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Sol­da­t:in­nen-Einsatz in Pflegeheimen: Opa was vom Krieg erzählen

Seit über einem Jahr leisten Sol­da­t:in­nen „Amtshilfe" bei der Betreuung von Pflegebedürftigen. In Bremen sind damit keineswegs alle glücklich.

BREMEN taz | Brote schmieren, Betten machen und zwischendurch auch mal ein offenes Ohr für die Sorgen der Alten oder Menschen mit Behinderung haben: Wer ein solches Aufgabenfeld in einer Jobausschreibung finden würde, denkt vermutlich nicht unmittelbar an Mitarbeiter, die eigentlich für den Krieg ausgebildet wurden. Und doch finden sich seit Beginn der Coronapandemie in Deutschland vermehrt Sol­da­t:in­nen an Orten, an denen sie früher, in Zeiten von Wehrpflicht und Zivildienst, noch undenkbar gewesen wären: in Pflegeeinrichtungen nämlich.

„Für mich ist das makaber", sagt Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum. „Denn Pflege und Sozialarbeit hat ja ganz viel mit Empathie zu tun." Lentz war früher selbst mal in der Pflege tätig - und kann nicht nachvollziehen, warum in Alten- und Pflegeheimen nun Sol­da­t:in­nen präsent sein sollten, die eigentlich an der Waffe ausgebildet sind.

Der inländische Einsatz der Bundeswehr ist seit jeher ein ausgesprochen kontroverses Thema. Doch plötzlich scheinen die früher kleinteiligen Diskussionen über konkrete Aufgaben und Längen eines Bundeswehreinsatzes im Inland wie verstummt. Ging es früher um unmittelbare und kurzfristige Unterstützung (bei Hochwasser etwa), steckt die Bundeswehr gerade weitgehend unproblematisiert in ihrem bislang längsten und umfangreichsten Amtshilfeeinsatz überhaupt.

Seit Corona wendet sich das Militär vermehrt auch dem Bereich der zivilen Hilfe zu: So ist die Armee in Deutschland derzeit mit bis zu 25.000 Sol­da­t:in­nen in verschiedenen zivilen Institutionen im Einsatz, die meisten davon im Rahmen der im Grundgesetz verankerten Amtshilfe.

Kritik auch von der Kirche

Diese Sol­da­t:in­nen sind als sogenannte „helfende Hände" im Einsatz, so etwa in Impfzentren und Gesundheitsämtern. Doch auch in Alten- und Pflegeheimen sind sie präsent. Und das teilweise in sehr kleiner Gruppenstärke: Im Land Bremen etwa arbeiten laut Landeskommando derzeit 16 Sol­da­t:in­nen in der Pflege. Für Ekkehard Lentz vom Friedensforum sind das schon 16 zu viel. „Ich halte den Einsatz für einen gefährlichen Trend", so der Friedensaktivist. „Für mich zeigt das den fortschreitenden Trend der Militarisierung in der Gesellschaft."

Grundsätzlich sind solche unterstützenden Einsätze der Bundeswehr im Grundgesetz genau beschrieben und begrenzt: Demnach darf erst dann Amtshilfe geleistet werden, wenn die Ressourcen ziviler Organisationen und Behörden erschöpft sind. Doch Lentz bezweifle, „dass das Grundgesetz hier auch den Bundeswehreinsatz in Pflegeheimen vorsieht".

Auch der Friedensbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche sieht Sol­da­t:in­nen in der Pflege kritisch. „Die Bundeswehr gehört einfach nicht in die pflegerische Tätigkeit - das muss professionelles Personal übernehmen", so Pastor Jasper von Legat. Sol­da­t:in­nen seien in erster Linie für den Krieg ausgebildet - warum diese nun Betten in Pflegeeinrichtungen machen sollten, erschließe sich ihm nicht.

Neben der Frage nach dem Sinn thematisiert von Legat auch Gefahren eines solchen Amtshilfeeinsatzes: In Pflegeheimen seien oft ältere Menschen, die in ihrem Leben selbst Krieg miterlebt hätten. „Und diesen Menschen tut es seelisch oft nicht gut, plötzlich wieder jemanden in Uniform vor sich zu sehen", so der Pastor.

Ihm bereitet die vermehrte Präsenz von Sol­da­t:in­nen in der Mitte der Gesellschaft Sorge - insbesondere auch die Tatsache, dass die Amtshilfeeinsätze der Bundeswehr bereits ein Jahr andauern. „Es darf nicht normal werden, dass die Bundeswehr im Inland eingesetzt wird", sagt von Legat.

Sozialbehörde und Bundeswehr finden Einsätze gut

Bremer Politik und Bundeswehr sehen dagegen kein Problem mit diesen Einsätzen. „Wir waren selbst überrascht, wie gut es läuft", heißt es aus dem Sozialressort von Anja Stahmann. Dass eine Grünen-Senatorin einmal einen Bundeswehreinsatz im Inneren begrüßen würde, hätte zwar viele verwundert, hieß es, doch die Rückmeldung sei sowohl von Seiten der Be­woh­ne­r:in­nen als auch von Seiten der Sol­da­t:in­nen „ganz positiv".

Die Bundeswehr sieht's ähnlich: Die Amtshilfe in den Pflegeeinrichtungen sei für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation, teilt ­Andrea Hilscher vom Bremer Landeskommando auf Anfrage der taz mit. Die Sol­da­t:in­nen würden besonders den engen Kontakt zur Zivilbevölkerung genießen, so Hilscher.

In der Zivilbevölkerung wiederum ist die Begeisterung nicht ganz so ungeteilt: Uniformierte Sol­da­t:innen in Pflegeeinrichtungen würden niemandem etwas nützen, sagt eine Pflegekraft, die an dieser Stelle anonym bleiben möchte. Sie arbeitet bei der Lebenshilfe, einem Selbsthilfeverband für Menschen mit geistiger Behinderung.

Hilfe, die nicht hilft

In ihrer Abteilung sei auch ein Soldat eingesetzt, den die Lebenshilfe angefordert habe. „Die Amtshilfe ist uns überhaupt keine Hilfe", sagt die Frau: „Der Soldat ist überhaupt nicht nützlich. Er kann vielleicht den Müll rausbringen. Im besten Fall kann er mit den Be­woh­ne­r:in­nen Karten spielen." Doch all das seien keine Aufgaben, die eine militärische Uniform in Pflegeeinrichtungen legitimierten. „Ich finde es im Alltag einfach extrem gruselig", sagt sie. „Ich finde, Soldaten haben in einer Pflegeeinrichtung nichts zu suchen."

Tobias Liersch von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di ist auch nicht begeistert von dem Modell. Problematisch ist für ihn vor allem das Bild von Pflegeberufen, das in einem solchen Bundeswehreinsatz mitschwingt. „Strukturell bringt es einfach nichts für die Pflege - das ist ein Tropfen auf den heißen Stein", so der Gewerkschaftssekretär. Auch wundere er sich über die ausgeübten Tätigkeiten der Sol­da­t:in­nen in der Pflege - schließlich bräuchte es „auch für Hilfsarbeiten mehr als eine militärische Grundausbildung", so Liersch.

Grundsätzlich fände er es gut, wenn die Soldaten etwas Sinnvolles tun und die Waffe beiseite legen. „Aber wirklich sinnvoll wäre es, wenn sie stattdessen eine qualifizierte Ausbildung in der Pflege machen würden, um dem Pflegenotstand entgegenzutreten."

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