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MieterEcho 423 / April 2022

Brandenburger Landkreise zwischen Schrumpfung und Zuzug

Von Philipp Möller

Die Brandenburger Wohnungsmärkte sind von starken regionalen Disparitäten geprägt, die von hohen Leerständen bis zu angespannten Wohnungsmärkten reichen. Die soziale Wohnungspolitik wird diesen Unterschieden kaum gerecht.

Um die Brandenburger Wohnungspolitik zu verstehen, braucht es einen Blick auf die wohnungspolitischen Geschehnisse in Ostdeutschland nach dem Ende der DDR. Ausgehend von Defiziten bei der Wohnraumversorgung und einem unzureichend instandgehaltenem Altbaubestand startete die Bundesregierung Anfang der 1990er Jahre ein riesiges Bau- und Sanierungsprogramm für das Gebiet der ehemaligen DDR in Form von satten steuerlichen Sonderabschreibungen, Wohnungsbau- und Sanierungsförderprogrammen sowie der Eigenheimzulage. In der Folge kam es zwischen 1992 bis 1997 zu einem massiven Bauboom. Siedlungen mit Einzelhäusern ergossen sich in der weiten Fläche und eine Vielzahl von Geschosswohnungsbauten wurde errichtet. Die tatsächlichen wohnungspolitischen Bedarfe spielten dabei kaum eine Rolle, da die Sonderabschreibungen von bis zu 50% enorme Steuerersparnisse und damit blühende Landschaften für die zumeist westdeutschen Kapitalanleger/innen versprachen. Insgesamt entstanden innerhalb der fünfjährigen Periode rund 520.000 neue Wohneinheiten in Ostdeutschland. Aufgrund der seit 1995 wachsenden Leerstände und sinkenden Immobilienpreise und Mieten kam es 1997 zu einem Zusammenbruch der Märkte. Der Geschosswohnungsbau stabilisierte sich erst 2001 wieder auf einem niedrigen Niveau. Der Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern setzte sich dagegen bis heute recht konstant fort.

Staatlich geförderter Abriss

Die Leerstandsquote in Ostdeutschland erreichte 2002 mit 14,4% ihren Höhepunkt. Allein in Brandenburg standen 2004 Schätzungen des Landes zufolge rund 165.000 Wohnungen leer. Um das Geschäft mit der Ware Wohnraum lukrativ zu halten und die Wohnungsmärkte zu „konsolidieren", setzte zum gleichen Zeitpunkt eine Abrisswelle ein. Eine von der Bundesregierung beauftragte Expertenkommission empfahl im Jahr 2000 den Abriss von mindestens 350.000 Wohnungen im gesamten Osten. Ab 2002 wurde dieser mit dem vom Bund aufgelegten Programm „Stadtumbau Ost" staatlich gefördert. Allein in Brandenburg rissen die Mitgliedsunternehmen des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) zwischen 2002 und 2009 knapp 45.000 Wohnungen ab. Gleichzeitig versuchte die Politik durch die Städtebauförderung und das Programm „soziale Stadt" dem Wegzug entgegenzuwirken, wobei ostdeutsche Innenstädte aufgewertet und Altbaubestände saniert wurden. In den Folgejahren gelang es einigen Regionen und Städten tatsächlich die Situation zu stabilisieren.

Spätestens seit Mitte der 2010er Jahre differenzieren sich die Entwicklungen auf den regionalen Wohnungsmärkten zunehmend aus. Viele Regionen an den äußeren Landesgrenzen des Landes Brandenburg haben nach wie vor mit schrumpfenden Bevölkerungen und wachsenden Leerständen zu kämpfen. So weisen die Mitgliedsunternehmen des BBU laut dem verbands-eigenen Marktmonitor im Kreis Prignitz eine Leerstandsquote von 20% aus. In den Regionen Elbe-Elster, Oberspreewald und Spree-Neiße liegen die Leerstände zwischen 13% und knapp 18%. Die Mieten sind mit Werten von unter 5 Euro/qm vergleichsweise niedrig. Zwischen 2017 und Ende 2020 wurden in den vier Gemeinden insgesamt mehr als 2.000 Wohnungen abgerissen. Brandenburgweit verschwanden fast 4.800 Wohneinheiten durch Abriss.

Viele Landkreise in der Metropolregion rund um Berlin verzeichnen dagegen seit Jahren einen stetigen Zuzug und einen positiven Wanderungssaldo gegenüber der Hauptstadt. Regionen wie Oberhavel oder Dahme-Spreewald weisen niedrige Leerstandquoten von unter 3% auf. Die Mieten im Bestand bewegen sich auf einem ähnlichen Niveau wie in Berlin. Auf den wachsenden Zuzug und die steigenden Mieten in der Metropolregion reagierte die rot-rote Landesregierung zwischen 2009 und 2019 mit einem zaghaften Kurswechsel in der Wohnungspolitik. 2015 wurde die Wohnungsbauförderung wiedereingeführt, wobei die Förderbewilligungen von zunächst 41 langsam auf 1.130 bewilligte Wohnungen im Jahr 2020 angestiegen sind. Im gleichen Jahr wurden 332 Wohneinheiten fertiggestellt. Mit Ausnahme von Oberspreewald-Lausitz, Barnim, Cottbus und Brandenburg an der Havel förderten 2020 alle Landkreise und Städte den Wohnungsneubau. Auch in Richtung einer Mietpreisregulierung unternahm die rot-rote Landesregierung vorsichtige Schritte und wies zu Beginn des Jahres 2016 in 31 Kommunen einen angespannten Wohnungsmarkt aus, um dort die Mietpreisbremse zur Anwendung zu bringen. Im Juni 2021 verabschiedete sie ein Zweckentfremdungsverbotsgesetz, das die Ahndung von Leerständen erleichtern und die Ferienwohnungsvermietung regulieren soll. Seit 2019 regiert eine Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen das Land, die versucht diese Schritte in Richtung einer sozialeren Wohnungspolitik zurückzudrehen. Statt wie bislang in 31 gilt die Mietpreisbremse nun nur noch in 19 Städten und Gemeinden. Die Wohnungsbauförderung wurde im Jahr 2021 um fast 30 Millionen Euro gekürzt. Auch die neuen gesetzlichen Möglichkeiten des 2021 von der Bundesregierung verabschiedeten Baulandmobilisierungsgesetzes, für deren Nutzung eine Ausweisung von Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten (siehe Mieter-Echo 420/September 2021 und 421/Dezember 2021) notwendig ist, finden in Brandenburg bislang keine Anwendung.

Besonders dramatisch ist die Lage in der Landeshauptstadt Potsdam. Der dortige Wohnungsmarkt ist mit einer Leerstandsquote von unter 2% stark angespannt. Die Bestandsmieten lagen laut der Wohnungsmarktbeobachtung 2020 bei durchschnittlich 7,21 Euro/qm und damit sowohl über dem Brandenburger Durchschnitt von 5,76 Euro/qm als auch über dem Berliner Durchschnitt von 6,29 Euro/qm. Schätzungen beziffern das Versorgungsdefizit in der Stadt auf etwa 12.000 leistbare Wohnungen. 2021 erließ die Stadt als erste Gemeinde in Brandenburg eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung, diese ist jedoch bislang vollkommen zahnlos. Lediglich zwei Mitarbeiter/innen wurden für die Ahndung von Zweckentfremdungsfällen bereitgestellt und nur fünf Zweckentfremdungsfälle haben die Behörden bisher durch eigene Recherchen festgestellt.

Kommunales Wohnungsunternehmen führt Gewinne ab

Anders als viele andere Brandenburger Gemeinden verfügt Potsdam über ein starkes kommunales Wohnungsunternehmen. Mit einem Bestand von über 17.600 Wohnungen und einem Anteil von 20% am Potsdamer Wohnungsmarkt ist die „ProPotsdam" der größte Vermieter der Landeshauptstadt. Jedoch macht die Stadt Potsdam ihrer Wohnungsbaugesellschaft nur wenig soziale Vorgaben. Im Neubau hat die ProPotsdam keine festen Quoten für geförderte Wohnungen. Sie nimmt allerdings für die meisten der rund 250 pro Jahr erstellten Wohnungen Fördermittel in Anspruch. Pro Jahr überführt das Unternehmen einen Teil seiner Gewinne in Höhe von einer halben bis zu einer Million Euro auf ein von der Stadt verwaltetes Sperrkonto, das für nicht wohnungspolitische Zwecke genutzt werden kann. Bei der Vermietung darf das Unternehmen seine Mieten um 15% innerhalb von vier Jahren steigern. Zwar liegen die durchschnittlichen Bestandsmieten mit rund 6,50 Euro/qm unter dem Potsdamer Durchschnitt, aber mehr als ein Viertel der Mieten liegen bereits darüber. Bei Neuvermietung kassiert die ProPotsdam teils saftige Zuschläge und nach Sanierungen liegen die Mieten oftmals weit über 10 Euro/qm.

Seit Juni 2021 werden deshalb Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt, um Mieterhöhungen bei der ProPotsdam für fünf Jahre auf maximal ein Prozent zu deckeln. „Es geht um die Konzentration auf das Kerngeschäft der ProPotsdam und das ist die Daseinsvorsorge", sagt Lutz Boede, der für „Die aNDERE" in der Stadtverordnetenversammlung sitzt. Gemeinsam mit dem Bündnis „Stadt für Alle" und Teilen der Linkspartei unterstützt seine Partei das Bürgerbegehren. Boede fordert, dass das Unternehmen seine Gewinne ausschließlich in den Ausbau des geförderten Wohnungsbaus investiert. Um die nächste Stufe des Bürgerbegehrens zu erreichen, braucht die Initiative die Stimmen von mindestens 10% der Potsdamer Wahlberechtigten. Bislang hat sie knapp 8.800 der notwendigen rund 15.000 Stimmen gesammelt, die sie bis Ende Mai zusammen bekommen muss. Für den Endspurt gibt es prominente Schützenhilfe aus der Hauptstadt, denn da wollen Aktivist/innen von „Deutsche Wohnen & Co enteignen" den Potsdamer/innen beim Unterschriftensammeln unter die Arme greifen.

MieterEcho 423 / April 2022

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