ie Wahl in Thüringen zeigt, wie gespalten die Gesellschaft ist. Die Linkspartei um Ministerpräsident Bodo Ramelow verzeichnet Gewinne und kommt nach den Landtagswahlen an diesem Sonntag mit über 30 Prozent auf das beste Ergebnis, das sie je bei einer Landtagswahl eingefahren hat. Auf Platz zwei folgt die AfD - angeführt vom Rechtsaußen Björn Höcke - mit zuletzt 22,7 Prozent. Beide Parteien gehen als große Sieger aus dem Abend.
Die Linkspartei ist mit ihrem Wahlsieg äußerst zufrieden, die Stimmung auf den Wahlpartys dementsprechend gut. Das Abschneiden wertet sie als Auftrag, weiterhin das Bundesland Thüringen zu führen. Am Abend sagte Ramelow: „Ich sehe mich ganz klar bestätigt. Bei dem Zustimmungswert, den meine Partei bekommen hat, ist der Regierungsauftrag klar bei meiner Partei. Und ich werde diesen Auftrag auch annehmen."
Dieser Einschätzung folgen weitere führende Parteimitglieder, so auch Parteichef Bernd Riexinger und Linken-Chefin Katja Kipping. „Die Linke ist erstmals stärkste Partei in einem Bundesland geworden", sagte er und betonte, dass seine Partei einen „grandiosen Wahlsieg" eingefahren habe - vor allem wegen Ramelow.
Der Partei im Gesamten könnte der Wahlsieg Auftrieb verleihen, glaubt Riexinger. „Wir haben im Osten wieder eine Wahl gewonnen, das wird die ganze Bundespartei stärken. Wir sind auf einem aufsteigenden Ast", sagte er. In seinem Bundesland aber dürfte es Ramelow schwer haben, eine Regierung zu bilden. Es zeichnet sich keine eindeutige Koalition ab. Die bisherige rot-rot-grüne Koalition hat ihre Mehrheit verloren, CDU und FDP gehen auf Distanz zur Linken.
Die Thüringer Wirtschaft hat derweil schon ihre Wunschkonstellation für eine Regierung geäußert: eine Minderheitsregierung unter Ramelow. „Ich appelliere an die Vernunft der Hauptakteure: Ministerpräsident Bodo Ramelow muss jetzt eine Minderheitsregierung bilden, bei der die wirtschaftliche Entwicklung Thüringens als Maßstab der Zusammenarbeit dient", sagte die Landesvorsitzende des Verbandes „Die Familienunternehmer", Colette Boos-John. „Hierfür muss sich die Linke auf die CDU und die FDP zubewegen."
Die AfD konnte in Thüringen ihr Ergebnis mehr als verdoppeln. Nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen konnte sie die meisten neuen Wähler aus dem Nichtwähler-Lager gewinnen. Entsprechend optimistisch zeigt sich Spitzenkandidat Björn Höcke. „Das ist ein klares Zeichen der Thüringer: So geht es nicht weiter", sagte er am Sonntag.
Angesichts der Wahlergebnisse kommt er zu dem Schluss, dass sich die Partei auf dem Weg zu einer gesamtdeutschen Volkspartei befinde. „Fakt ist, die Regierung Ramelow ist abgewählt, und das ist gut für Thüringen", so Höcke.
Alexander Gauland sagte am Wahlabend: „Es gibt eine bürgerliche Mehrheit in Thüringen." Damit meinte er neben seiner Partei die CDU. Den Christdemokraten schlägt er daher vor, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Rechnerisch wäre das locker möglich, doch die CDU hat einer Koalition mit den Rechtspopulisten bereits eine klare Absage erteilt.
Dass die AfD zweitstärkste Kraft werden konnte, löst Kritik aus. Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, kommentierte ihr starkes Abschneiden so: „Die stetige Erosion der demokratischen Kultur setzt sich an diesem Wahlsonntag ungebremst fort."
Mit nur einem knappen Prozentpunkt hinter der AfD rangiert die CDU auf dem dritten Platz. Sie musste im Vergleich zur vergangenen Wahl ein Minus von knapp zehn Prozentpunkten hinnehmen. Spitzenkandidat Mike Mohring spricht von einem „bitteren Ergebnis" für seine Partei. Aber: „Die Regierung Ramelow ist abgewählt. Auch das ist ein Ergebnis dieses Tages", sagte Mohring.
„Zunächst heißt es, klug zu überlegen: Was ist für unser Land wichtig, und wie können wir unsere Demokratie stabilisieren?", so Mohring weiter. Es gebe keine Mehrheiten in der Mitte mehr, haben die Bürger doch größtenteils rechts oder links gewählt. Daher seien bei der Regierungsbildung nun neue Antworten gefragt. Bislang hatte er eine Zusammenarbeit sowohl mit der AfD als auch mit der Linkspartei ausgeschlossen.
Das habe auch weiterhin Bestand, sagt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. „Unser Wort gilt nach den Wahlen, genau wie wir es vor den Wahlen gesagt haben: Es wird keine Koalition der CDU mit der Linkspartei oder der AfD geben", sagte er am Sonntagabend unter Beifall von CDU-Anhängern in Berlin. Gleichzeitig sei sich die Thüringer CDU unter Mohring „ihrer Verantwortung bewusst, diesem Land zu dienen".
Grüne und SPD haben nur Ergebnisse im einstelligen Bereich geschafft. Nach der Wahlpleite für die Sozialdemokraten will der Thüringer Vorsitzende Wolfgang Tiefensee jedoch keine personellen Debatten führen. Trotzdem: Die Enttäuschung bei den Genossen ist groß.
Schockierend sei vor allem das Abschneiden der AfD, sagte unter anderem die kommissarische Parteichefin Malu Dreyer. Einen Grund für das schlechte Abschneiden ihrer Partei sieht Dreyer in der Polarisierung zwischen dem linken Ministerpräsidenten Ramelow und der AfD.
Die Grünen konnten in Thüringen nicht vom bundesdeutschen Auftrieb der Partei und dem gestiegenen Klimabewusstsein profitieren. Hochrechnungen zufolge schaffen sie gerade mal den Einzug ins Landesparlament, haben sogar im Vergleich zur letzten Wahl vor fünf Jahren etwas an Prozentpunkten verloren. „Wir haben uns als Grüne ein deutlich besseres Ergebnis erhofft", räumte Spitzenkandidatin Anja Siegesmund ein.
Auch Parteichef Robert Habeck ist mit dem Ergebnis unzufrieden. „Wir haben ein richtig gutes Spiel gemacht, aber wir sind mit dem Ergebnis nicht zufrieden", sagte Habeck am Rande der Grünen-Wahlparty in Erfurt. „In den letzten Wochen hat sich der Wahlkampf total auf die Frage zugespitzt, wer Ministerpräsident wird, und bei dieser Zuspitzung verlieren die Kleinen immer."
Siegesmund will nun mit allen Parteien Koalitionsgesprächen führen. „Es ist unsere demokratische Pflicht, selbstverständlich mit den demokratischen Parteien, also der Linken, SPD und FDP und gegebenenfalls auch mit der CDU, zu reden", sagte sie. Die AfD hingegen schließt sie klar als möglichen Koalitionspartner aus.
Die FDP könnte den Einzug ins Parlament mit fünf Prozent knapp schaffen. Auch sie bringt sich für die schwierige Regierungsbildung in Stellung. Ihr Spitzenkandidat Thomas Kemmerich favorisiert eine Minderheitsregierung. Eine Koalition mit der Linkspartei schließt er aus.
Auch Parteichef Christian Lindner erteilt dem Wahlsieger - und der AfD - eine Absage. „Für die FDP ist eine Zusammenarbeit mit Linker und AfD ausgeschlossen, weil beide Parteien die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in Deutschland verändern wollen", sagte Lindner. Dass die Liberalen ihre Werte bei der Landtagswahl in Thüringen verdoppelt haben, führt er auf die Arbeit der Bundespartei zurück.
Mehr: Selbst gegen den extremsten Teil der AfD finden die anderen Parteien kein Rezept, kommentiert unser Redakteur Thomas Sigmund.