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Designer wird Professor: Neue Techniken fürs Entwerfen

So ehrfürchtig wie Hussein Chalayan kann wohl nur jemand über seine Studienjahre sprechen, der das Privileg unbeschwerter Bildung kennt. Schließlich wuchs er in Nikosia inmitten der Konflikte zwischen griechischen und türkischen Zyprern auf, weshalb seine Eltern nach Großbritannien auswanderten - und er am renommierten Central Saint Martins College of Art and Design studieren konnte.

Der Londoner Modeschule, die unter anderen Alexander McQueen, Stella McCartney, Phoebe Philo und Marc Jacobs hervorbrachte, rechnet der 47 Jahre alte Designer seinen Erfolg an. „Wie ich arbeite, hat viel mit meiner Ausbildung dort zu tun", sagt Chalayan. „Die Studienjahre sind die Zeit, in der man mehr über sich herausfindet und die eigene DNA entwickelt."

Von diesem Wintersemester an will er Studenten in Berlin dabei helfen, ihre künstlerische Bestimmung zu finden. Überraschenderweise aber nicht etwa an die Universität der Künste, sondern an der bisher kaum für Kreativität bekannten Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). An der HTW werden auch Wirtschaft und Informatik gelehrt. Diese Vielfalt an Disziplinen, aus denen sich Chalayan seit jeher bedient, vielleicht auch der Gestaltungsfreiraum einer unbekannteren Institution, haben ihn nach Berlin gezogen. Sein Lehrbereich heißt „Gestaltung und Kultur", der Schwerpunkt liegt auf Nachhaltigkeit und Innovation.

Chalayan sagt alles mit seiner Arbeit

Sein Erfolg begann 1993 mit der Abschlusskollektion „The Tangent Flows", die er wochenlang unter der Erde hatte verwittern lassen, bevor er sie mit Metall versehen auf einen magnetischen Laufsteg brachte. Als diese Zurschaustellung von Verfall und Eigenleben der Mode gut ankam, gründete er vor 25 Jahren seine eigene Marke. Andere Designer machen heute einen solchen Wirbel um die eigene Person, dass man sich kaum an ein einziges Kleid erinnern kann. Chalayan hingegen sagt alles mit seiner Arbeit. Lange vor der Kopftuchdebatte, schon 1998, präsentierte er den kulturellen Kampf um den weiblichen Körper durch Models in Tschador: Der erste muslimische Umhang war noch bodenlang, der letzte bedeckte nur noch den Kopf und entblößte den nackten Körper. Seine aktuelle Kollektion „The Post Colonial Body" setzt sich mit der ästhetischen Unterwerfung an den Geschmack des weißen Manns auseinander.

Chalayan zeigte sich auch als technologischer Vorreiter. Bevor die Idee von „Fashion Tech" aufkam, brachte er sein „Remote Control Dress" (2000) heraus und seine LED-Kleider (2006). Diese Arbeiten, bisweilen zu anspruchsvoll, oft außerhalb von Bühne und Laufsteg nicht zu verwirklichen, zeigen, dass positive Kritik nicht unbedingt mit kommerziellem Erfolg einhergeht. Chalayan ist einer der wenigen Designer, die nicht zu einem großen Modekonzern gehören. Immer wieder wurde von finanziellen Schwierigkeiten berichtet, immer wieder nahm er Beratungsaufträge bei größeren Marken an. 2008 wurde eine Mehrheit an seinem Label von Puma, damals Teil von Kering, aufgekauft. Chalayan wurde für zwei Jahre Kreativdirektor von Puma, bevor er das Unternehmen verließ und seine Anteile zurückkaufte. Seit vergangenem Jahr ist mit dem Londoner Unternehmen Centicus ein Investor aus der Finanzbranche an Bord, der das Label Chalayan kommerziell aus der Nische holen soll.

Vielleicht macht ihn dieser Balanceakt zwischen künstlerischem Anspruch und pragmatischen Anforderungen zu einem interessanten Lehrer für angehende Designer. Fünf Jahre war Chalayan als Gastprofessor Leiter der Modeklasse an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo zuvor schon Karl Lagerfeld und Raf Simons gelehrt hatten und nach ihm nun Lucie und Luke Meier (Jil Sander). Und schon jetzt zeigen sich seine Absolventen auf der großen Bühne: Christoph Rumpf, ein Alumnus von Hussein Chalayan, ist Preisträger 2019 des renommierten Festivals von Hyères.

In Berlin will sich Chalayan einen Zweitwohnsitz suchen, regelmäßig unterrichten, Studenten auswählen und den Lehrplan gestalten. „Wir müssen die Arbeit, die hinter der Mode steckt, wieder respektieren", sagt er. „Zu viele werden heute nur durch Bekanntheit und ohne Erfahrung zum Designer. Ich bin enttäuscht von dieser Ignoranz." Austreiben will er seinen Studenten den Hang zu schlichten historischen Referenzen: „Es ist ein Unterschied, ob jemand etwas einfach nur kopiert oder Dagewesenes neu interpretiert." Sein größtes Ziel? „Ich will Menschen die Furcht nehmen, Fehler zu machen. Sie sollen Dinge wagen."

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