Philipp Mattheis

Journalist/Bestseller-Autor, München

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Türkei: Die Oberschicht flieht ins Ausland

Für Osman Akyol und seine Frau Bursa war Erdoğans erste Rede nach dem Putschversuch im vergangenen Juli der Wendepunkt. „Damals bestand noch die Chance, das Land zu einen", sagt Akyol, der mit echtem Namen nicht genannt werden möchte. „Aber der Präsident vertiefte die Gräben und redete stattdessen davon, die Todesstrafe wiedereinzuführen." Die beiden Exbanker fassten daraufhin den Entschluss, das Land zu verlassen. Gespart hatten sie in ihren Jahren als Banker in London genug. Mit dem Geld kauften sie Immobilien an der portugiesischen Küste und wollen nun ein Hotel eröffnen. „In meinem Freundeskreis reden viele darüber, auszuwandern", sagt Akyol.

Er und seine Frau gehören zur Istanbuler Oberschicht. Die macht sich gerade aus dem Staub. Zu groß ist die Angst, dass die Türkei sich in einen autoritär geführten Willkürstaat verwandelt. Am Sonntag lässt Präsident Recep Tayyip Erdoğan über eine Verfassungsreform abstimmen, die ihm eine einmalig mächtige Position einräumen würde.

Während der Großteil der „normalen" Türken für Erdoğans Ansinnen stimmen dürfte, versetzt diese Aussicht die Welt der Reichen in Aufruhr. 6000 Millionäre haben die Türkei 2016 verlassen. Das belegen die Zahlen des Global Wealth Report. Zum Vergleich: 2010 waren es bloß 1000.

Die Türkei, noch vor wenigen Jahren eines der vielversprechendsten Schwellenländer der Welt, scheint zu einem Hochrisikostaat geworden zu sein. Wer es sich leisten kann, kauft sich Immobilien im europäischen Ausland und bekommt eine Aufenthaltsgenehmigung gleich mit dazu, legt Teile des Vermögens in Sachwerte in Europa an oder gründet in Süd- und Westeuropa Unternehmen. Und das weckt die Begierde unter Vermögensmanagern, Maklern für gehobene Immobilien und sonstigen Hütern und Umsorgern des großen Geldes.

Vor allem Südeuropa profitiert

Tolga Habali, Direktor von Henley & Partners Türkei in Istanbul, organisiert betuchten Türken den Schritt. Abhängig vom jeweiligen Land, erfordert das eine Mindestinvestition von 100 000 bis zu einer Million Dollar. „Portugal, Spanien und Griechenland sind die Topziele, da sie auch ein Reisen im gesamten Schengenraum ermöglichen", sagt Habali. „Vielen geht es auch um eine gute Ausbildung für ihre Kinder." Während dieser Schritt für die Elite vieler afrikanischer und asiatischer Länder Standard ist, sei es in der Türkei ein neuer Trend.

Zahlen und Fakten zum Referendum in der Türkei Wie läuft die Auszählung ab?

Landesweit gibt es gut 167.000 Wahlurnen (Wahllokale haben in der Regel jeweils mehrere Wahlurnen). Vertreter von Regierungs- und Oppositionsparteien dürfen Beobachter an die Urnen entsenden, um die Abstimmung und die Auszählung zu beobachten. Diese Beobachter müssen das Ergebnis aus der jeweiligen Urne unterzeichnen, bevor die Stimmzettel und das Wahlergebnis zur Wahlkommission des Bezirks gebracht werden. Dort werden die Ergebnisse - wieder unter Beobachtung von Vertretern sowohl der Regierungspartei AKP als auch von Oppositionsparteien - in ein Computersystem eingegeben und zur Wahlkommission nach Ankara übermittelt. In der nationalen Wahlkommission in Ankara sitzen ebenfalls Vertreter der Regierung und der Opposition.

Wann ist mit den ersten Ergebnissen zu rechnen?

Am Abend des Referendums. Unmittelbar nach der Schließung der Wahllokale beginnt die Auszählung. Laut Wahlgesetz dürfen Medien bis 21 Uhr keine vorläufigen Ergebnisse veröffentlichen. Die Wahlbehörde kann am Wahltag selbst aber eine frühere Veröffentlichung erlauben. Ein Verstoß wird allerdings nicht geahndet, das heißt, Medien könnten das Veröffentlichungsverbot auch ignorieren. Prognosen oder Hochrechnungen gibt es nicht, dafür aber Teilergebnisse, die fortlaufend aktualisiert werden. Wann der Ausgang des Referendums feststeht, hängt vor allem davon ab, wie knapp das Resultat ausfällt. Vermutlich dürfte aber am späteren Abend oder spätestens in der Nacht deutlich werden, welche Seite den Sieg für sich verbuchen kann.

Zu besichtigen ist das zum Beispiel am Anfang dieser Woche in Lissabon. Dort schwärmt João Pestana Dias in einem Konferenzraum eines Luxushotels von seiner Heimat: „In Portugal gibt es keine ethnischen Probleme, keinen religiösen Fanatismus, keine gesellschaftlichen Konflikte", sagt der Geschäftsmann, der die Interessengemeinschaft The Trade Connection Portuguese Turkish Network anführt. Den unausgesprochenen Zusatz „im Gegensatz zur Türkei" verkneift sich Pestana Dias. Denn als er Investitionsprojekte türkischer Geldgeber in Höhe von fast 300 Millionen Euro in Portugal präsentiert, ist auch der türkische Botschafter unter den Zuhörern. „Sozialer Frieden ist die Anlagenrendite, nach der sie suchen", sagt Pestana Dias deshalb, und jedem im Raum ist klar, was er meint.

Allein im Januar und Februar dieses Jahres haben 13 Türken in Portugal sogenannte goldene Visa für Hochvermögende beantragt. Das waren fast so viele wie im gesamten vorigen Jahr. Damit können sie einen Teil ihres Vermögens in Sicherheit bringen und sich mit Investitionsvorhaben im Land gleichzeitig eine Aufenthaltserlaubnis erkaufen, Bewegungsfreiheit im Schengenraum inklusive.

Redakteurin Erfolg/Kultur & Stil

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