Ragnar Weilandt

researcher & journalist, Brussels

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UK Independence Party: Die Geister, die er rief

© STR New/Reuters

Alan Sked gründete 1993 die Ukip. Heute bezeichnet er sie als sein "Frankensteins Monster" und ihren Anführer Farage als Rassisten. Dennoch ist er stolz auf ihren Erfolg.

Wer sich mit Alan Sked unterhält, triff auf einen angenehmen Gesprächspartner. Der Geschichtsprofessor an der renommierten London School of Economics ist charismatisch, kultiviert und weltoffen. Doch gleichzeitig ist er für eines der großen politischen Erdbeben dieses Jahres verantwortlich: den Sieg der rechtspopulistischen, europafeindlichen UK Independence Party (UKIP) bei der Europawahl in Großbritannien. Denn Professor Alan Sked hat diese Partei gegründet.

Wie wird jemand wie Sked zum Euroskeptiker - jemand, der mehrere europäische Sprachen spricht und 1970 noch für die traditionell proeuropäischen Liberalen fürs Unterhaus kandidierte?

"Damals habe ich den ganzen Föderalismusquatsch noch geglaubt", sagt er heute. Auch deshalb übernahm er 1980 die Leitung des Europastudienprogrammes an seiner Universität. Doch die regelmäßigen Treffen mit EU-Politikern und Bürokraten desillusionierten ihn. Einen italienischen Parlamentarier habe er damals gefragt, ob es im Europäischen Parlament ein Problem mit der Mafia gäbe. "Absolut nicht, gerade einmal ein Dutzend unserer Abgeordneten sind Mafiosi", soll dieser geantwortet haben. Ein anderes Mal erklärte ein Vertreter der EU-Kommission in einem langen Vortrag, warum man in Brüssel besser wüsste als in Dublin, wo in Irland Straßen gebaut werden sollten. "Alle Straßen führen nach Brüssel", habe dieser in Anlehnung an das Römische Reich immer wieder wiederholt. "Irgendwo zwischen dem Italiener und dem Bürokraten bin ich zum Euroskeptiker geworden", sagt Sked.

Vom Europafan zum Europagegner

1988 hielt Premierministerin Margaret Thatcher eine Rede in Brügge, in der sie die zunehmende europäische Integration kritisierte. Davon inspiriert formierte er die Brügge-Gruppe, eine euroskeptische Denkfabrik. Sked war Gründungsmitglied und wurde einer ihrer engagiertesten Aktivisten. Doch obwohl als parteiübergreifende Plattform gedacht, wurde die Gruppe vor allem von Mitgliedern der Konservativen dominiert. Wegen seiner heftigen Kritik an Thatchers Nachfolger John Major kam es zum Streit, Sked wurde ausgeschlossen.

Am Tag seines Rauswurfes traf Sked zum ersten Mal Nigel Farage. Der junge Börsenmakler haderte damit, dass sein Arbeitgeber gerade von einer französischen Bank übernommen worden war. Außerdem hatte Farage das Gefühl, dass vom morgendlichen Apfel zum abendlichen Pub-Besuch jeder Aspekt seines Lebens durch Interventionen aus Brüssel geregelt wurde. Als Sked einige Zeit später die Anti Federalist League (AFL) gründete, fand er in Farage einen begeisterten Mitstreiter.

Bis 1993 setzte sich Sked noch für eine Reform des europäischen Projekts ein. Doch als in diesem Jahr die Europäische Union gegründet wurde, änderte er den Parteinamen in United Kingdom Independence Party - die Briten sollen nun ganz aussteigen. Was die anderen Mitgliedsländer machen, ist ihm zwar egal, doch er glaubt, dass auch sie ohne die EU besser da stünden. Sked schwebt eine Gemeinschaft frei handelnder Länder vor. Das habe schließlich über Jahrhunderte gut funktioniert.

Einfache Parolen

Doch ist die Welt nicht etwas komplizierter geworden? Warum setzt sich die britische Wirtschaft, selbst die Londoner Finanzwelt für den Verbleib in der EU ein? Können europäische Länder langfristig alleine im globalen Wettbewerb mit China oder Indien bestehen? Überzeugende Antworten bleibt Sked schuldig. Wenn es um die praktischen Aspekte der europäischen Integration geht, wartet auch er mit eher einfachen Lösungen auf.

Es wirkt, als seien diese Fragen für den Historiker eher zweitrangig. Seine Ablehnung beruht vor allem auf der Annahme, dass eine europäische Demokratie nicht möglich ist und die europäischen Institutionen deshalb unabhängig von ihrer Funktionalität nie legitim werden können. Daher dürften sie die über Jahrhunderte gewachsene britische Demokratie nicht ersetzen.

Mit seinem intellektuellen Euroskeptizismus ist Sked der Gegenentwurf zu Nigel Farage, den vor allem sein Bauchgefühl anzutreiben scheint. Bei Farage treffen sich britischer Nationalstolz und die Abneigung gegenüber Fremdem und der Moderne. Teile Großbritanniens seien bereits von Immigranten übernommen worden, und er fühle sich unwohl, wenn im Zug andere Sprachen als Englisch gesprochen würden oder in seiner Nachbarwohnung Rumänen einzögen, sagt er in Interviews.

Der Bruch mit Farage

Das Farage politisch weiter rechts steht, war früh klar. Doch dessen Fremdenfeindlichkeit will Sked erst später entdeckt haben. Zum Bruch kam es über die Frage, ob man Mitglieder der offen rassistischen National Front aufnehmen solle. "Farage erzählte mir, dass sein Vater selbst in der National Front war. Er wollte, dass er und andere ehemalige Mitglieder Ukip-Kandidaten werden. Ich war strikt dagegen. Daraufhin sagte Farage: 'Wir brauchen uns nicht um die Neger-Stimmen sorgen. Die Nig-Nogs werden uns eh nicht wählen.' Ich war geschockt."

Farage hat diese Sätze stets bestritten. Fest steht, dass er in der Partei immer mächtiger wurde und sie immer weiter nach rechts rückte. Nach dem schlechten Abschneiden bei der Unterhauswahl 1997 probte er den Aufstand. Daraufhin versuchte Sked, ihn aus der Partei zu werfen, doch nachdem Farage sich mit Unterstützung eines reichen Spenders juristisch erfolgreich wehrte, warf der Gründer selbst das Handtuch. Seitdem führt Farage die Ukip.

Der verlorene Kampf um die Parteilinie war aber nicht der einzige Grund für Skeds Rückzug. Das zehnjährige politische Engagement neben seiner Vollzeitprofessur habe ihn viel Kraft und Nerven gekostet. Außerdem sah es nach der Wahl 1997 nicht so aus, als würde Ukip mittelfristig die entscheidende euroskeptische Kraft bleiben.

Die neugegründete Referendum Party des schillernden Milliardärs James Goldsmith holte damals aus dem Stand fast achtmal so viele Stimmen wie Ukip. Doch Goldsmith starb zwei Monate nach der Wahl, seine Partei löste sich auf, die meisten Anhänger liefen zur Ukip über. "Vielleicht hätte ich Farage weiter bekämpft, wenn ich das gewusst hätte", sagt Sked heute.

Dass es mit der Partei seitdem bergauf geht, liegt allerdings eher an den äußeren Umständen als an Farages politischen Qualitäten. Durch die Einführung des Listenwahlrechts bei den Europawahlen schaffte sie 1999 erstmals den Sprung ins Europäische Parlament. Als die Liberaldemokraten zehn Jahre später eine Koalition mit den Konservativen eingingen, war zudem die Rolle der Protestpartei frei, eine Rolle, die Rechtspopulisten ohnehin besser ausfüllen können.

Euroskeptiker auf dem Rückzug

Dass die Ukip nun erstmals eine Wahl gewonnen hat, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Euroskeptizismus in Großbritannien tendenziell eher rückläufig ist. Umfragen zufolge sind erstmals seit vielen Jahren wieder mehr Briten für als gegen den Verbleib in der EU. Für Farage selbst mag der EU-Austritt die höchste Priorität haben, bei den Wählern punktet seine Partei vor allem mit ihren Slogans gegen Immigranten, den Islam, die Homo-Ehe und das britische Establishment.

Ob Ukip den Erfolg wiederholen kann, ist zudem fraglich. Gerade einmal ein Drittel der Wahlberechtigten ging bei der Europawahl an die Urnen, bei den Unterhauswahlen im kommenden Jahr dürfte die Beteiligung deutlich höher liegen. Dann gilt auch wieder das Mehrheitswahlrecht, das die großen Parteien begünstigt. Und wenn Ukip doch wieder ein sehr gutes Ergebnis einführe, würde es damit die konservative Wählerschaft spalten und so paradoxerweise der tendenziell europafreundlicheren Labourpartei zurück zur Macht verhelfen.

Neue Partei gegründet

Parteigründer Sked bezweifelt, dass Ukip Sitze im britischen Unterhaus gewinnen wird. Das habe schon 2010 nicht geklappt, trotz des guten Abschneidens bei der Europawahl im Jahr zuvor. Insgesamt wirkt Sked zwiegespalten, wenn es um sein politisches Erbe geht. Einerseits warnt er vor "Frankensteins Monster", das er geschaffen habe, und bezeichnet Nigel Farage als "gefährlichen Rassisten und Alkoholiker".

Dass die Partei Premierminister Cameron vor sich hertreibt, erfüllt ihn dennoch mit Genugtuung. Im September gründete er New Deal, eine neue, eher linksliberale euroskeptische Partei. "Ich habe die größenwahnsinnige Vision, dass ich die etablierten Parteien von links und rechts angreifen kann", erzählt er lachend.

Und die Alternative für Deutschland? Wirklich verfolgt habe er die Entwicklung der deutschen Eurogegner nicht. Aber einen Rat will er deren Vorsitzenden Bernd Lucke dann doch geben, so von Professor zu Professor. "Die Rassisten und sonstige Spinner sollte er rechtzeitig loswerden. Bevor sie die Partei übernehmen."

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