Ralf Nestler

Wissenschaftsjournalist, Wandlitz

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Artikel

Wie der Schiffsverkehr klimafreundlich werden will

Bei Autos, Lkw und Eisenbahnen ist es längst erkannt, der Verkehr muss klimafreundlicher werden. Politik und Industrie forcieren einen Umbau. Beim Luftverkehr und insbesondere der Schifffahrt tüfteln die Ingenieure zwar ebenfalls, doch der politische Druck ist noch gering und technische Lösungen lassen sich nur erahnen.

Dabei ist offenkundig wie bedeutsam die Branche ist. 90 Prozent der international gehandelten Güter werden per Schiff transportiert. Die Seeschifffahrt stößt jährlich 940 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO₂) aus. Das ist mehr als die gesamte Bundesrepublik emittiert und macht beim weltweiten Ausstoß knapp drei Prozent aus. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation will die CO₂-Emissionen bis 2050 auf die Hälfte des Standes von 2008 senken. „Nicht genug“, meint der Welt-Reederverband ICS und drängt auf Klimaneutralität bis 2050.

Das heißt: Es muss eine Alternative her für schwerölgetriebene Motoren. Zwar wird an Technologien mit Methanol, Ammoniak und weiteren Energieträgern geforscht. Doch alle haben ihre Nachteile, keine erscheint als naheliegende Lösung wie es die Elektrifizierung beim Gros der Pkw ist. Und die Technologie muss schnell einsatzfähig sein. Soll die Flotte Mitte des Jahrhunderts „grün“ sein, dürfen schon Ende dieses Jahrzehnts nur noch klimafreundliche Schiffe vom Stapel laufen.

Ein Schritt in diese Richtung sind Antriebe mit verflüssigtem Erdgas (LNG), die seit einigen Jahren laufen: vor allem in LNG-Tankern, die Teile ihrer eigenen Ladung verbrennen, sowie manchen Container- und Kreuzfahrtschiffen. Verglichen mit Schweröl werden viel weniger Stickoxide, Ruß und Schwefeloxide freigesetzt, der Ausstoß an Treibhausgasen ist um bis zu ein Viertel geringer. Aber nur, wenn alles dicht hält. LNG besteht hauptsächlich aus Methan, das rund 25-mal klimaschädlicher ist als CO₂. Schon kleine Lecks können dazu führen, dass der Klimavorteil dahin ist. Das gilt auch für Biomethan, das den „fossilen“ Treibstoff in solchen Schiffen ablösen soll.

Methanol verspricht besser handhabbar zu sein. Als Grundchemikalie wird es weltweit genutzt, der Umgang damit ist routiniert. Wird der Alkohol aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt, ist auch die Klimabilanz günstig. Vorteilhaft ist, dass existierende Schiffe relativ leicht auf den Treibstoff umgestellt werden können und die Lagerung wenig kostet, wie der Ingenieurdienstleister DNV in einem Vergleich verschiedener Antriebe darlegt.

Methanol wird bereits seit 2015 auf dem Fährschiff „Stena Germanica“ zwischen Kiel und Göteborg genutzt. Auch der 35 Meter lange Forschungskutter „Uthörn“ des Alfred-Wegener-Instituts, der 2022 in Dienst gestellt werden soll, wird über einen Methanolantrieb verfügen. Maßgeblich ist jedoch, wie sich die großen Akteure entscheiden. Die dänische Reederei Maersk hat im Sommer mitgeteilt, acht große Containerschiffe mit einem solchen Antrieb bei Hyundai bestellt zu haben. Sie sollen Anfang 2024 fertig sein, zusätzlich gibt es eine Option auf vier weitere Schiffe für 2025.

Maersk-Chef Søren Skou ist überzeugt, dass fossile Verbrenner aus dem Schiffsverkehr verschwinden müssen. Die Methanol-Entscheidung hat in der Branche Gewicht. Der Weg dorthin ist aber teuer. Der Ökosprit kostet laut Skou zwei- bis dreimal so viel wie herkömmlicher Schiffsdiesel. Umgerechnet auf die transportierten Waren falle das kaum ins Gewicht, erklärte er in einem „Spiegel“-Interview . Bei einem Paar Turnschuhe mache der klimafreundliche Transport höchstens zehn Cent aus.

Das größere Problem besteht darin, ausreichend „grünes“ Methanol zu beschaffen. Allein Maersk wird 400.000 Tonnen pro Jahr benötigen; werden weitere Schiffe umgerüstet entsprechend mehr – erst recht, wenn weitere Reedereien nachziehen. Um dieses herzustellen, braucht es Kohlenstoff aus Biomasse und Wasserstoff. Der ist klimafreundlich aus der Elektrolyse von Wasser zu haben, wenn der Strom aus Kernkraftwerken oder erneuerbaren Quellen stammt. Doch die Öko-Option ist vertrackt.

„Große Mengen regenerativer Energie dürften künftig in Saudi-Arabien und Nordafrika erzeugt werden“, sagt Alexander Dyck, Leiter des Instituts für Maritime Energiesysteme im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Geesthacht. „Dort gibt es aber viel Wüste und nur wenige Pflanzen.“ Woher solle also der Kohlenstoff für Methanol kommen? Eine Alternative wäre CO₂ aus der Luft zu holen. „Das ist aber sehr energieintensiv und steigert nochmals die Kosten.“

Das Kohlenstoffproblem umgeht, wer die Ammoniak verwendet. Um ihn herzustellen braucht es neben Wasserstoff nur Stickstoff aus der Luft. Wieder stehen auf der Plusseite die Erfahrungen der Chemieindustrie im Umgang damit. Als weltweit gehandelter Stoff ließe sich auch die Infrastruktur, sprich: Tankmöglichkeiten, zumindest für große Häfen bereitstellen.

Dagegen spricht, dass Ammoniak ätzend ist, sobald er mit Feuchtigkeit reagiert, etwa auf der Haut. Eingeatmet kann er zum Atemstillstand führen. Glücklicherweise sind Lecks rasch zu erkennen, an einem stechenden Geruch. Für Kreuzfahrtschiffe ist der Stoff also eher nichts, im internationalen Warenverkehr hingegen schon.

Aber die Technik ist noch weiter zurück als bei Methanol, es gibt noch nicht mal Schiffsmotoren, die damit laufen. Daran arbeitet MAN Energy Solutions in Kopenhagen. Ihr Testmotor ist fünf Meter lang und zehn Meter hoch. „In einem Hochseeschiff werden Aggregate sein, die drei- oder viermal so groß sind“, sagt Peter Kirkeby, Principal Promotion Manager. Zum Lernen und Optimieren genügt die kleine Variante. Die Ingenieure suchen unter anderem nach der passenden Treibstoffmischung, denn mit Ammoniak allein läuft der Zweitakter nicht. Rund fünf Prozent Öl müssen als „Zündhilfe“ beigemischt werden. „Dieser Anteil könnte künftig durch Biotreibstoffe ersetzt werden.“

Ein weiteres Forschungsthema sind Stickoxide, die bei der Verbrennung entstehen und gering gehalten werden müssen. Insbesondere Lachgas (N₂O) ist als Treibhausgas unerwünscht. Man wolle die Verbrennung so steuern, dass möglichst wenig Lachgas gebildet werde, sagt Kirkeby. „Eine Abgasnachbehandlung wäre zwar auch denkbar, aber die macht alles noch komplizierter, darauf möchten wir gern verzichten.“

2024 soll der Motor serienreif sein, 2025 könnte das erste Schiff damit fahren. Und wo soll es tanken? „Das klassische Henne-Ei-Problem“, sagt Kirkeby. Ohne Infrastruktur für Treibstoffe keine Schiffe und umgekehrt. Zunächst, schätzt er, werden Ammoniakfrachter damit betrieben, so wie es anfangs bei LNG war. Dann ziehe auch die Infrastruktur nach. „Vor allem in der Containerbeförderung, wo viel Ladung bewegt wird und hohe Geschwindigkeiten gefahren werden, kann Ammoniak eine klimafreundliche und machbare Alternative zu Schiffsdiesel sein.“

Klar ist: Aufgrund der geringeren Energiedichte müssten methanol- und ammoniakbetriebene Schiffe größere Tanks haben als Schwerölverbrenner und sie müssen häufiger tanken. „Sie müssen dazu aber nicht extra einen Hafen anfahren, es dürfte genügen das während des Be- und Entladens zu erledigen“, sagt Kirkeby.

Die dritte Option ist Wasserstoff, der in einer Brennstoffzelle umgesetzt wird, um Schiffe anzutreiben. Auch hier erscheinen Wasserstofftanker als logische Anwendungen , die den Weg für weitere Schiffstypen bereiten. Wasserstoff lässt sich aber noch schwerer in Tanks und Leitungen halten als Erdgas und ist noch leichter entzündlich. Daher ist noch viel Entwicklungsarbeit nötig, um den Treibstoff sicher zu handhaben – so lautet das Fazit eines DNV-geführten Firmenkonsortiums, das sich jüngst eingehend mit dem Thema befasst hat.

Welcher der drei Treibstoffe sich durchsetzen wird, kann derzeit keiner vorhersagen, was die Branche verunsichert: Auf welche Technologie soll man nun setzen? Groß ist die Angst, in eine Sackgasse zu investieren.

Es sei sinnvoll, Schiffe so zu planen, dass sie umgerüstet werden können, meint der DLR-Experte Alexander Dyck. „Der Standard ist heute eine Bodenplatte, auf die man Motor und Welle setzt.“ Das sei billig, aber unflexibel, weil die Aggregate kaum zu wechseln sind. „Besser wäre es, Schiffe grundsätzlich zu elektrifizieren.“ Die Schiffspropeller werden also von einem Elektromotor angetrieben, der den Strom von einem Generator bezieht. Dieser kann flexibel an Bord integriert und gegebenenfalls getauscht werden – je nachdem, ob er mit Methanol oder Ammoniak betrieben wird oder als Brennstoffzelle ausgelegt ist. „Das löst das Dilemma, sich auf einen bestimmten Antrieb festlegen zu müssen“, erklärt Dyck. „Ich erkaufe mir damit weitere Optionen für die Zukunft.“

Erschienen am 8. Dezember 2021.
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