Philipp Fritz

Journalist, Warschau, Berlin

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Artikel

„Gigantenzecken": Wie Polens Staatsfunk Horrorszenarien über Deutschland verbreitet

Mehrfach wurde bereits gegen die tendenziöse Berichterstattung der polnischen Staatsfernsehen TVP protestiert. | Quelle: WELT

Der polnische Staatssender TVP berichtet Bedrohliches über seine Nachbarn. Nun belegen Reporter, dass auch eine „Trollfabrik" massenweise Falschnachrichten im Sinne der Regierungspartei PiS produziert. Beliebtes Thema: Das „Flüchtlingschaos" in Deutschland.

Unter arabische Migranten mischen sich Kriegsverbrecher, Sexualstraftäter laufen frei herum, ohnehin „verschwinden" die Deutschen langsam, denn es kommen zu viele „Unqualifizierte" ins Land: Wer das polnische Staatsfernsehen TVP schaut oder die Nachrichten des regierungsnahen Blattes „DoRzeczy" liest, muss glauben, es steht nicht gut um Deutschland. Beiträge, in denen es um Mord und Totschlag in deutschen Städten geht, werden aber auch von scheinbar unabhängigen Plattformen wie newsweb.pl produziert. Zehntausendfach werden gerade deren Falschmeldungen auf Facebook oder Twitter geteilt. Und immer wieder geht es um Deutschland und darum, dass die Zustände zwischen Flensburg und dem Bodensee niemandem mehr zuzumuten wären.

Deswegen weigert sich Polen strikt, Flüchtlinge etwa aus Syrien im Rahmen eines europäischen Verteilungsschlüssels aufzunehmen. „Es sind bereits Symptome sehr gefährlicher und lange nicht gesichteter Krankheiten in Europa aufgetaucht", sagte der mächtige Parteichef der PiS (Recht und Gerechtigkeit), Jaroslaw Kaczynski, bereits 2015. Die Parasiten seien nicht gefährlich für die Organismen dieser Leute, hier aber seien sie es unter Umständen, erklärte er und stilisierte seine Partei zur einzigen Kraft, die Polen davor bewahren könne.

Die PiS-treuen Medien folgen solchen Aussagen meist sofort. Der neuste Aufreger: In Deutschland seien afrikanische „Gigantenzecken" heimisch geworden - der Beitrag besteht aus kaum mehr als einem Bild von einem riesenhaften, ekelerregenden Tier und verbreitet sich gerade in sozialen Netzwerken. Verantwortlich dafür ist die Plattform newsweb.pl, die zu der Firmengruppe HGA Media gehört. Aufgedeckt hat das ein Team des polnischen Privatsenders TVN, dem es gelungen ist, jemanden als Mitarbeiterin getarnt in deren Räume einzuschleusen.

Es handelt sich um den ersten Beleg, dass auch in Polen eine „Trollfabrik" existiert, also eine Organisation, die massenweise Nachrichten fälscht und mithilfe von Fake-Profilen die Stimmung in Online-Foren im Sinne der Regierungspolitik lenkt. Weltweit bekannt war bisher die in St. Petersburg ansässige Agentur für Internet-Forschung, die für den Kreml ab 2014 Einfluss auf die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine nahm.

In Polen vermuteten Journalisten bereits seit einiger Zeit, dass Falschnachrichten über Deutschland und Kampagnen gegen Oppositionspolitiker gesteuert seien. Nun ist es bewiesen: Die Seite newsweb.pl teilte zum Beispiel ein Meme, mit dem der oppositionelle Warschauer Stadtpräsident Rafal Trzaskowski angegriffen wird. Der hat im Februar erst eine Erklärung zum Schutz von sexuellen Minderheiten unterzeichnet und ist seitdem aggressiven Schmähungen im Internet ausgesetzt.

Die Bild- und Tonaufnahmen von TVN belegen, dass Angestellte in der Zentrale von HGA Media, einem schmucklosen Bungalow am Stadtrand von Warschau, eben auch Memes, Bilder, die mit oft nur einem oder zwei verleumderischen Sätzen versehen sind, produzieren. Ein Mitarbeiter brüstet sich sogar damit, Lügen zu verbreiten. Zehn Beiträge schreibe er an einem Tag, einmal habe er sogar 15 geschafft, sagt er stolz, während er heimlich von der TVN-Reporterin gefilmt wird. „Das ist neumodischer Journalismus, mit richtigem Journalismus hat das nichts zu tun", erklärt er in ruhigem Ton, im Glauben, eine Kollegin einzuarbeiten.

Polnische Oppositionspolitiker haben bereits Stellung zu den Enthüllungen bezogen. „Es ist unglaublich, dass man ein ganzes Troll-System schaffen kann, Hassnachrichten, mit denen die Opposition angegriffen wird und all jene, die andere Ansichten haben als die Regierungspolitiker", sagte Robert Kropiwnicki von der liberal-konservativen PO (Bürgerplattform). Er sieht eindeutig Verbindungen zur PiS. Laut TVN haben deren Mitarbeiter zwar auch finanzielle Motive; sie verdienen mit Werbung Geld.

Die Falschnachrichten spielen jedoch der Regierungspolitik ganz klar in die Hände, und es gibt einen weiteren Hinweis: Beiträge von newsweb.pl werden auf der Facebook-Seite „Ich unterstütze die PiS-Regierung" geteilt. Deren Betreiber ist Dariusz Matecki, ein ehemaliger Mitarbeiter des Justizministeriums. Dessen Staatssekretär Patryk Jaki trat im vergangenen Jahr während der Kommunalwahlen gegen Stadtpräsident Trzaskowski an, der besonders heftigen Attacken ausgesetzt ist - im Sinne der Regierungspartei.

Die Seite newsweb.pl ist mittlerweile nicht mehr aufrufbar. Unter anderen Namen aber kursieren weiter massenweise Falschmeldungen im polnischen Internet. Während der Parlamentswahlen 2015 konnte die PiS bereits mit Falschnachrichten über Flüchtlinge in Deutschland punkten, und auch jetzt, vor den Wahlen zum EU-Parlament im Mai und den polnischen Parlamentswahlen im Herbst, schwirren Beiträge über chaotische Zustände in Berlin oder etwa darüber, dass die Regierungspartei polnische Kinder vor dem Einfluss der „ LGBT-Lobby" schützen müsse, durch das Netz. Ein Bündnis aus vier Oppositionsparteien könnte der PiS tatsächlich gefährlich werden. Den Nationalkonservativen dürfte alles recht sein, um zu gewinnen - auch „Trollfabriken".

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