Philipp Fritz

Journalist, Warschau, Berlin

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Ist Russlands Botschaft in Tschechien Basis für Geheimdienstoperationen?

Die russische Botschaft in Prag soll Basis für EU-weite Operationen sein. Darauf hat der tschechische Inlandsgeheimdienst hingewiesen. Doch der Bericht wirft Fragen auf. | Quelle: WELT / Lukas Axiopoulos

Russland soll Tschechien als Basis für EU-weite Geheimdienstoperationen nutzen - darauf weist der tschechische Inlandsgeheimdienst hin. Der direkte Ton in dem Bericht ist ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher aber ist die Reaktion von Präsident Zeman.

Die russische Botschaft im 6. Bezirk in Prag ist ein riesiger Bau: Eine imposante Stadtvilla mit hohen römischen Säulen, einem breiten Treppenaufgang, teilweise umringt von einer massiven Mauer. Sie ist eine der größten Liegenschaften der Russischen Föderation in der EU - beachtlich, denn die Tschechische Republik ist mit etwas mehr als 10 Millionen Einwohnern eines ihres kleinsten Mitgliedsländer. Dennoch soll Russland das kleine Land als Basis für EU-weite Geheimdienstoperationen nutzen.

Die Botschaft Russlands als Herzstück für Geheimdienstoperationen im Land, eine „Residentura", wie es im russischen Spionagejargon heißt - darauf wurde im Dezember im Jahresbericht des tschechischen Inlandsgeheimdienstes BIS hingewiesen, der Regierungsmitgliedern und dem Staatspräsidenten vorgelegt wird.

Darin ist die Rede von „nicht registrierten Geheimdienstoffizieren unter diplomatischem Deckmantel". Weiter werden die russischen Diplomaten als „das signifikanteste Risiko" für tschechische Bürger bezeichnet und konkret von russischen Hackergruppen „Turla" und „APT28" berichtet. Sie sollen bereits 2016 und 2017 in tschechische Regierungseinrichtungen eingedrungen sein und die Kommunikation des Verteidigungsministeriums und der Armee abgefangen haben.

Die Erwähnung dessen und der direkte Ton sind ungewöhnlich für einen Geheimdienstbericht, in dem meist allgemein von globalen Entwicklungen die Rede ist. Noch ungewöhnlicher aber ist die Reaktion von Präsident Milos Zeman. Nur drei Tage, nachdem er den Bericht erhalten hatte, sagte er in einem Interview mit dem Fernsehsender Barrandov, dass er keine konkreten Beweise für die Gegenwart russischer Agenten im Land liefere. Zeman sprach von „dummem Geschwätz" und nannte die Angehörigen seines eigenen Dienstes BIS „Amateure".

Das erinnert an Donald Trump, der bezüglich einer russischen Einmischung in den US-Wahlkampf ebenfalls seinen Diensten widersprach. Noch überschwänglicher und öfter als Trump bekundet allerdings der tschechische Präsident Zeman seine Sympathien für Wladimir Putin. Sabotiert die Politik im Land also die eigenen Sicherheitsleute und entwickelt sich Tschechien so zu einer Schwachstelle in der EU und Nato?

„Tschechien ist ohne Zweifel ein besonderer Fall", sagt Ondrej Kundra WELT. Der Journalist recherchiert seit Jahren im Umfeld der russischen Botschaft und zu den Tätigkeiten russischer Dienste. „Teile der politischen Elite haben Verbindungen nach Moskau", so Kundra. „Es geht nicht nur um Zeman, sondern auch um Personen in dessen Umfeld." Zudem gelten die rechtsextreme Partei SPD sowie die sozialdemokratische Partei CSSD als Kreml-freundlich. Letztere stützt im Abgeordnetenhaus mit ihren Stimmen die Minderheitsregierung von Premierminister Andrej Babis.

Was Tschechien darüber hinaus „besonders" macht, wie Kundra sagt, ist, dass dessen Bevölkerung in Umfragen regelmäßig zwar Länder wie Frankreich oder Italien Russland vorzieht. Der große östliche Nachbar der EU ist in Tschechien beliebter als in anderen ostmitteleuropäischen Staaten, die bis zum Ende des Sozialismus im sowjetischen Einflussbereich lagen - Polen zum Beispiel.

„Polen hat historisch andere Erfahrungen mit Russland gemacht und ist auch geographisch näher dran", sagt Kundra. „Deswegen sind die Menschen sich der Desinformationskampagnen des Kreml bewusster und russische Aktivitäten verfangen weniger."

Mit „Aktivitäten" meint Kundra Agenten, die oft als Diplomaten getarnt sind. Erst im Oktober berichtete der tschechische Radiosender CR unter Bezug auf Geheimdienstquellen, dass sich 2014 sogar Aleksander Petrow und Ruslan Boschirow in Prag aufgehalten haben. Den beiden Männern wird vorgeworfen, den ehemaligen russischen Agenten Sergej Skripal und dessen Tochter am 4. März 2018 im englischen Salisbury mit dem chemischen Kampfmittel Novichok vergiftet zu haben.

Der Experte Ondrej Kundra ist davon überzeugt, dass die russische Botschaft oft sogar als Basis für Operationen im europäischen Ausland diene, nicht nur in Tschechien. „Deswegen ist es umso wichtiger, dass unsere Nachbarn das zur Kenntnis nehmen", sagt er. Ein Grund dafür ist, dass der tschechische BIS mit nur rund 800 Mitarbeitern wesentlich kleiner ist, als die Dienste anderer EU-Staaten und Russland dort mit stärkerer Beobachtung rechnen muss.

„Aktivitäten" bedeutet heute aber auch die Beeinflussung der Bevölkerung als Teil einer hybriden Kriegsführung. „Es gibt immer mehr pro-russische Informationskanäle auf Tschechisch, Tausende von Accounts in sozialen Netzwerken und Hunderte von Ketten-Mails, mit denen versucht wird, die öffentliche Meinung im Sinne des Kreml zu steuern", sagt Jakub Kalensky WELT. „Ich sehe eine deutliche Zunahme."

Kalensky ist Experte für Desinformationskampagnen beim Thinktank Atlantic Council. Von 2015 bis 2018 leitete er die East Stratcom Task Force der EU, deren Ziel es ist, gegen russische Desinformationskampagnen zu arbeiten. Kalenskys Einschätzung deckt sich mit dem Bericht des BIS.

„Das sind besorgniserregende Entwicklungen, aber trotzdem sollten wir Tschechien nicht einfach als Schwachstelle im westlichen Bündnis abtun", so Kalensky. Die Regierung sei längst nicht so prorussisch wie Präsident Zeman, auch leiste der BIS gute Arbeit und der deutliche Ton in dessen Bericht sei eine Handlungsanweisung an die Politik.

Mittlerweile haben sich 60 tschechische Parlamentarier dafür ausgesprochen, einen Ausschuss einzurichten, um die Aktivitäten russischer und auch chinesischer Dienste im Land aufzuklären. Aber ist das angesichts des starken Engagements Moskaus in Prag genug?

Genau wie der BIS hebt Kalensky die Rolle der russischen Botschaft hervor. Etwa 200 Diplomaten sind direkt dort oder in den Konsulaten in Brno und Karlovy Vary tätig. „Damit ist sie in einer Liga mit den Botschaften in Brüssel und Wien, wo sich EU- und UN-Institutionen befinden", sagt Kalensky.

Mindestens ein Drittel der Prager Diplomaten soll jedoch dem GRU angehören, dem russischen Militärgeheimdienst. Hinzu kommen noch „illegale Residenten", Personen, die verdeckt im Land leben, manchmal sogar tschechische Staatsbürger, wie der Fall von Robert Rachardzo zeigt. Bereits 2010 mussten drei Generäle in Tschechien zurücktreten, nachdem der russische Spion über eine Armeeangehörige Kontakt zu deren Büros hatte. Was für Informationen er nach Moskau weitergeben konnte, ist bis heute nicht bekannt.

„Die Russen waren einfach nie weg", erklärt Investigativjournalist Kundra. „Unser Land ist das westlichste des ehemaligen Ostblocks und war deswegen das erste, in dem eine KGB-Residentura eingerichtet wurde." Russland zog sein Personal nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht ab.

In den 90er-Jahren nutzen die Diplomaten ihre Kontakte in die tschechische Geschäftswelt und Politik und bereicherten sich. Und heute, nachdem Russland wieder angefangen hat, auf geheimdienstliche Mittel zu setzen, nutzen sie diese Verbindungen für ihre Operationen. Gerade auch vor dem Einfluss von russischen Einzelpersonen auf die tschechische Wirtschaft, insbesondere die Energiewirtschaft, und vor Firmenbeteiligungen durch Strohmänner warnt der Bericht des BIS.

Dessen Chef Michal Koudelka übrigens nannte die Aussagen von Präsident Zeman „unglücklich". Er verwies darauf, dass sein Dienst Anfang des Jahres einen russischen Spion enttarnt habe. Für ihn ein weiterer Beleg für russische „Aktivitäten" - auch wenn Zeman und andere das nicht wahrhaben wollen.

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