Sonne ist gut. Ein Eis in der Sonne ist noch besser. Doch was, wenn die Sorte Sachertorte oder Weiße Schokolade-Parmesan heißt? Unser Autor hat zehn Kreationen in zehn Eisdielen getestet.
Und es ward Sommer in Deutschland. Endlich, irgendwie, wir können es uns auch nicht erklären. Beinahe vermisst man die strahlend graue Betondecke am Himmel. Das stimmt nicht.
Wir wollen diesen jähen Sonneneinbruch jedenfalls gebührend würdigen - mit Eis! Wie so viele Genussmittel wurde auch das gute, alte Speiseeis in den vergangenen Jahren durch den Hipstergourmetfleischwolf gedreht. Dabei sind Kreationen entstanden, die von wundervoll über skurill bis hin zu gut eklig reichen. (Hallo, Currywurst-Eis.)
Im Dienste der Menschheit nun, und weil der Ressortchef uns mit vorgehaltener Pistole dazu eingeladen hat, wollen wir heute zehn Eissorten testen, die in die zweite bis dritte Kategorie fallen. Wir, das sind in diesem Fall der Autor dieser Zeilen und sein guter Vorsatz, bis zum Abend alle Mageninhalte in sich zu halten. Wohl an!
I. Matcha-GrünteeWir steigen relativ harmlos ein: im zart gentrifizierten Prenzlauer Berg. Bei Oak & Ice gibt es die Sorte Grüntee. Das klingt nach dem Verträglichsten, was man sich vorstellen kann. Allerdings, wer Matcha schon mal als Pulver probiert hat, weiß, dass das sogenannte Superfood geschmackstechnisch nicht nur ein Geschenk ist.
Die herbalen Noten sind hier, in dieser uns vorliegenden Kugel, zum Glück sehr angenehm dosiert. Das schmeckt nicht nach zeitgeistiger Angeberernährung, sondern nach einer frischen, gut balancierten Alternative zu den üblichen Sorten.
II. GrapefruitsorbetWeiter geht's im „P-Berg". Wir wollen jetzt eine Stufe hochfahren, es muss etwas mehr knallen, sonst wird das hier zu beschaulich. Also kein gaumenschmeichelndes Milcheis, sondern ein kühles Sorbet. Und dann gleich das fieseste: Grapefruitsorbet.
Das gibt es bei Hokey Pokey, und weil das hier eine Eispatisserie ist, schmeckt das natürlich gleich echt gut. Also ja, schon als würde man directement in eine Grapefruit beißen, aber das ist ja die Idee. Bisschen sauer, bisschen bitter und adstringierend, leichte Süße - insgesamt sehr erfrischend.
III. SachertorteNach dem federleichten Sorbet ist jetzt das totale Gegenprogramm angesagt. Sachertorte! Mal echt ey, geht's noch? Sachertorte, dieses Schokokalorienmonster als Eis? Geht schon, und, weil wir ja immer noch in Prenzlberg (sagt das noch jemand?) sind, sogar vegan!
Und zwar bei der Kontor Eismanufaktur Berlin. Da ist alles vegan. Also gut, vegane Sachertorte in der Waffel - was geht da? Natürlich so einiges. Das ist die volle Ladung in den Mund, das Komplettpaket Eis an den Gaumen: Gut süß und schokoladig, aber dabei nicht überladen. Es gibt die Momente für dieses Eis, wie es sie für Sachertorte gibt, aber sie sind rar gesät. Weiter geht's mit:
IV. Ziegenmilch-Ricotta-Rhabarberbiomarmelade ("The Cure")Der Autor wagt sich nun nach Mitte, ins Cuore di Vetro. Man hatte ja viel gehört, von Auszeichnungen, Lobpreisungen ... da will man nicht ganz unaufgewärmt ankommen. Doch nach den ersten drei Tests sind wir bereit für mehr. Und mehr bekommen wir.
Wir halten jetzt tatsächlich ein kunstvoll gespachteltes Ziegenmilch-Ricotta-Rhabarberbiomarmeladen-Eis in der Hand. Ungefähr für den Gaumen, was Miles Davis' „Bitches Brew" für die Ohren ist: Eigentlich viel zu krank, aber, wenn man sich herantraut, größtes Kino. Definitiv kein Eis fürs schnelle Wegschlecken zwischendurch, hier muss bewusst geschmeckt werden. Es lohnt sich - wenn einen der Hauch von Ziege nicht abschreckt.
V. Vanilla Popcorn & Salted Caramel (produziert mit Flüssigstickstoff)Damit Mitte noch ein bisschen mittiger wird, muss es jetzt Eis geben, das direkt vor den Augen des Kunden produziert wird. Die Einzelzutaten werden bei Woop Woop Icecream mit Stickstoff vermischt, der auf -196° Celsius heruntergekühlt ist. Große Show natürlich: Metallgestänge, ansehnliche Dampfentwicklung und am Ende ein Becher voll Vanilla Popcorn & Salted Caramel.
Cremig, schöne Vanillenoten, gute Balance aus süß und salzig und sogar die echten Popcorn-Pops fügen sich irgendwie günstig ein. Wir würden zur Halbzeit des Tests gerne mal rumkritteln oder das Gesicht verziehen, aber ja, auch dieses Eis ist natürlich zu gut gemacht, als dass es nicht schmecken könnte. Nichts für jeden Tag, doch vielleicht ein guter Startpunkt für ein Date oder, um Besucher mit diesem „verrückten Berlin" zu beeindrucken.
VI. Weiße Schokolade-ParmesanKurze Bestandsaufnahme: Bisher war keine der Sorten ansatzweise eklig, bestenfalls gewöhnungsbedürftig. Jedoch, die Menge macht's, uns wird langsam flau in der Magengegend. Bevor uns der Heldenmut ganz verlässt, steigen wir um auf Kinderkugeln. Letzte Station in Mitte: Die Eismanufaktur Berlin.
Schoko plus Käse liegt an. Zwei Seelen, ach, in einer Brust: Riesenfan von Parmesan, kein Fan von Weißer Schokolade, und das also zusammen als Eis. Der erste Eindruck ist dann auch nicht unheftig. Man hat einen guten Löffel Parmesan im Mund. Jetzt ne Bolo dazu ... Tatsächlich habituiert der Gaumen erstaunlich schnell an die würzigen Hartkäsearomen, die dann mit der Süße der Weißen Schokolade gut harmonieren.
VII. Moscow MuleKiezwechsel mit Drahtesel, das Wetter hält, die einigermaßen leeren Kalorien werden direkt umgesetzt. Wir sind jetzt im Hipster-Foodie-Tempel Markthalle Neun, Kreuzberg, und überlegen schwer, womit wir weitermachen wollen - und können.
Nach den ganzen mächtigen Eiskreationen muss jetzt was Leichteres her. Bei Rosa Canina gibt's Moscow Mule. Das klingt vielversprechend, einen Drink können wir inzwischen auch vertragen. In Sachen Frische steht das Eis dem übertrendeten Klassiker in nichts nach. Die Gurke - gar nicht Teil der ursprünglichen Drinkrezeptur - dominiert hier, der Ingwer bringt eine angenehme Schärfe.
VIII. GriesStraight up Gries. Keine Anglizismen, keine durchgekoppelten Gourmetsprech-Ungeheuer, einfach nur Gries. Das ist jetzt perfekt. Gastrointestinal und kognitiv haben wir bereits genug zu verarbeiten. Und es liegt natürlich eine schöne Poesie in der Schlichtheit des Eisnamens, der Sortenbezeichnung Gries.
Geschmacklich bekommt man hier sehr exakt, wonach man gefragt hat. Wenn ein Milcheis und ein Griespudding miteinander intim würden ... genau. Die Kugel kann man easy wegschlecken; schmeckt top, ist ein bisschen aufregender als Vanille-Erdbeer, aber nicht zu sehr. Man kann danach noch schlafen.
IX. Kardamom-KrokantEistesten ist kein Zuckerschlecken, es ist ein Eisschlecken. Ein nicht endenwollendes. Ja, das ist die Flughöhe, auf der wir uns gerade gen Hipster Central bewegen. An dieser Stelle sei zugegeben, mittlerweile hat der Autor auch aufgegeben, jedes Eis zwingend bis zur Waffelspitze aufzuessen. Er mag sein Leben etwas zu sehr, um sich das zu geben.
Nichtsdestoweniger, der Endspurt wird hart. Jetzt wird noch mal auf die Tube gedrückt: Kardamom-Krokant bei Mos Eisley in Neukölln. Kardamom gilt als magenberuhigend und kostbar. Andererseits: Glühwein, Adventsgebäck. In Kombination mit dem Krokant erinnert das dann tatsächlich an eine sehr feine, edle Süßigkeit, vielleicht ein Praliné.
X. ErdnussbutterZum Abschluss steht die größte Prüfung bevor. Einmal quer über das Tempelhofer Feld, orkanartigen Böen trotzend (dramatisierte Darstellung), um sich bei Fräulein Frost die dicke Schelle einzuholen. Eine Kugel Erdnussbuttereis, bitte.
Es ist ziemlich einfach: Wer Erdnussbutter mag, wird das Eis lieben, wer nicht, der eher nicht. Wie bisher jede Testkugel, ist auch diese sehr gut gemacht, da ist nichts auszusetzen. Erwartungsgemäß ist diese Kreation ziemlich mächtig - eine Portion taugt locker als veritables Dessert.
Was haben wir gelernt?Jenseits allem ironischen Amüsement, das das Hipster-Foodietum herausfordert, ist es natürlich eine absolute Bereicherung, aus so vielen hochwertigen, ungewöhnlichen Eiskreationen wählen zu können. Zum täglich Brot werden uns diese Sorten im Sommer allerdings eher nicht werden, dafür sind sie zu speziell.
Darin sind sie den meisten Craftbieren nicht unähnlich. Gerne trinkt man mal eine Flasche und freut sich daran, dass Bier auch so schmecken kann. Doch für die Länge eines Fußballspiels greift man doch lieber zu den guten unter den altbewährten Biermarken.
Die Jury aus einer Person hat den den Testmarathon übrigens leicht lädiert, aber letztlich unbeschadet überstanden. Du weißt schon, es war ein harter Job, aber einer ...