Ralph Bauer

Freier Redakteur, Würzburg

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Wenn Berufssoldaten den Kriegsdienst verweigern

Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer bei der Bundeswehr steigt wieder. In Würzburg hat ein 32-Jähriger nun die Sache vor Gericht ausgefochten. Er erzählt, warum er den Beruf nicht mehr ausüben will. Von Ralph Bauer


Die Bundeswehr war immer sein Leben. Schon der Vater war Berufssoldat. Regelmäßige Umzüge durch ganz Deutschland, drei Jahre in Kanada - er kannte es nicht anders. Marcel Schmidt trat in die Fußstapfen des Vaters, stieg auf bis zum Kompanieführer und Hauptmann. Doch hinter der Fassade des ehrgeizigen Soldaten, der immer ausgezeichnete Beurteilungen erhielt, wuchsen allmählich Zweifel, so sagt er es jedenfalls.

Was, wenn der Ernstfall einträfe: Das Töten von Menschen?


Mit der Geburt seiner Tochter Fiona im Februar 2013 legte sich dann für den 32-Jährigen endgültig ein Schalter um: "Meine Tochter hat mir gezeigt, wie wertvoll ein Menschenleben ist. Ich möchte nicht mehr in eine Situation geraten, in der ich darüber zu entscheiden habe", sagt Marcel Schmidt.


Es war das Schlusswort des gebürtigen Hannoveraners in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Würzburg, das er in der vergangenen Woche gegen die Bundesrepublik Deutschland geführt hat. Er klagte auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, welche ihm das zuständige Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (Bafza) in Köln verweigert hatte. Für die Anerkennung müssen Berufssoldaten entweder ein einschneidendes Erlebnis vorweisen oder einen länger anhaltenden Prozess der Erkenntnis.

Persönliche Erlebnisse führen zu Verweigerung


Marcel Schmidts Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ist kein Einzelfall. Die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten, die den Kriegsdienst verweigern, steigt wieder. Waren es im Jahr 2012 noch 266 Anträge, beantragten 2013 aufgrund ihres Gewissens 310 Soldaten, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden, wie das Bundesverteidigungsministerium auf Anfrage der "Welt" mitteilte. Der Höchstwert lag hier 2010 bei 373 Anträgen.

Aktuell dienen in der Bundeswehr rund 53.000 Berufs- und 121.000 Zeitsoldaten. Auffällig an der Statistik ist, dass vom ersten Quartal 2013 die Anerkennungsquote von 83 Prozent bis zum vierten Quartal auf unter 40 Prozent fiel. Insgesamt sank der Wert von 80 Prozent im gesamten Jahr 2012 auf gut 60 Prozent im vergangenen Jahr. Wobei noch einige Fälle wegen Widerspruchsklagen anhängig sind.


Dass Berufssoldaten den Kriegsdienst verweigern, hat verschiedene Gründe. Für etliche ist der veränderte Auftrag der Bundeswehr, die vielen Auslandseinsätze ausschlaggebend. Töten oder im Einsatz getötet werden ist nun wahrscheinlicher geworden und nicht länger eine theoretische, aber praktisch kaum eintretende Möglichkeit. Einige Soldaten führen zudem persönliche Erlebnisse an, die ihre Einstellung zum möglichen Kriegseinsatz verändert habe.


Wie auch Beamte können Berufssoldaten nicht einfach kündigen, höchstens ihre Entlassung beantragen. Diese muss laut Soldatengesetz unter anderem erfolgen, wenn man als Kriegsdienstverweigerer anerkannt ist. Soweit eine militärische Ausbildung mit dem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war, darf der Soldat frühestens zehn Jahre nach seiner Verpflichtung eine Entlassung beantragen.


Marcel Schmidt zum Beispiel sagt, dass es nicht nur die Geburt seiner Tochter war, die ihn zum Umdenken brachte, sondern dass sie "nur eine Perle in einer längeren Kette gewesen" sei. Der Selbstmord seines unheilbar an Krebs erkrankten Großvaters, der sich im April 2008 erschoss, sei ein weiteres einschneidendes Ereignis gewesen. Danach habe er nie wieder eine Waffe bei Übungen abfeuern können und seine Gefühle mit Alkohol unterdrückt.

"Der Wehrdienst wird gemacht, das gehört sich so"


Als bei einer Sanitätsausbildung Bilder von massenhaft verwundeten Soldaten gezeigt wurden, habe das bei ihm großen Ekel geweckt. Plötzlich wurde bei Schießübungen auch nicht mehr auf anonyme Scheiben gefeuert, sondern auf menschliche Umrisse. "Die Bundeswehr ist mit dem, wofür sie steht, nicht mehr das, wofür ich leben möchte", fasst er es zusammen. Bis zur Erkenntnis, dass er keinen Menschen töten könne, sei es ein "steiniger Weg" gewesen.


Anfangs war Schmidt begeistert vom Abenteuer, der Kameradschaft und auch den Einkommensmöglichkeiten. Obgleich er angesichts des sozialen Berufes seiner Mutter eigentlich habe verweigern wollen. Sein Vater aber gab die Richtung vor: "Der Wehrdienst wird gemacht, das gehört sich so."


Als er ihn lockte mit einem Studium an der Bundeswehrhochschule, stimmte Marcel Schmidt 2001 zu und verpflichtete sich zunächst als Zeitsoldat bis Juni 2009. Danach unterschrieb er als Berufssoldat, sein Dienstzeitende wäre im Februar 2037. Momentan ist er im Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr in Köln eingesetzt in einer, wie er sagt, "Bürotätigkeit ohne Außenwirkung".


Uniformen kann er nach eigenen Worten nicht mehr sehen, Erkrankungen wie unerklärliche Rückenschmerzen erklärt er sich mit seiner Zerrissenheit zwischen Gewissen und Beruf.


Zahlreiche Fälle wie der von Marcel Schmidt


Die schien ihm Richter Volker Wirths durchaus zu glauben, wie er zum Abschluss der Anhörung andeutete. So habe die Verknüpfung mit der Verweigerung "schon eine gewisse Plausibilität".


Die Vertreterin des zuständigen Bundesamtes Bafza dagegen hatte auch nach der mündlichen Verhandlung am Dienstag kein Verständnis für Marcel Schmidt. Es fehle jegliche Reflexion, die Geburt der Tochter habe nichts zu tun mit dem Kriegsdienst an der Waffe. "Ich habe selten einen Antrag gelesen, der so voller Widersprüche ist", sagte Dorothee Wurms.

Marcel Schmidts Anwalt Thomas Bayer sieht bei seinem Mandanten dagegen gleich zwei statt nur einem notwendigen Kriterium für eine Anerkennung: den allmählichen Gesinnungswandel und das Schlüsselerlebnis. Bayer sagt, er kenne etliche Fälle wie den von Marcel Schmidt, auf seinem Schreibtisch lägen in diesem Jahr noch 220.


Für "typisch" hält er auch den Fall eines 26-Jährigen aus Oberfranken, der ebenfalls in dieser Woche in Würzburg verhandelt wurde. Der Oberfeldwebel hatte sich 2005 als Zeitsoldat bis zum September 2017 verpflichtet als IT- und Netzwerkspezialist. Bis zum März letzten Jahres sei er kaum mit Waffen in Berührung gekommen oder gar mit dem Thema Tod konfrontiert worden.


Der Computerexperte hatte nun ein Gewehr


Dann rückte beim Logistikbataillon in Volkach plötzlich das Thema Auslandseinsätze in den Fokus. "Der Computer wurde mir weggenommen und plötzlich die Waffe in die Hand gedrückt. Das war eine ganz andere Bundeswehr", erinnert sich Richard L. vor Gericht an das Outsourcing des IT-Bereiches an ein privates Unternehmen. Einen Feind tatsächlich zu töten, wie es in den Schießübungen inzwischen geübt werde, sei dagegen nie in Frage gekommen für ihn: "Ich weiß, dass ich es nicht kann."

Weil eine Angststörung und Panikattacken bei ihm diagnostiziert wurden, ist er seit September krank geschrieben.


Anwalt Bayer, einst Hauptmann der Reserve und Afghanistanveteran, sagt, er sei mit ähnlichen Soldaten, die bislang kaum etwas mit Waffen zu tun hatten, selbst im Einsatz gewesen. Er berichtet von Kameraden, die auf einem Markt in Afghanistan in Panik gerieten, weil ein Einheimischer ein Kofferradio bei sich hatte, welches sie für eine Bombe hielten. "Wir müssen uns auf jeden einzelnen Mann absolut verlassen können", sagt er.

Berufsbilder wie das seines Mandanten seien früher im wahrsten Sinne des Wortes "ganz weit weg vom Schuss" gewesen. "ITler kämpfen mit der Tastatur, nicht mit ihrem Gewehr", sagt er. Nun werde er wie viele Kollegen "ganz vorne an die Front gestellt".

Entscheidung für den Soldaten


Den Einwand der Behördenvertreterin, der Oberfeldwebel sei ja schließlich aufgeklärt worden über einen möglichen Auslandseinsatz, entkräftet er: "Wenn ich als ITler unterschreibe, dass ich ins Ausland muss, habe ich nicht automatisch das Bild vor Augen, dabei auf einen Taliban schießen zu müssen". Bestimmte US-Spezialisten zum Beispiel müssten nie das Lager verlassen.


Das Gericht stellte zum Ende des Verfahrens schließlich die berechtigte Frage: "Was will die Bundeswehr mit Soldaten, die eine solche Grundhaltung haben?"

In den beiden Fällen entschieden die Richter schließlich zugunsten der Berufssoldaten. Ihren Klagen auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer wurde stattgegeben, eine Revision nicht zugelassen. Die Kosten für das Studium bei der Bundeswehr müssen sie allerdings zurückzahlen.

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