 Mitglieder. Auf die Idee dazu kam Rosario Di Dio nach eigenen Angaben, als er seinen Keller ausmistete. Und so manches zum Vorschein kam, was eigentlich zum Wegwerfen zu schade ist. Verkaufen wiederum wollte er die Sachen auch nicht: „Man muss nicht mit allem Geld machen."

Das dachten sich auch die Gründer der Gruppe „Tauschen und Schenken in und um Würzburg". Oft könnten andere die Dinge gut gebrauchen, die uns nur im Weg herumstehen, heißt es in der Seiteninfo. „Deshalb: Alle Dinge, die weg wollen/sollen hier einstellen. Vielleicht findet sich jemand, der das Teil abholt und/oder etwas Nettes dafür vorbeibringt". Das sehen offenbar viele Würzburger ähnlich, denn die Gruppe hat inzwischen fast 5.200 Mitglieder.


In Form eines stationären Handels findet sich diese Idee im„Luftschloss", dem Würzburger Umsonstladen, neben der Posthalle am Hauptbahnhof. Er feiert Mitte Februar seinen dritten Geburtstag. Der Laden führt ein komplett kostenloses Sortiment und richtet sich an „ökologisch bewusste Menschen, Menschen mit zu wenig Stauraum, Menschen mit kleiner Kasse und alle anderen die sich bisher noch nicht angesprochen fühlen". Nach dem Recycling Prinzip können dort brauchbare, also funktionstüchtige und saubere Dinge, abgegeben und andere kostenlos mitgenommen werden.

Ein Mann der ersten Stunde im „Luftschloss" ist Peter Ostenrieder. In anderen Umsonstläden der Republik dürften die Kunden nur eine halbe Stunde bleiben oder maximal drei Gegenstände mitnehmen. „Bei uns gehen die schon mal mit Tüten voll raus", sagt er grinsend. Allerdings rede er einigen Besuchern schon ins Gewissen, nur solche Dinge mitzunehmen, welche sie auch wirklich persönlich benötigten.


Was im Laden alles umgesetzt wird, erstaunt selbst Ostenrieder: „Bei manchen Dingen denke ich mir, dass das nie raus geht. Und eine Stunde später ist es dann weg." Das Luftschloss ist nicht nur ein Umsonstladen, sondern Plattform für Austausch über die Nachhaltigkeit und Umweltschutz. So gibt es regelmäßig Workshops, Vorträge und Fahrradreparaturkurse.

Ebenfalls auf Selbsthilfe, aber in einem ganz speziellen Bereich setzt die Computerspende Würzburg, inzwischen aufgegangen im Verein „angestöpselt". Er kümmert sich darum, dass Bedürftige einen eigenen Computer bekommen. Eigens dafür gespendete ausgemusterte PCs von Firmen und Privatleuten werden umgebaut bzw. ergänzt mit fehlenden Komponenten wie Festplatten, Druckern und Bildschirmen. Für ALG-II-EmpfängerInnen gibt es die Computersysteme kostenlos gegen einen entsprechenden Nachweis. Das Engagement brachte dem Verein den Würzburger Bürgersozialpreis 2014.


Anfangs, im Februar 2011, habe man die Computer in einem Keller zusammengebaut und aus dem Kofferraum verteilt, erinnert sich Christoph Fischer, neben Steffen Hock Gründer des Würzburger Ablegers der „Computerspende Hamburg". „Wir hatten aber schon welche, die den PC samt Tastatur und Bildschirm auf dem Fahrrad heimgefahren haben", sagt der Vorstandsvorsitzende Hock. Er gehört übrigens zu den Administratoren der oben schon benannten Facebook-Gruppe „Tauschen und Schenken in und um Würzburg".

Zu den Öffnungszeiten montags und mittwochabends herrscht in dem Räumen in der Frankfurter Straße heftiges Gedränge. Im Gegensatz zu früher, wo Interessenten teilweise Wochen warten mussten, um ein System zu bekommen, stehen aktuell laut der stellvertretenden Vorsitzenden Michaela Keupp so viele PCs bereit, dass Kunden gleich bedient werden können. „Wir haben im Januar bereits 25 Rechner ausgegeben, das wären 200 im ganzen Jahr", rechnet sie vor. Genauso ungebrochen wie die Nachfrage ist die Spendenbereitschaft. Derzeit gibt es einen Aufnahmestopp für Hardware. Laut Keupp kommen fast alle Kunden aus Würzburg.


Und sie kommen relativ einfach zum PC-System: „Wir wollen nur einen Nachweis, dass derjenige sozialhilfebedürftig ist." Zwischen 450 und 500 Rechnern samt Bildschirm und Drucker hat der Verein inzwischen ausgegeben. Gewachsen ist auch die Zahl der Helfer, momentan engagieren sich in „angestöpselt" 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Alle acht Wochen bieten die Experten bei Infoabenden kostenlose Hilfen rund um den PC an.

Das Engagement des Vereins weiß die Stadt Würzburg durchaus zu schätzen. „In unserer digitalisierten Welt bedeutet der Zugang zum Internet Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in nie gekannter Form", betonte Robert Scheller, früherer Sozialreferent und inzwischen Stadtkämmerer bei der Verleihung des Bürgersozialpreises. Gleichzeitig sorge der Verein durch die Weiterverwendung der Geräte dafür, Elektroschrott zu vermeiden und die Umwelt zu schonen.

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