Rainer Dr. Werning

Sozial- und Politikwissenschaftler & freier Publizist, Frechen-Königsdorf

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Korea: Staat an der Frontlinie

Hätte es das Diktum "Totgesagte leben länger" nicht längst gegeben, es hätte im Falle der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK - Nordkorea) erfunden werden müssen. Weltweit ist kein Staat samt seiner politischen Führung so häufig totgesagt worden wie Nordkorea und die dort mittlerweile in dritter Generation herrschende Kim-Dynastie. John M. Deutch beispielsweise, der als CIA-Direktor von Mai 1995 bis Dezember 1996 amtierte, hatte Nordkorea nach der Erosion der Sowjetunion entweder als todgeweiht oder selbstzerstörerisch eingestuft, da es angeblich in Südkorea einmarschieren würde. Deutch lag mit seiner Fehlprognose nicht allein. Es gab in jener Zeit zahlreiche hochdotierte Analytiker und "Experten" internationaler Denkfabriken, die ebenfalls die DVRK auf dem absteigenden Ast wähnten oder sie - lieber noch - gleich in den politischen Orkus gewünscht hätten.

Koloniale Erblasten

Nach langjähriger japanischer Kolonialherrschaft (1910-1945) widerfuhr Korea aufgrund seiner geostrategischen Lage das unsägliche "Pech", als Kolonie nun auch noch - anstelle des Aggressors Japan - geteilt zu werden. Die Siegermächte USA und UdSSR hatten sich darauf verständigt, das ostasiatische Land zunächst treuhänderisch zu verwalten. Und das entlang einer sprichwörtlich am Reißbrett gezogenen Linie entlang des 38. Breitengrads. Südlich davon hatten die USA und nördlich davon die Sowjetunion das Sagen.

Schroffe Konflikte waren programmiert, die schließlich im Sommer 1950 zum Bruderkrieg führten, der rasch internationalisiert werden und erst drei Jahre später mit einem Waffenstillstandsabkommen enden sollte. In Südkoreas Metropole Seoul wurde 1945 seitens der US-amerikanischen Militärregierung (USAMGIK) der eigens aus dem Exil eingeflogene antikommunistische Hardliner Rhee Syngman als Führungsperson installiert, während im Norden Kim Il Sung, einer von zahlreichen antijapanischen Widerständlern, zur politischen Leitfigur avancierte. Freilich mit Unterstützung zweier Generäle der Roten Armee: Generalleutnant Iwan Tschistjakow war u. a. Befehlshaber der 25. Armee, die im August 1945 in das Kriegsgeschehen in der Mandschurei eingriff und den Norden Koreas besetzte. Generaloberst Terenti Schtykow war von 1945 bis 1948 de facto Chef der in Nordkorea stationierten sowjetischen Besatzungstruppen und sodann bis 1950 Moskaus erster Botschafter in der DVRK.

Rhee Syngman hatte am 15. August 1948 endgültig die Teilung Koreas besiegelt, als er die Republik Korea (ROK - Südkorea) ausrief. Knapp vier Wochen später zog Kim Il Sung nach und proklamierte in Pjöngjang die DVRK. Südkorea war als antikommunistischer "Frontstaat" par excellence ein Hort der Reaktion, einstige projapanische Kollaborateure wussten sich dort unbehelligt, und die politische Legitimation Rhees blieb stets gering. Kim indes konnte sich immerhin als Nationalist und antijapanischer Partisanenkämpfer präsentieren, der überdies im Einklang mit der sowjetischen Besatzungsmacht seit Frühjahr 1946 eine weitreichende Agrarreform eingeleitet hatte.

So zerstörerisch der Koreakrieg, der offiziell bis heute noch nicht per Friedensvertrag beendet ist, war, so aufgeheizt aggressiv blieb seitdem das bilaterale Klima zwischen Seoul und Pjöngjang. Was nicht ausschloss, dass es zwischenzeitlich kurze Phasen der Entspannung gab, für die beispielsweise Südkoreas Präsident Kim Dae Jung als Architekt einer sogenannten "Sonnenscheinpolitik" gegenüber dem Norden im Dezember 2000 der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde.

Auf die Erosion der Sowjetunion und anderer realsozialistischer Staaten in Osteuropa reagierte Pjöngjang auf seine Weise: Es schottete sich gegenüber der (westlichen) Außenwelt ab, setzte stärker als zuvor auf ideologische Erziehung und Kampagnen, entwarf das Konzept des "Sozialismus in den eigenen Farben" und propagierte den "starken und gedeihenden Staat". Neben der Umbruchphase in Osteuropa gab es in der Volksrepublik selbst schwerwiegende innen- und wirtschaftspolitische Probleme. Die abrupte Umstellung des Handels auf Devisenbasis, immense Rüstungsausgaben sowie komplette Ernteausfälle infolge verheerender Naturkatastrophen führten in einigen abgelegenen Regionen zu akuter Hungersnot und das Land nahezu in den Ruin.

Seit 1994 schwelt ein Konflikt um Nordkoreas Nuklearprogramm, der zumindest bis zum Jahr 2000 deeskaliert werden konnte. Während Pjöngjang sich zu Abstrichen bereit erklärte, erhielt es im Gegenzug immerhin Sicherheitsgarantien im Rahmen eines bilateral mit Washington ausgehandelten "Rahmenabkommens" ("­Agreed Framework"). Im Oktober 2000 weilte sogar die bis dahin höchstrangige US-Delegation unter Leitung von Außenministerin Madeleine Albright zur Staatsvisite in Pjöngjang. Gastgeber Kim Jong Il (1941-2011), Sohn des Staatsgründers und Vater des amtierenden Staatschefs, zeigte sich zuversichtlich, den Atomstreit beilegen zu können.

Diese vielversprechenden Aussichten wurden mit dem Amtsantritt von US-Präsident George W. Bush rasch zunichte gemacht. Für Busch zählte die DVRK zur "Achse des Bösen". Vor allem die von ihm angezettelten Feldzüge gegen Afghanistan und Irak ließen in Pjöngjang die Alarmglocken schrillen. Dort reklamierte man fortan für sich das "Recht auf den Besitz eines größtmöglichen Abschreckungspotentials". Im Klartext: Das eigene Atomprogramm wurde ausgeweitet und das Raketenarsenal beträchtlich aufgestockt, modernisiert und häufig getestet.

Während ausländische Truppen die DVRK nach dem Koreakrieg verließen, verblieben UN-Verbände und US-Truppen (aktuell 28.500 Mann) bis heute ununterbrochen in Südkorea. Es ist ein US-Viersternegeneral (aktuell Paul J. LaCamera), der als unzeitgemäßer Prokonsul im gut 60 Kilometer südlich von Seoul gelegenen Hauptquartier Camp Humphreys residiert, der weltweit größten US-Militärbasis außerhalb des nordamerikanischen Kontinents.

LaCamera ist in Personalunion Oberkommandierender der United States Forces Korea (USFK), des Kommandos der Vereinten Nationen (United Nations Command - UNC) sowie des ROK/U. S. Combined Forces Command (CFC). Im Kriegsfall sind die südkoreanischen Streitkräfte seinem Befehl untergeordnet - eine "Pikanterie", weil so nie genau zu bestimmen ist, wo südkoreanische Innenpolitik endet und faustfeste US-Außen- und -"Sicherheitspolitik" beginnt. Die DVRK hat hautnah allen Grund, sich in Permanenz bedroht zu fühlen.

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