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Funke-Zeitung behandelt Redakteurin tendenziös

Die Thüringer Mediengruppe des Funke-Konzerns will eine Redakteurin loswerden, die gegen die publizistischen Leitlinien ihrer Zeitung verstoßen haben soll. Die beanstandeten Artikel zu den Grundrechtseinschränkungen des letzten Winters wurden nun aber in einem Urteil des Arbeitsgerichts Gera am 24. November für in Ordnung befunden und die Kündigungsschutzklage der Journalistin erfolgreich beschieden.

Der Fall hat zum einen prinzipiell eine tiefere Bedeutung. Medienunternehmen dürfen Angestellten kündigen, wenn diese Beiträge veröffentlichen, die der politischen Ausrichtung des Mediums entgegenstehen. Das wird Tendenzschutz genannt. Zum anderen wurde die Bewegung, die im Winter 2021/22 auf den Straßen vieler Städte gegen die Außerkraftsetzung der Versammlungsfreiheit und anderer Grundrechte protestierte, von den meisten Zeitungen und im staatlichen Rundfunk tendenziell als undemokratisch, jedenfalls eine Bedrohung für die Allgemeinheit behandelt.

Geklagt hatte Sylvia Eigenrauch, Redakteurin der zum Funke-Konzern gehörenden „Ostthüringer Zeitung" (OTZ). Die seit 1988 bei der Zeitung tätige und seit 2011 als Lokalchefin für Gera und später auch andere Kommunen fungierende Journalistin hatte wegen zweier Artikel ihre Anstellung verloren.

Der erste Stein des Anstoßes war eine Kolumne Eigenrauchs in der Ausgabe vom 29. Januar. Darin schrieb die Redakteurin über einen „Montagsprotest", der von der Polizei „auf dem Platz am Theater festgehalten werden" sollte, was nicht gelungen sei, so dass Protestierende in Gruppen durch die Straßen ziehen konnten. Eigenrauch hielt fest: „Ja, die Demonstrationen sind weiter nicht angemeldet. Doch kein Mensch ist illegal. Das Versammlungsrecht ist ein Abwehrrecht gegen den Staat und dazu gemacht, dass sich Minderheiten Gehör verschaffen können."

Noch vor Erscheinen des Artikels schrieb der damalige OTZ-Chefredakteur Jörg Riebartsch - der kürzlich in Rente gegangen ist - der Autorin per E-Mail, dass ihm der Text missfiel. „75,5 Prozent der Menschen seien geimpft, die Fürsprache der Klägerin für eine lautstarke Minderheit sei nicht erträglich", zitiert das Gericht in der Urteilsschrift diese Nachricht. Der Artikel durfte aber erscheinen.

Der Chefredakteur habe dann am 30. Januar eine „Arbeitsanweisung" an alle Führungskräfte versandt, der zufolge sich die politische Ausrichtung der Zeitung aus dem Pressekodex des Deutschen Presserates, „dem europäischen Gedanken", der „freiheitlich demokratischen Grundordnung" und dem Grundgesetz ergebe, hält das Gericht weiter fest. Zudem sollten Kritisierte - gemeint ist im konkreten Fall der im Artikel erwähnte Oberbürgermeister - zu Wort kommen. Am folgenden Tag schrieb der Chef Eigenrauch, dass ihr Artikel „der Tendenz dieser Zeitung entgegensteht".

Am 4. Februar erschien im Geraer Lokalteil der zweite Stein des Anstoßes: eine ganze Seite über die örtliche Debatte über die Öffnung von Kultureinrichtungen. In einem Artikel kritisierten eine Mutter von Musikschülern sowie die Fördervereine von Volkshochschule, Bibliothek und eines Kunstmuseums, dass die Stadtverwaltung diese Einrichtungen angeblich länger als nötig, und zumindest zum Teil in Abweichung der woanders in Thüringen geübten Praxis geschlossen hielt. Der Zeitungsverlag sprach deshalb am 16. Februar gegen Eigenrauch die außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Knapp zwei Wochen später folgte die ordentliche Kündigung zu Ende September.

Die juristische Positionierung des Verlags gegen Eigenrauchs Klage auf Weiterbeschäftigung fasst das Gericht wie folgt zusammen: „Die Klägerin habe einen groben Verstoß gegen die publizistischen Grundsätze der Beklagten (...) begangen, der die Beklagte ohne vorherige Abmahnung zur Kündigung berechtige. Die Klägerin habe im Artikel vom 29.01.2022 (...) die Fakten nicht überprüft und unvollständig dargestellt sowie das Versammlungsrecht falsch dargestellt und Rechtsverstöße verharmlost. Im Artikel vom 04.02.2022 habe sie entgegen vorangegangener Weisung dem Oberbürgermeister der Stadt Gera keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt, obwohl in diesem Artikel Kritik am Oberbürgermeister geäußert würde."

Das Gericht hingegen sieht keinen Grund für eine „verhaltensbedingte Kündigung". Der Verlag habe zwar mit „großen Worten" die Kodexe des Presserats und der Funke-Medien vorgelegt, aber keine konkreten Stellen angegeben, gegen die Eigenrauch verstoßen haben soll. Auch seine Ausführungen zur eigenen publizistischen Tendenz „verbleiben im Ungefähren". Die „Ausführungen zum Stellungnahme-Recht Dritter" - also bezüglich des kritisierten Oberbürgermeisters - hätten „mit inhaltlichen Vorgaben im Sinne einer politisch-publizistischen ‚Leitlinie' nichts zu tun". Ohnehin habe der OB auf derselben Zeitungsseite in einem anderen Artikel seine Haltung zur Öffnung der Kultureinrichtungen darlegen dürfen.

Auch in der Beurteilung der Einschränkung der Versammlungsfreiheit gibt das Gericht der Redakteurin Recht. Die habe „den von Artikel 8, Grundgesetz, verfassungsrechtlich vorgezeichneten Kern des Versammlungsrechts im Wesentlichen zutreffend erfasst, indem sie das Versammlungsrecht als Abwehrrecht gegen den Staat dargestellt hat." Eigenrauchs Kolumne enthalte „eine auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Versammlungsrechts Bezug nehmende Kritik an dessen Beschränkungen auf Ebene von Rechtsverordnungen und einfachen Gesetzen", was von der Meinungsfreiheit gedeckt sei.

Eigenrauchs Anwalt Lars Hausigk sieht in der Behauptung eines Verstoßes gegen die politische Ausrichtung der Zeitung einen Vorwand, um eine kritische Journalistin loszuwerden. Dass der Verlag nicht zeigen konnte, wogegen seine Redakteurin verstoßen haben soll, ordnet Hausigk gegenüber M online so ein: „Ich habe in 23 Jahren, in denen ich Arbeitsrecht betreibe, nur diesen einen Fall gehabt, wo eine Zeitung oder andere Medien sich auf den Tendenzschutz berufen. Man findet dazu Urteile, aber nicht viele, was wohl vor allem daran liegt, dass es eben wenige Medienhäuser mit einer klaren Tendenz gibt."

Ob Eigenrauch wieder bei der Zeitung arbeiten wird, ist unklar. Ein Abfindungsangebot hat sie laut Anwalt Hausigk abgelehnt. Der Verlag kann bis zum 29. Dezember gegen das Urteil Berufung einlegen. Wie er nun vorgehen wird, sagt Geschäftsführer Michael Tallai gegenüber M online nicht. Eine Anfrage von Donnerstag ließ er trotz telefonischer Nachfrage auch am Montag noch unbeantwortet.

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