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Miete, deckel dich

Miete, deckel dich

 

Mit dem Mietendeckel greift der Berliner Senat regulierend in den Wohnungsmarkt ein. Wieso tut er das?  Ein Erklärungsversuch von Philipp Möller

 

 

„Revolution auf dem Wohnungsmarkt“, titelte die „Taz“ am Tag nach der Einführung eines öffentlich-rechtlichen Mietpreisrechts durch den rotrotgrünen Senat in Berlin. Während die linksliberale Presse den sogenannten Mietendeckel als Ergebnis jahrelanger Proteste feierte, warnte die konservative Journaille vor der Auferstehung des Sozialismus und einer kalten Enteignung der Immobilienbesitzer.

 

Ohne Zweifel ist der Eingriff in den Wohnungsmarkt ein Erfolg der gut organisierten Berliner Mieterbewegung, die an der Betroffenheit der Menschen ansetzt und es versteht, die individuellen Auseinandersetzungen zu einem gemeinsamen Anliegen zusammenzuführen. Doch ist der Mietendeckel tatsächlich der Einstieg in die Sozialisierung der Wohnungsversorgung, wie einige Linke hoffen und das Kapital fürchtet? Und warum reguliert gerade der Staatsapparat der Hauptstadt, in der es vergleichsweise moderate Durchschnittsmieten gibt, den Wohnungsmarkt so drastisch? Ein Blick auf die Logik staatlicher Eingriffe in die kapitalistische Wohnungsversorgung kann Hinweise liefern.

 

Das „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin“, wie der für fünf Jahre geltende Mietendeckel offiziell heißt, enthält im wesentlichen drei Punkte: eine Begrenzung, die die Mieten für zwei Jahre einfriert und ab 2022 eine jährliche Erhöhung um 1,3 Prozent zulässt; die Einführung von Mietobergrenzen, gestaffelt nach Baujahr, Ausstattung und Lage, die bei Neuvermietungen gültig sind. Als drittes Element kommt voraussichtlich ab November dieses Jahres die Möglichkeit zur Absenkung von „überhöhten“ Mieten hinzu. Sie greift, wenn der Mietzins die Mietobergrenze um mehr als 20 Prozent übersteigt.

 

Kurz vor dem Beschluss im Abgeordnetenhaus modellierte die Koalition den Mietendeckel zu einem Verbotsgesetz, so dass jeder Verstoß gegen die Regelungen eine Ordnungswidrigkeit darstellt und von den Bezirksämtern mit einem Bußgeld von bis zu 500.000 Euro geahndet werden kann. Dafür müssen Mieter Verstöße jedoch selbst anzeigen und ihre Vermieter eigenständig zur Mietanpassung auffordern. Reagieren diese nicht, können sie ihre Miete auf eigenes Risiko bis zur Obergrenze absenken oder müssen vor Gericht ziehen, um eine Absenkung zu erzwingen.

 

Der neue regulatorische Dreischritt geht weit über die bisherigen, nahezu wirkungslosen Regelungen wie die Mietpreisbremse hinaus. Durch die Obergrenzen wird das Geschäftsmodell Verdrängung von Altmietern und Neuvermietung zu Höchstpreisen unrentabel. Die Aussetzung von Mieterhöhungen und das Kappen der Modernisierungsumlage, dem Motor der Verdrängung, auf einen Euro, dürfte die Mietpreisspirale für die fünfjährige Wirkungsdauer stoppen.

 

 

Kapitalverwertung bleibt ungefährdet

 

Historisch sind ordnungspolitische Eingriffe in den Wohnungsmarkt zu Krisenzeiten nicht neu. Als Reaktion auf die drastische Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg wurde in der Zwischenkriegszeit das System der „Wohnungszwangswirtschaft“ eingeführt, das durch Mietpreiskontrollen, Eingriffe in die Wohnraumbewirtschaftung und Ausbau des Mieterschutzes die Mietentwicklung und Wohnungszuweisung regulierte. Ursprünglich als zeitlich begrenzte Notstandsmaßnahme geplant, blieben die öffentlichen Eingriffe mit einigen Modifikationen bis 1960 in Kraft und wurden erst, nachdem die massive Wohnungsbauförderung nach dem Zweiten Weltkrieg die gröbste Wohnungsnot beseitigt hatte, im Rahmen des „Lücke-Plans“ sukzessive abgeschafft.

 

In West-Berlin unterlagen Altbauten bis 1988 einer Mietpreisbindung. Eine bis heute lesenswerte politökonomische Analyse der Determinanten der Wohnungsversorgung stellte 1975 klar: „Die staatliche Mietpreispolitik hebt den Charakter des Mietwohnhauses als Leihkapital in Warenform nicht auf, sie kann allenfalls den Verwertungsprozess regulieren und in Krisen hervortretende Auswüchse einer nach Rentierlichkeitskriterien betriebenen Wohnungswirtschaft abzuschwächen versuchen.“

 

Öffentliche Eingriffe in die kapitalistische Wohnungsversorgung sind temporär und dienen der Stabilisierung des Wohnungsmarkts. Historisch beugten sie sozialen Unruhen vor, sicherten die Reproduktion der Ware Arbeitskraft und die des Soldaten durch Beseitigung gesundheitsschädlicher Wohnverhältnisse. Die Verwertung der Ware Wohnraum steht grundsätzlich jedoch nicht zur Disposition. Die Grenzen der regulatorischen Eingriffe liegen laut den Autoren Brede, Kohaupt und Kujath in den „ökonomischen Verhältnissen der Wohnungswirtschaft, die eine Verzinsung des in den Wohnungen angelegten Kapitals verlangen“, wie es in Politische und ökonomische Determinanten der Wohnungsversorgung heißt. Eine Ausnahme bildet das „rote Wien“ der zwanziger Jahre, in dem die Austromarxisten durch den „Friedenszins“ und den Ausbau des Mieterschutzes privaten Wohnungsbau und Vermietung unrentabel machten und statt dessen durch ein steuerfinanziertes, kommunales Wohnungsbauprogramm innerhalb von 15 Jahren 60.000 Gemeindewohnungen als marktfernes Wohnungssegment schufen.

 

Der Mietendeckel hingegen verfolgt in seiner jetzigen Form nicht das Ziel, privates Kapital vom Wohnungsmarkt zu verdrängen. Er begrenzt lediglich temporär dessen Verwertungsmöglichkeiten, um das durch die Wohnungsnot hervorgerufene „Kräfteungleichgewicht von Mieterinnen und Mietern einerseits und Vermieterinnen und Vermietern andererseits sowie der drohenden Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsschichten wirksame Maßnahmen entgegenzusetzen“, wie es in der gesetzlichen Begründung heißt. Der jährliche Mieterhöhungsspielraum ab 2022 schützt die Eigentümer vor einer Entwertung ihres Besitzes. Hinzu kommt eine Härtefallregelung, die greift, wenn Vermieter durch die Regelungen „marktübliche“ Wertsteigerungen und Renditen nicht erzielen können. In diesen Fällen dürfen Mieterhöhungen über die Obergrenzen hinaus vorgenommen werden. Die Differenz übernimmt der Fiskus in Form einer Subjektförderung für die betroffenen Mieter. Neubauten, die nach 2014 fertiggestellt wurden, sind gänzlich von den Regularien ausgenommen und vermehrte private Investitionen in den Wohnungsbau von der Politik ausdrücklich gewünscht.

 

Mieten als Standortfaktor

 

Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass der Staat mit dem Mietendeckel nicht nur sozialpolitische Ziele verfolgt und um die Gunst des Staatsvolks buhlt, sondern auch Standortpolitik betreibt. Die einer linken Gesinnung gänzlich unverdächtige grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop beteuerte gegenüber der DPA: „Man sollte Berlin als Stadt und als Standort nicht schlechtreden … Alle Metropolen weltweit haben das Thema Mietenkrise ganz oben auf der Agenda und reagieren darauf mit regulativen Maßnahmen.“ Die Höhe der Mieten sei für eine Großstadt auch eine Standortfrage.

 

Wie in vielen anderen Metropolen weltweit geht in Berlin die Schere zwischen Reallohn- und Mietentwicklung immer weiter auseinander. Während die verfügbaren Haushaltseinkommen zwischen 2013 und 2017 um 8,3 Prozent wuchsen, stiegen die Angebotsmieten im gleichen Zeitraum um 24,5 Prozent und die Bestandsmieten um 15,3 Prozent. Die Verkaufspreise stiegen sogar um 50 Prozent. Die Verwendung der Ware Wohnraum als „reines Spekulationsobjekt“ gefährdet zunehmend ihre reproduktive Funktion als Behausung und schadet dem Standort. Viele Unternehmen klagen über die Wohnraumknappheit in der Stadt, die den Zuzug von angeworbenen Arbeitskräften erschwert. Das Wanderungssaldo nimmt aufgrund der Krise am Wohnungsmarkt Jahr für Jahr ab, immer mehr Zuziehende weichen auf das Umland aus.

 

Die vergleichsweise günstigen Lebenshaltungskosten waren in der Vergangenheit ein wichtiger Vorteil in der internationalen Städtekonkurrenz und sorgten für Berlins hohe internationale Attraktivität.

Die Unternehmensberatung McKinsey bezeichnete die niedrigen Lebenshaltungskosten noch 2013 als das „wichtigste Asset“ der Stadt. Die von prekären Arbeitsbedingungen geprägten Wachstumsbranchen in der Kreativindustrie, Tourismus und Start-Up-Sektor fanden ideale Bedingungen für ihre Entfaltung.

 

Es lässt sich feststellen, dass der Staat des Kapitals die „gesamtgesellschaftliche Reproduktion in der allgemeinen Linie des gemeinsamen Interesses aller Einzelkapitale an der Akkumulation“ organisiert, wie Johannes Agnoli in seinem Text Staat und Kapital 1975 analysierte. Folgt man dieser These, kommt der Berliner Senat mit der Regulation der Mieten seiner Rolle als „Gesamtorganisator“ nach und wendet sich im Sinne der Reproduktion des Gesamtkapitals gegen die Einzelinteressen der Immobilienwirtschaft, die in einer Notsituation Extraprofite erzielt. Die Spitzen der rasanten Mietentwicklung der letzten Jahre sollen gekappt werden, um die Attraktivität des Standorts zu erhalten.

 

Mit der Regulation der Mietenentwicklung liegt Berlin international wie bundesweit im Trend. New York war die erste globale Metropole, die im vergangenen Jahr die Mietentwicklung durch ein Gesetz regulierte, das dem Mietendeckel ähnelt, aber weit weniger in die Verwertung eingreift. Die Berliner Wohnungsbausenatorin Kathrin Lompscher (Die Linke), gab kürzlich bekannt, dass international viele Städte den Berliner Vorstoß mit großem Interesse verfolgten und in Austausch mit der Berliner Stadtregierung stünden. In München erhielt ein Volksbegehren für einen Mietenstopp in der ersten Stufe mehr als doppelt so viele Stimmen wie benötigt.

 

Offenbar geht die Wohnungspolitik in eine neue Phase der Re-Regulierung über, die in der Wohnungsforschung als „post-neoliberal“ beschrieben wird. Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) äußerte in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“: „Wenn wir den Markt rein kapitalistischen oder neoliberalen Regeln überlassen, nach denen im Prinzip immer der Stärkere gewinnt, entspricht das nicht meiner Auffassung von sozialer Marktwirtschaft.“ Nach der Einführung einer Kappungsgrenze für Modernisierungskosten, der Verschärfung der Mietpreisbremse und der Ausweitung des Betrachtungszeitraums für die Berechnung des Mietspiegels von vier auf sechs Jahre, fordert eine Initiative der CSU nun eine Verschärfung des Wuchermietparagrafen. Diese Gesetzesvorhaben können als Versuche gewertet werden,  der Diskussion um radikalere Maßnahmen wie den Mietendeckel, die Enteignung von großen Wohnungsunternehmen oder einem kommunalen Wohnungsbauprogramm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Mit welchen Mitteln der Staat eine Stabilisierung des Wohnungsmarkts zu erreichen versucht, ist letztlich immer eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse.

 

Philipp Möller lebt in Berlin und arbeitet als Redakteur der Zeitschrift MieterEcho. Als Sozialmieter profitiert er nicht vom Mietendeckel und hofft daher auf die Expropriation der Expropriateure, natürlich entschädigungslos.