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Gentrifizierung durch Kunst: Gewerbe ja, aber bitte keine Kultur

Es brummt und hämmert wochentags in der Fahrbereitschaft in Berlin-Lichtenberg. Auf dem Gelände, einst Fuhrpark des DDR-Ministerrats, ist ein Modellbeispiel für die gelungene Integration von Industrie und Kultur entstanden: Neben dem Arbeiter-Samariter-Bund und den Werkstätten, die seit vielen Jahren hier sind, haben sich Künstler, Agenturen und eine Bilderrahmen-Manufaktur angesiedelt, die durch steigende Mieten aus den zentraleren Bezirken verdrängt wurden. Zwischen den Ateliers und Kleinbetrieben sind Ausstellungsräume, die noch bis Juli in der gelungenen Ausstellung „Paperwork" filigrane Papierarbeiten von Künstlern wie Karin Sander, Stanley Brouwn und Martin Kippenberger zeigen.

Hinter der ungewöhnlichen Zusammensetzung stehen die Kunstsammler Axel und Barbara Haubrok, die das Areal 2013 erworben haben und unter Fortführung des Gewerbehofs Arbeiten aus ihrer Sammlung zeitgenössischer Kunst präsentieren. „Wir haben die andernorts oft vernachlässigte historische DDR-Substanz denkmalgerecht restauriert und einen Ort entwickelt, der sozial funktioniert", sagt Axel Haubrok. Anfänglich sei er wohlwollend begrüßt worden, der Bezirk sprach ihm eine mündliche Duldung für zwei bis drei Ausstellungen im Jahr aus, an die er sich hielt.

Kunst als zuverlässiger Vorbote einer Totalgentrifizierung

Als das Ehepaar Haubrok Anfang des Jahres aber mit der Idee einer Kunsthalle an den Berliner Senat herantrat schellten die Alarmglocken auf Bezirksebene: Kunst als zuverlässiger Vorbote einer Totalgentrifizierung, die das historische produzierende Gewerbe verdrängt. Ende April, nur wenige Tage vor dem Gallery Weekend, wurde in einem Schreiben vom Stadtentwicklungsamt Berlin-Lichtenberg die Durchführung von weiteren Ausstellungen unter Androhung einer Strafe von 500 000 Euro untersagt.

Am vergangenen Dienstag Abend trafen Axel Haubrok, Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert von Der Linken und die für die Verordnung verantwortliche Bezirksstadträtin Birgit Monteiro von der SPD schließlich im Max Liebermann Haus in einer sichtlich emotionalen Diskussion aufeinander, die bereits vor dem Streitfall geplant war. Monteiro, in einem Blaumann mit der Aufschrift „Mäzenin des produzierenden Gewerbes", führte die Sorge lokaler Unternehmer an, durch eine potentielle Kunsthalle und die damit verbundene höherwertige Nutzung verdrängt werden zu können. Ihr ginge es um die Zukunftsperspektive des Industriegebiets um die Herzbergstraße: „Hauptstreitpunkt ist für mich, dass über öffentlichen Druck erreicht werden soll, dass etwas genehmigt wird, was nicht genehmigungsfähig ist".

Sie hält sich, so sagt sie, nur an den vom Senat vorgegebenen Rahmenplan. Von Haubrok habe sie bisher keine Anträge bekommen. Was der Fall Fahrbereitschaft an diesem Abend zeigt, ist eine Lokalposse verletzter Gefühle von Akteuren, die aneinander vorbeireden. Symptomatisch steht er aber für sehr viel globalere Probleme: die berechtigte Angst vor der Gentrifizierung auch auf industrieller Ebene und die mangelnde Kommunikation zwischen privaten Akteuren, Bezirk und Senat. Haubrok, so der Vorwurf, kommuniziert über den Bezirk hinweg nur mit Senat und Öffentlichkeit, und der Senat kommuniziert nicht mit dem Bezirk.

Dass das Industriegebiet Herzbergstraße aber längst viel bunter ist als es die bröckelnden Fassaden erahnen ließen zeigt sich in der ehemaligen Margarinewerk Berolina, das heute als HB55 vor allem Künstlerateliers beherbergt und das Dong Xuan Center, einem vietnamesischen Großhandelsmarkt.

„In der DDR wurde Kulturproduktion als Teil der Produktion gesehen. Eine Verhinderungslogik ist unproduktiv, und wenn die Bezirksstadtplanung keine konstruktive Lösung findet wird die Frage um die Entwicklung des Industriegebiets Herzbergstraße auf Senatsebene gebracht", sagt der Architekt Arno Brandlhuber, der in einem ehemaligen Pantrac-Silo im Lichtenberger Industriegebiet eine Modellwerkstatt baut.

„Mich irritiert wie aggressiv die Stadt gegen Herr Haubrok vorgegangen ist, mich irritiert aber auch, wie wenig in der öffentlichen Debatte die Situation der produzierenden Unternehmer berücksichtigt wird. Es gibt keinen Bebauungsplan für das Gebiet und wir möchten - gemeinsam - einen Rahmenplan schaffen, der im Sinne der Stadt, im Sinne des Gewerbes und im Sinne von Menschen wie Herrn Haubrok ist", sagt Jorge Guimet, Geschäftsführer von BerlinerLuft. Technik GmbH und Vorstandsvorsitzender des Unternehmensnetzwerks Herzbergstraße e.V., dem sechzehn Unternehmen angehören.

Immerhin wird wieder diskutiert. Jetzt muss es nur noch ein konstruktiver Dialog werden, in dem Industrie und Kultur von der Politik als notwendige Teile einer Stadt und nicht als Gegner verstanden werden.

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