Philipp Vos

Freier Redakteur , Hamburg

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Cleveland Browns: Hype Train auf dem Abstellgleis

Von Philipp Vos vom 13.11.19


Cleveland Browns: Hype Train auf dem Abstellgleis


Es war eine bezeichnende Szene. In der Pause des Spiels bei den Denver Broncos in Woche 9 wurden Odell Beckham Jr. und sein Teamkollege bei den Cleveland Browns, Jarvis Landry, von Offiziellen der NFL dazu aufgefordert, ihre Schuhwerke zu wechseln. Beide hatten in individuell bemalten Schuhen gespielt und so einen Nebenkriegsschauplatz eröffnet, der die Kabinenansprache von Head Coach Freddy Kitchens störte. Das alles leistete sich das Duo nicht, während die Browns voll auf Playoff-Kurs lagen. Auch hatte sich keiner der Wide Receiver in dieser Saison zumindest selbst in MVP-Form präsentiert. Nein, die Browns standen zur Saisonhalbzeit schlechter da, als in der Vorsaison und konnten Allüren ihrer vermeintlichen Star-Spieler in etwa so gut gebrauchen, wie die am Ende der Partie feststehende Niederlage gegen die Broncos. Ein Fingerzeig darauf, wie es um die Browns anno 2019 bestellt ist. Der Hype Train befindet sich längst auf dem Abstellgleis und jeder macht, was er will.


Die Cleveland Browns sind für die meisten Experten die größte Enttäuschung der ersten Saisonhälfte. Nachdem sich die Franchise in der vergangenen Saison endlich von Head Coach Hue Jackson befreit und danach wie beflügelt aufgespielt hatte, galt das Team aus Ohio nach etlichen guten Trades als klarer Kandidat für die Playoffs – mindestens. Doch spätestens nach dem Spiel bei den Broncos ist wohl auch dem größten Optimisten klar geworden, dass das Kitchens-Team in dieser Saison meilenweit von der Postseason entfernt ist.


Doch was sind die Gründe für das schwache Abschneiden der Browns? Nach dem starken Endspurt in der Saison 2018 und den überzeugenden Performances der Offense rund um Wunder-Rookie Baker Mayfield waren bereits früh hohe Erwartungen für 2019 geweckt worden. Damals galt Kitchens nach der Entlassung des notorisch erfolglosen Jackson als einer der ausschlaggebenden Gründe für den Erfolg. Die Zusammenarbeit mit Mayfield wurde immer wieder in den Himmel gelobt, die beiden galten förmlich als das neue Traumduo in der NFL. Kitchens war da soeben vom Coach der Runningbacks zum Offensive Coordinator aufgestiegen, Gregg Williams, zuvor Defensive Coordinator, mimte interimsweise den Head Coach.


Exorbitante Offseason


Doch Williams ist seit seiner Bounty-Affäre vor einer Dekade bei den New Orleans Saints nicht mehr wirklich als dauerhafte Head-Coach-Lösung vermittelbar. Williams hatte damals Kopfgeld auf Verletzungen von Gegenspielern ausgesetzt und war dann von der NFL zeitweise suspendiert worden. Zwar ist der 61-Jährige, obwohl durchaus streng, bei Spielern beliebt, doch Kitchens schien nach der Jackson-Zeit die smartere Lösung. Schließlich hatte Jackson einen Quarterback nach dem nächsten verbrannt und ein Quarterback-Flüsterer schien nun die optimale Antwort zu sein. Zwar hatte der 44-Jährige keinerlei Erfahrung auf dem Chefsessel an der Sideline vorzuweisen, doch Sean McVay bei den Los Angeles Rams oder Matt Nagy bei den Chicago Bears hatten dies auch nicht und waren von Beginn an erfolgreich.


Als die Browns dann im März OBJ von den New York Giants loseisten, nahm der Hype Train der Browns endgültig Fahrt auf. Doch nicht nur Beckham Jr. wurde nach Ohio gelockt, die Browns rüsteten ihren Roster in der Offseason fast exorbitant auf. Runningback Kareem Hunt, Tight End Demetrius Harris, Pass Rusher Oliver Vernon und Defensive Tackle Sheldon Richardson sprangen auf den Hype auf und unterzeichneten Verträge in Cleveland. Im Draft konnte man sich darüber hinaus über "Greedy" Williams freuen, der als Gegenüber von Denzel Ward die vakante zweite Corner-Position ausfüllen sollte.


Zu hohe Erwartungen?


Im Früh-Sommer wurden so viele Wetten auf die Browns als Super-Bowl-Sieger abgegeben, wie wahrscheinlich seit etlichen Jahrzehnten nicht mehr. Irgendwie auch verständlich, wenn man einen Mayfield hat, der Pässe zu OBJ, Jarvis Landry und David Njoku werfen kann und mit einem Nick Chubb und Kareem Hunt ein schlagkräftiges Backfield besitzt. Die Offensive schien zur Speerspitze der NFL zu gehören. Auch die Verteidigung mit Williams und Ward, Linebacker Joe Schobert und den Defensive Linern Vernon, Richardson und natürlich Myles Garrett galt vor Saisonstart als Top-Unit. Die Vorzeichen standen also voll auf Erfolg. Umso überraschender ist das schwache Abschneiden der Browns. Es scheint fast so, als hätten die Browns sich schlicht an der Erwartungshaltung verhoben.


Allen voran steht hier Kitchens in der Kritik. Von seinen genialen Plays aus 2018 ist schlicht nichts mehr übrig. Die Offensive kann den Gameplan von Kitchens nicht nur selten umsetzen, auch das Zusammenspiel funktioniert nicht ansatzweise so gut, wie es müsste, um in der NFL erfolgreich Football zu spielen. Hinzu kommt, dass die Defensive dieses Team aktuell schlicht auch nicht tragen kann. Gerade die offensiven Hoffnungsträger Beckham Jr. und Mayfield enttäuschen fast auf gesamter Linie und entwickeln keinerlei spielerische Harmonie zueinander. OBJ dürfte manchmal gar sehnsüchtig von Eli-Manning-Pässen träumen, wenn ein Mayfield-Ball ihn mal wieder verfehlt hat.


O-Line ist die Schwachstelle


Mayfield, der sich 2018 noch im Rennen um die Auszeichnung um den Rookie Of The Year befand, findet sich ein Jahr später in einer handfesten Krise wieder. Statt mit starken Pässen glänzt der Quarterback viel mehr mit Turnovern und zweifelhaften Plays. Und auch Beckham spielt aktuell die wohl schwächste Saison seiner Karriere. Mit fortschreitendem Saisonverlauf merkt man auch, wie sich die Unzufriedenheit bei den beiden langsam breit macht. Die Stimmung dürfte spätestens seit der unnötigen Schuh-Farce ihre Talsohle erreicht haben. Doch die Schuld nur bei den beiden zu suchen, wäre zu kurzsichtig. Das größte Problem dürfte die schwache Performance der Offensive Line sein, die ihrem Quarterback schlicht nicht die Zeit und Ruhe gibt, die er braucht. Nach dem Abgang von Guard Kevin Zeitler zu den Giants funktioniert die ganze Einheit nicht mehr so, wie man es noch 2018 gewohnt war.


Der einzige Spieler in der Offensive, der trotz allem seine Leistung konstant abruft, ist Nick Chubb. Der Runningback hielt sein Team so häufig in den Spielen und dürfte sich ebenfalls fragen, warum er Woche für Woche seine Gesundheit ins Spiel haut, während sich top bezahlte Spieler mit ihren Schuhen beschäftigen. Und auch die Verteidigung ist nicht mehr so stabil wie unter Trainer Williams. Gerade gegen den Lauf lassen die Browns einfach viel zu viel zu. Nach dem Abgang von Williams und der Verpflichtung von Steve Wilks zeigt sich die Verteidigung weit weniger aggressiv und konsequent - und steht wohl sinnbildlich für den fehlenden Erfolg der Browns.


Wie lange noch mit Kitchens?


Die verantwortlichen Trainer und Koordinatoren schaffen es schlicht nicht, die vorhandenen Pferdestärken des Rosters auf das Turf zu bringen. Wobei man hier dem Offensive Coordinator Todd Monken wohl am wenigsten vorwerfen kann. Es ist immerhin Kitchens, der die Spielzüge der Offensive ansagt und den Gameplan macht. Dieser hat zuletzt immer wieder betont, dass er auch weiterhin an dieser Aufgabenverteilung festhalten wird. Diese Entscheidung könnte ihm möglicherweise noch vor Ablauf der Regular Season zum Verhängnis werden, denn so gibt es keinerlei Ausreden für den Head-Coach-Rookie. Zu seinem schlechten Play Calling kommen noch viele weitere Fehler, allen voran seine zweifelhaften Challenges. Gegen die Seattle Seahawks kostete eine dieser Challenges sechs Punkte, als die rote Flagge einen Chubb-Touchdown egalisierte.


Aufgrund der aktuellen Umstände und der Diskrepanz aus Leistung und Leistungsfähigkeit der Mannschaft muss General Manager John Dorsey sich langsam überlegen, ob und wie lange er noch an Kitchens festhalten will oder vielmehr kann. Aktuell erscheint es tatsächlich so, als wäre es für Cleveland das Beste, das Kapitel Kitchens vorzeitig zu beenden, Monken zum Interims-Head-Coach zu machen und ihn auch gleichzeitig die Plays ansagen zu lassen. Zwar hat auch Monken keine Erfahrung als Head Coach in der NFL, er hat aber bereits bei seinen Colleges sowie bei den Tampa Bay Buccaneers bewiesen, Plays callen und einen guten Gameplan ausarbeiten zu können. Im Prinzip können die Browns bei einem Trainerwechsel nur gewinnen, auch wenn der Hype Train anno 2019 wohl nicht mehr auf die Schienen zu bringen ist. Die Spiele im Januar finden wohl abermals ohne Cleveland statt.