Philipp Süßmann

Redakteur, Content-Manager, Berlin

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Artikel

Black Mirror White Christmas - Gedanken zum Weihnachtsschreck 2014

Genug mit der Weinachtsharmonie, zum Jahresende jagt uns "Black Mirror White Christmas" noch einmal einen gehörigen Schrecken ein. Ninja Philipp hat sich zum Abschluss seiner Lieblings-TV-Reihe noch einmal Gedanken zur weihnachtlichen Techno-Paranoia gemacht.

Zunächst einmal: Ich werde hier keine Nacherzählung oder Inhaltsangabe verfassen. Die kann man gerne woanders lesen. Dies wird vielmehr eine Auseinandersetzung mit den gezeigten Technologien werden, mit den Thematiken und Problematiken, die Autor Charlie Brooker in diesem Quasi-Finale auf seiner herausragende Anthologie-Serie anspricht. Man sollte das Weihnachtsspezial gesehen haben, bevor man das liest, auf Spoiler nehme ich keine Rücksicht. Wer außerdem meine Gedanken zu Black Mirror an sich lesen möchte, der findet sie hier.

Did you see that guy riding a horse down the street?

Starten muss ich mit einem fast schon obligatorisches Loblied auf Hauptdarsteller Jon Hamm, welcher hier zur Perfektion eingesetzt wird. Diese Rolle ist kein Neuland für ihn, er zieht sie sich stattdessen an wie einen optimal sitzenden Schuh. Was Hamm als Darsteller exzellent beherrscht und ihn in seiner Rolle als Don Draper in Mad Men auch berühmt gemacht hat, ist genau dieser Typus, den er hier als Matt Trent in White Christmas verkörpert: Matt Trent ist im Grunde "Evil Don", der gutaussehende, schneidige, schlagfertige Alpha-Mann, der auf den ersten Blick wie die Ausgeburt sämtlicher Männeregoträume wirkt. Aber Hamm hat sichtlich Spaß an der Entlarvung dieses krankhaften Lügners, dessen glanzvolle Fassade nur dazu da ist, um sich bei anderen einzuschmeicheln, mit allen Tricks und Raffinessen, die am Schluss doch nicht verhindern, dass er abgestraft wird. Wenn dieses menschliche Wiesel seine einstudierte Pick-Up-Story um den Mann, der mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd reitet, bei der (realen) Greta anwendet und dann auch noch hinzufügt: "I swear to God", dann scheint man fast ein Zwinkern in die Kamera wahrzunehmen: Schaut nur her, wie genüsslich ich dieses Scheusal vor euch ausbreite.

Der Hauptgrund, warum ich diese Reihe so sehr schätze, sind die technologischen Visionen, die Brooker entwirft und die oft abgehoben wirken, oftmals aber auch schmerzhaft nah an der echten technologischen Entwicklung dran sind. Den Zuschauer beschleicht in etlichen Momenten das Gefühl, dass das Gezeigte tatsächlich so irgendwann passieren muss, so erschreckend plausibel ist das alles. Das ist allerdings nicht immer der Fall. Die Dystopie in 15 Million Merits (Black Mirror 1×02) fürchte ich nicht, sie ist klar metaphorisch zu sehen, ebenso wie das Szenario in White Bear (Black Mirror 2×02). Doch das Szenario aus The National Anthem (1×01 - immer noch das Meisterstück der Reihe) wirkt mit jedem fortschreitendem Jahr realistischer. In White Christmas kombiniert Autor Brooker beides: Plausible Technologie-Ideen mit fantastischen Szenarien. Ich glaube nicht, dass es in naher Zukunft möglich sein wird, den "Geist" eines Menschen einfach zu kopieren und in einen virtuellen Raum zu transferieren. Von solcher Technologie sind wir wohl noch ein Jahrhundert entfernt, sollte sie überhaupt möglich sein. Doch die Pick-Up Situation, mit der die Folge eröffnet, wirkt beängstigend real. Ich habe keinen Zweifel daran, dass derartiges in naher Zukunft existieren wird - schon jetzt gibt es Flirthelfer, die ihre Kunden per Headset und Mini-Cam "im Feld" coachen. Und wenn die Technologie erst einmal soweit ist, dass sie nahezu nicht mehr sichtbar ist, werden diese Dinge passieren, es kann eigentlich gar nicht anders kommen. Das Szenario ist auch erschreckend nahe an aktuellen öffentlichen Diskussionen, schließlich war das ganze Pick-Up Business in letzter Zeit mit den Enthüllungen um Julien Blanc wieder in aller Munde. Und auch die Idee des Menschen, der ständig in konstanter Begleitung einer "Community" ist, die alles aus seiner Perspektive verfolgen kann, ist spätestens seit Google Glass keine Zukunftsmusik mehr. Wir werden das bald erleben und man kann bereits an vielen Stellen die Anfänge dieser Entwicklung sehen, etwa in diesem Crowdfunding-Konzept:

It's not really real, so it's not really barbaric.

Einer der zentralen Aussagen in White Christmas, fasst sie doch im Grunde das moralische Dilemma zusammen, das uns hier vor Augen geführt wird. Ich musste bei diesem Satz direkt an eine Szene aus dem Military-Shooter Call of Duty: Modern Warfare 2 denken, welche vor einigen Jahren für Aufsehen sorgte. Dort hatte der Spieler explizit den Auftrag, in einem Flughafen ein Massaker anzurichten, also wahllos einfach alles niederzumähen, was ihm vor den Maschinengewehrlauf rennt. Das Level sorgte mit Recht für Kritik, in der deutschen Version wurde es zensiert. Ein Video des Levels ist auf YouTube zu finden, ich finde es nach wie vor ziemlich verstörend, mir das anzusehen.

Trotzdem würde ein Matt Trent wohl auch hier argumentieren: "Wo liegt das Problem? Hier kommt niemand tatsächlich zu Schaden. Man schießt nicht auf echte Menschen, man metzelt nur Algorithmen nieder." Man kann sich gut eine jüngere Version dieses Charakters vorstellen, wie er begeistert auf der Konsole dieses Level spielt. Und letztlich ist dieser Argumentation tatsächlich wenig entgegenzusetzen, gerade das ist das Entsetzliche daran. Wo kein Kläger, da kein Richter. Was Brooker in Black Mirror immer wieder wunderbar hinbekommen hat und auch hier gelingt ihm das mit Bravour, ist der Eindruck des Gewöhnlichen, mit dem die teils fantastische Technologie, inszeniert wird. Es mag fantastisch, schier unglaublich wirken, was uns Zuschauern gezeigt wird, für die Figuren und ihre Welt sind diese Dinge aber längst wenig aufregende Bestandteile ihres Alltags geworden. Und dabei hat sich offensichtlich eine kalte, achselzuckende Haltung eingeschlichen, deren Ursprung man wahrscheinlich soziologisch gut nachverfolgen könnte und bestimmt würde man bei dieser Spurensuche irgendwann auch wieder bei Call of Duty landen. Wie sonst ist diese Haltung zu erklären, dass man digitale Geschöpfe, so empfindungsfähig sie auch sein mögen, beliebig quälen und zu Sklavenarbeit zwingen darf? Und wenn sie diese Tortur nicht aushalten und durchdrehen, dann kann man sie ja immer noch zweitverwerten. Wie Trent es ausdrückt: " Sell them cheap to the games industry. They become cannon fodder for some war thing " - Call of Duty 27? Man kann sich die bemitleidenswerte Greta-Kopie direkt vorstellen, wie sie in diesem virtuellen Flughafen von Maschinengewehrsalven zerfetzt wird, immer und immer wieder, je nach Laune des menschlichen Spielers.

Aber für die Menschen, die in der Realität von Black Mirror White Christmas leben, scheinen diese moralischen Argumente keine Gültigkeit mehr zu besitzen. Dass das dem Scheusal Matt Trent keine schlaflosen Nächte bereitet - geschenkt. Aber selbst die Polizisten haben am Schluss kein Problem damit, den virtuellen Joe Potter einem schier unvorstellbaren Martyrium auszusetzen - gefangen in einer einsamen Hütte für einen Zeitraum, der ihm wie Jahrtausende vorkommt. Ironischerweise ist er, der Verbrecher, der Mörder, der, der den Tod eines Kindes verursacht hat, der einzige, der die ganze Prozedur "barbarisch" nennt.

Please turn it off, I just want to talk!

Das dritte technologische Konzept, welches das Weihnachtsspezial erforscht und das im Zentrum der "Joe Potter"-Geschichte steht, ist das soziale "Blocking", also die Fähigkeit, Menschen, die einem unangenehm sind, einfach auszublenden. Sie erscheinen nur noch als unförmig graues Etwas in Menschenform, können von dem Blocker weder gehört noch gesehen werden. Eine schlüssige Idee, die Charlie Brooker schlicht von den sozialen Netzwerken von heute in die reale Welt übertragen hat. Das diese Welten (also die der digitalen sozialen Netzwerke und die reale Welt) in naher Zukunft zusammenwachsen halte ich ebenfalls für sehr plausibel. Und Brooker führt an dem tragischen Beispiel Joe Potter vor, wie fatal und fehlgeleitet diese Entwicklung wäre: Es mag zunächst angenehm klingen, so etwas durchführen zu können und vermutlich wären etliche Stalking-Opfer heilfroh, wenn eine derartige Technologie bereits existieren würde. Doch sie schafft am Ende mehr Probleme, als sie löst. Menschen wollen gehört werden und wenn sie nicht in der Lage sind, wahrgenommen zu werden, werden ihre Versuche, Aufmerksamkeit zu erlangen, immer aggressiver. Leute, die geblockt werden, würden im Alltag wahrscheinlich sehr schnell zu körperlicher Gewalt neigen, weil es nahezu das einzige Mittel ist, welches ihnen zur Kommunikation übrig bleibt. Auf einer analogischen Ebene kritisiert Brooker hier aber auch die selektive Haltung, die Menschen bei ihren Bewegungen im Netz mittlerweile großflächig anwenden: Wir abonnieren, folgen, befreunden die Meinungen, die uns passen, die wir hören wollen, denen wir zustimmen. Wir ignorieren und blenden die Menschen und Ansichten aus, die uns zuwider sind, wir wollen sie nicht wahrnehmen. Das klingt verständlich, es schafft aber eine zersplitterte Sub-Öffentlichkeit, die sich nicht mehr mit Widerspruch oder anderen Ansichten auseinandersetzen kann. Wir verlernen, uns zu streiten. Wir gehen dem lieber komplett aus dem Weg und umgeben uns (real wie virtuell) am liebsten nur noch mit Menschen, die ohnehin unserer Meinung sind. Dass dieses Verhalten hochproblematisch ist und schlimme Konsequenzen hat, kann man derzeit jeden Montagabend in Dresden gut beobachten. Wer unangenehmes einfach ausblendet und die Auseinandersetzung schlicht verweigert, der erzwingt irgendwann die Eskalation. Ein wichtiger sozialkritischer Kommentar, vielleicht sogar der relevanteste, den White Christmas zu bieten hat. Denn er geht uns bereits jetzt alle an, nicht erst in einer nebulösen Zukunft.

Anyone who knows what love is will understand

Ist diese 90-minütige Sonderausgabe das beste, was Black Mirror je zu bieten hatte? Nein, diese Ehre gebührt weiterhin den Episoden The National Anthem und Be Right Back. Auch weil sie sich auf eine Thematik fokussieren und diese konsequenter abarbeiten, während das meiste in White Christmas zwar schlüssig erzählt wird, aber gerade die Punchline mit dem Mord/Selbstmord im ersten Drittel etwas forciert wirkt. Trotzdem ist Charlie Brooker hier ein sehr würdiger Abschluss für seine Paranoia-Anthologie gelungen und als erklärter Fan habe ich mich auch sehr über die kleinen versteckten Anspielungen auf vorherige Episoden gefreut. So war der Schwangerschaftstest derselbe, der auch in Be Right Back verwendet wurde, der fiktive Fernsehsender UKN aus The National Anthem war erneut zu sehen und natürlich singt Joes Freundin bei ihrem Karaoke-Auftritt "Anyone who knows what love is" - den Song, den Jessica Brown-Findley in 15 Million Merits zum Besten gibt. Ich bekomme immer noch feuchte Augen, wenn ich dieses Lied höre.

Fanboy-Nachtrag: Als Game of Thrones-Geek war es natürlich witzig, hier gleich zwei GoT-Darsteller zu erleben, einmal Natalia Tena, in GoT als Wildling Osha dabei und natürlich Oona Chaplin, die unglückselige Ehefrau des King of the North.

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