Rainer Dr. Werning

Sozial- und Politikwissenschaftler & freier Publizist, Frechen-Königsdorf

Keine Abos und 0 Abonnenten
Artikel

"Antiterrorkrieg": Mission impossible

Ein Bild, aufgenommen mit einer Nachtsichtkamera, verbreitete sich in Windeseile um den Globus. Es zeigte in verschwommenem Grünton den Befehlshaber der 82. US-Luftlandedivision, Generalmajor Christopher Donahue, wie er als letzter US-Soldat das letzte US-Militärflugzeug bestieg, das in der Nacht vom 30. auf den 31. August vom Kabuler Flughafen abhob. Damit fand auch aus Sicht Washingtons ein 20jähriger Krieg ein Ende, in dem allein mehr als 775.000 US-Soldaten zum Einsatz gekommen waren. Er hinterließ ein verwüstetes und vielerorts vermintes Land, in dem der Löwenanteil der Bevölkerung weitaus schlechter dasteht als zu Kriegsbeginn.

Bereits sieben Tage nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington, am 18. September 2001, hatten das US-Repräsentantenhaus und der Senat mit nur einer Gegenstimme der demokratischen Abgeordneten Barbara Lee aus Kalifornien für die sogenannte Authorization for Use of Military Force (AUMF) votiert. Diese ermächtigte US-Präsident George W. Bush nicht nur, völkerrechtswidrig in Afghanistan einzumarschieren, sondern darüber hinaus zu einem unbefristeten Engagement gegen "diejenigen, die für die jüngsten Angriffe gegen die Vereinigten Staaten verantwortlich sind". Rachegefühle schwangen mit, als Bush schließlich am 20. September 2001 in einer gemeinsamen Kongresssitzung betonte, dass der "Krieg gegen den Terror" "global, offen und verdeckt geführt" werde und "sehr lange dauern" könne.

Das renommierte "Costs of War Project" an der US-amerikanischen Brown University errechnete, dass allein die USA seit dem Einmarsch in Afghanistan im Jahr 2001 2,313 Billionen US-Dollar für den Krieg am Hindukusch ausgegeben haben. In dieser Summe sind weder die Mittel enthalten, die Washington für die lebenslange Versorgung der eigenen Kriegsveteranen aufwenden muss, noch die künftigen Zinszahlungen für das zur Finanzierung des Krieges aufgenommenen Geld. Doch auch die 2,313 Billionen US-Dollar sind nur ein Teil der geschätzten Gesamtkosten in Höhe von acht Billionen US-Dollar für Washingtons Kriege nach "9/11". Acht Billionen US-Dollar - das entspricht der Summe des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der BRD für die Jahre 2021 und 2022!

Sämtliche Sozialindikatoren - wie Armut, Mangel- und Unterernährung, Erwerbslosigkeit und Unterbeschäftigung, Kindersterblichkeit - weisen das Land am Hindukusch heute laut dem in Rom ansässigen Welternährungsprogramm der UNO (WFP) als "Hölle auf Erden" aus: "Eine humanitäre Krise unvorstellbaren Ausmaßes ist seit der Machtübernahme durch die Taliban noch komplexer geworden und hat sich weiter verschärft", heißt es auf der Webseite des WFP. Und weiter: "22,8 Millionen Afghanen - mehr als die Hälfte der Bevölkerung - haben nicht genügend zu essen. (...) Akute Mangelernährung übersteigt in 27 von 34 Provinzen die Notfallschwellenwerte und wird sich voraussichtlich noch verschlimmern." "Hunger und Elend" könnten nun, so befürchtet die International Crisis Group (ICG), "mehr Afghanen töten als alle Bomben und Kugeln der letzten zwei Jahrzehnte". Unausgesprochen bleibt dabei die verheerende Wirkung der vom Westen gegen Afghanistan verhängten Sanktionen. Außerdem haben die USA sieben Milliarden US-Dollar der afghanischen Zentralbank beschlagnahmt.

In Berlin befassen sich derweil ein Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestages sowie eine von ihm vor gut einem Jahr eigens eingesetzte Enquetekommission mit der Frage, welche Lehren aus dem Engagement am Hindukusch für die künftige deutsche Außen- und Sicherheitspolitik zu ziehen sind. Bislang ist dabei vor allem die mangelhafte Koordinierung verschiedener Ministerien in die Kritik geraten. Auch habe man zuwenig über das Land und seine sozialpolitischen Strukturen gewusst. "Kollateralschäden" dieser Ignoranz sind und bleiben noch immer 12.600 einstige afghanische Ortskräfte, denen hoch und heilig schnelle und unbürokratische Hilfe zugesagt worden war. Die aktuelle Debatte um einen schärferen Kurs in der Asyl- und Migrationspolitik lässt da Böses ahnen.

Zum Original