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Fornasetti-Haus in Mailand: Labyrinth und Schatzkammer

„Mein Zuhause ist für mich einfach der beste Ort, an dem ich sein kann. Hier lebe ich nicht nur, hier schaffe ich", sagt Barnaba Fornasetti. Und dieses Zuhause, das hat bei ihm historische Dimensionen: Schon Ende des 18. Jahrhunderts hat sein Großvater, der Schreibmaschinen aus Deutschland importierte, das von außen unscheinbare Gebäude in der Mailänder Città Studi gekauft. Hier wurden sein Vater Piero und er - und die Marke Fornasetti, die seinen Namen in aller Welt bekannt gemacht hat - geboren.


In den Räumen zur Straße, wo sich einst Möbelwerkstatt und Druckerei befanden, ist heute ein modernes Büro, in dem wochentags seine Mitarbeiter an den neuesten Entwürfen tüfteln. Das Archiv seines Vaters, des Künstlers und Innenarchitekten Piero Fornasetti, ist die Brücke zwischen seiner Arbeits- und Lebenswelt. Hier steht noch der alte Schreibtisch, entworfen von Giò Ponti, bedruckt von Fornasetti. Das erste Gästezimmer, das dem Roten Raum in der Ferienvilla der Familie am Comer See nachempfunden ist, wurde hier nachgebaut.


Auf der anderen Seite, neben den unzähligen Bänden historischer Drucke und Collagen, führt eine Tür durch einen winzigen Gang ins Private. Dort eröffnet sich über vier Etagen ein Labyrinth aus einem Dutzend bunter Räume, in denen Fornasetti der Jüngere aufgewachsen ist und die der heute Siebzigjährige mit zwei Katzen teilt. Der Ort seiner Kindheit sah einst ganz anders aus. Sein Vater Piero hatte ihn statt mit eigenen Entwürfen mit Antiquitäten möbliert; so eklektisch er gearbeitet hat, so konventionell hat er gelebt. „Das Haus sah eher konservativ aus, so wie er. Mein Vater gehörte einer ganz anderen Generation an. Er war extrem autoritär und hat sich einfach immer mit allen gestritten", erzählt der Sohn.



Rebellion gegen die Eltern


Nach der Schule ist er aus dem strengen bürgerlichen Leben ausgebrochen. Erst hat er für Indie-Magazine gearbeitet, später ist er in die Toskana geflohen, wo er angefangen hat, alte Häuser zu restaurieren. „Das war vollkommen normal. Ich bin in den sechziger Jahren groß geworden, wir waren links und haben gegen unsere Eltern rebelliert. Aber genau diese Zeit war wichtig, weil ich gelernt habe, auf den Baustellen mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten", sagt er.


Erst als sein Vater mit seiner Firma in Schwierigkeiten geriet und ihn um Hilfe bat, kehrte er nach Mailand zurück. Auch wenn Vater und Sohn immer wieder aneinandergerieten, hat Barnaba das väterliche Unternehmen erst mal aufgemischt - so wie er auch das Elternhaus aufgemischt hat. Ganz nach dem Motto „Tema e Variazioni" des Hauses Fornasetti sind die Räume thematische Variationen bekannter Motive, wie das Gesicht der Opernsängerin Lina Cavalieri, das man von Tellern in Wohnmagazinen und Luxuskaufhäusern kennt und das einem hier tausendfach begegnet.


Durch einen engen Flur mit Vitrinen voll Nippes und Jahrestellern geht es in das gelbe Arbeitszimmer. Ein altes Nussbaum-Buffet, eine Jugendstil-Bank und böhmisches Biedermeier-Glas in den Fenstern sind noch von der Einrichtung seines Vater geblieben, alles andere ist Fornasetti-Entwürfen gewichen. Von der Tapete über Lampen und Textilien bis hin zum Tisch sind es die lebhaften Drucke des Einrichtungshauses mit Sonnen und Montgolfiers und Tieren, die den Blick in alle Ecken ziehen. Auch im angrenzenden dunkelgrünen Wohnzimmer mit den barocken, flämischen Spiegeln und den großen hellgrünen Chesterfield-Sofas bringt eine Kommode mit Motiven der römischen Siegessäulen spielerische Leichtigkeit ins Dunkel.



Von Malerei über Lithografie zur Innenarchitektur


Im ganzen Haus hängen neben den eigenen Werken Arbeiten alter Weggefährten von Piero, ein ganzer Raum ist den Malereien und Drucken gewidmet. Denn bevor der alte Fornasetti Inneneinrichter wurde, war er Maler, der mit dem Architekten Giò Ponti Grafiken und Magazine gemacht hat und in den Dreißigern für Künstler wie Massimo Campigli, Giorgio de Chirico oder Lucio Fontana Lithographien und Kataloge gedruckt hat. „Diese Zeit hat meinen Vater besonders geprägt. Für seine dekorativen Entwürfe hat er sich Methoden der Lithographie bedient, alte Drucke genommen, sie entfremdet und variiert und damit sein eigenes System kreativer Erkundung geschaffen", erzählt Barnaba.


Piero Fornasettis kreative Streifzüge haben ihn von der figurativen Malerei über die Lithographien zur collagenhaften Innenarchitektur und zum Bühnenbild geführt. Als er in den vierziger Jahren vor dem Wehrdienst für Mussolini in die Schweiz geflohen ist, hat er das Bühnenbild für Albert Camus’ Uraufführung von Caligula in Genf gemacht. Nach seiner Rückkehr nach Italien hat er auf Anregung seines Mentors Giò Ponti seine eigene Manufaktur eröffnet, Kunst mit Kunsthandwerk verschmolzen und erst Seidentücher, dann Porzellan, später auch Möbel bedruckt, die zu Liebhaberobjekten auf der ganzen Welt wurden und Fornasetti zu einem der langlebigsten Einrichtungshäuser der Moderne machen.


Sosehr sich der sanftere, geselligere Barnaba charakterlich von seinem Vater unterscheidet, so sehr schätzt er dessen Werk. Bis heute führt er es fort und bricht es bisweilen mit Ironie auf. Mal versetzt er ganz wortwörtlich das Gesicht Lina Cavalieris auf Tellern und Tassen ins Zwinkern und verziert es mit Blumen und Schmetterlingen, mal durchbricht er die klassischen Drucke mit bunten Farbcollagen, dekonstruiert sie mit geometrischen Mustern, setzt sie disproportional wieder zusammen.


Auch der Sohn entwirft Bühnenbilder

In den Entwürfen, die das ganze Haus ausschmücken, ist Piero Fornasetti allgegenwärtig, immer aber auch mit einem ästhetischen Kommentar Barnabas. Und auch die Liebe zur Inszenierung hat er vom Vater geerbt. So hat er 2016 das Bühnenbild für eine Aufführung von Mozarts „Don Giovanni“ in Mailand entworfen, und mit der Ausstellung „Theatrum Mundi“ im Teatro Farnese hat er eine beeindruckende audiovisuelle Inszenierung geschaffen, die mit den historischen Exponaten des Museums korrespondiert und noch bis zum Frühjahr im Palazzo della Pilotta in Parma zu sehen ist.


Viele der Exponate wurden dafür aus seinem Haus ins Museum gebracht, in seinem Musikzimmer wiederum steht noch ein originalgetreuer Nachbau von Mozarts Cembalo für „Don Giovanni“ , überzogen mit Drucken von Blumen und Händen. Neben der Platten- und Instrumentensammlung steht hier auch ein DJ-Pult. Wäre er nicht in die Fußstapfen seines Vaters getreten, wäre er vielleicht Musiker geworden. Er macht seine eigene Musik und legt auf, wenn Freunde zu Besuch kommen.


Von hier führt eine kleine Passage über sein ehemaliges Kinderzimmer und ein mit Fornasetti-Motiven gefliestes Bad zum einzigen Raum im Haus, das weitgehend unberührt geblieben ist, das Elternschlafzimmer, das heute als Gästezimmer dient. Auf dem eisernen sizilianischen Bett aus dem 19. Jahrhundert liegt noch die gehäkelte Tagesdecke, daneben die Nachttische aus Stuck und Jugendstillampen: alles lässt die Strenge des älteren Fornasetti ein wenig erahnen.



Arbeit mit den Händen

Den großen Kontrast dazu bildet das Studio, in das ein enger, mit Jerusalem-Motiven tapezierter Treppenflur mit Vitrinen voll bunter böhmischer Glaskelche führt. Hier arbeitet Barnaba an seinen Entwürfen, er zeichnet, er schneidet Bilder aus, setzt sie wieder zusammen, alles noch mit seinen Händen. An den Wänden hängen bunte, überladene Gedankencollagen, auf den Tischen stehen allerlei Objekte.


„Ich arbeite gerne mit meinen Händen, und ich mag den Moment, in dem sich Ideen materialisieren“, sagt er. Deswegen ist auch sein Haus stetig in Bewegung. Während des ersten Lockdowns hat er eine neue Passage von seinem Studio in die Kantine der Firma gemauert, Wände tapeziert, Stühle repariert und sich um seinen Garten gekümmert, in den man von der mit Schmetterlingen bedruckten, weißen Küche mit dem Murano-Kronleuchter blickt.


Seit 25 Jahren ist Barnaba Fornasetti aus Überzeugung Vegetarier und hegt die Hoffnung, dass die Pandemie langfristig zu einem bewussteren Umgang mit der Umwelt führt: „Als Kind hatten wir zwei Aprikosenbäume. Sie sind einfach so wild gewachsen und haben die süßesten, größten Früchte getragen. Irgendwann sind sie gestorben, und ich habe einen neuen Baum gepflanzt, der ständig krank ist. An den Pflanzen zeigt sich, wie sehr wir die Natur strapaziert haben, wie krank wir sie mit unserem rücksichtslosen Verhalten gemacht haben. Wir müssen wieder lernen, respektvoll mit der Natur umzugehen und langsam zu leben.“







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