Polen ist Gastgeber der Weltklimakonferenz. Ausgerechnet hier wird immer noch extrem viel Kohle verheizt. Dass das eine ökologische Katastrophe ist, bestreitet niemand. Denn die Folgen sind unübersehbar.
Orangefarben schimmert das Licht durch etwas, das aussieht wie Nebel. Auf der Hauptstraße, die durch die Kleinstadt Slesin im Zentrum Polens führt, können Autofahrer nur einige Meter weit schauen. Selbst der große Badesee, den Durchreisende, die von Westen her kommen, rechter Hand eigentlich sehen müssten, wird von einem weiß-grauen Tuch aus Dunst bedeckt.
Es ist Smogsaison in Polen. Die Luftverschmutzung wird sichtbar. Überall im Land werfen die Menschen im November die Kohleöfen an. Die 13.000 Einwohner zählende Gemeinde Slesin, 230 Kilometer von Warschau entfernt, stellt keine Ausnahme dar. Bereits vor der Ortseinfahrt ist ein sanfter, süßlicher und erstaunlicherweise gar nicht mal unangenehmer Geruch von Kohlefeuer wahrzunehmen. Aus den Schornsteinen der Wohnhäuser raucht es. Viele haben hier noch Kohlekeller. „So riecht das eben", sagt eine ältere Frau. Der Smog scheint sie nicht zu stören. „Ach, für mich gehört das zur Heimat dazu", scherzt sie.
Ausgerechnet im Smog- und Kohleland Polen findet ab heute für fast zwei Wochen die Weltklimakonferenz (COP24) statt. Politiker und Experten aus aller Welt beraten, wie der CO 2-Ausstoß in den kommenden Jahren begrenzt werden kann und damit der Verbrauch fossiler Energieträger. Sie treffen sich in einer der dreckigsten Regionen Europas - der um Kattowitz.
Kohleöfen und alte AutosSo gelassen wie die alte Frau in Slesin bleiben immer weniger Polen angesichts der Smogwolken, die ihre Städte vernebeln. „Natürlich mache ich mir Sorgen um meine Gesundheit", sagt Piotr Siergiej. Der 53-Jährige ist Sprecher der Nichtregierungsorganisation Polnischer Smog-Alarm (PAS). An einem Novemberabend sitzt er in einem Café in Warschau. Jedes Jahr zu dieser Zeit, wenn es kalt wird, ist er ein gefragter Mann. Er gibt Radiointerviews, klärt in Schulen über Smog auf oder leitet Pressekonferenzen.
Gleich muss er zum nächsten Termin. Er fährt sich etwas nervös mit der Hand über seine Glatze und deutet dann aus dem Fenster. „Heute konnte ich ganz gut durchatmen", sagt er. „Es ist recht windig. Das macht es etwas besser." Es gebe ein zunehmendes Bewusstsein für das Smogproblem, sagt Siergiej. „Denn man kann es sehen, die Kleidung stinkt, Menschen müssen mit Atembeschwerden ins Krankenhaus gebracht werden."
Von den 50 Städten in der EU mit der stärksten Luftverschmutzung liegen 33 in Polen. Ein anderer europäischer Rekord: 44.000 Menschen pro Jahr sollen laut der Europäischen Umweltagentur an den Folgen der schlechten Luft sterben. Als Hauptursache für das Übel haben die Aktivisten von PAS das Verheizen von Kohle, aber auch Holz ausgemacht. Dies trägt etwa zur Hälfte zur Luftverschmutzung im Land bei. „Private Haushalte sind für uns die schlimmere Hälfte", sagt Siergiej.
Die andere speist sich überwiegend aus Ausstößen der Industrie und des Individualverkehrs. Polen fahren durchschnittlich die ältesten Autos in der EU, was die Schadstoffbilanz in die Höhe treibt. In vielen polnischen Gemeinden gibt es zudem im EU-Vergleich überdurchschnittlich viele Autos auf tausend Einwohner. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Polens - 38 Millionen Menschen leben im Land - ist im Winter zum Heizen auf Kohle angewiesen. Das ist europäischer Rekord.
Spaziergänger mit AtemschutzmaskenPolens Fixierung auf den Energieträger hat viele Gründe, historische, wirtschaftliche, auch nicht nachvollziehbare. Manchmal aber sind es einfache Gründe: Gas ist relativ teuer. „Die Preise für Kohle hingegen waren lange stabil, erst seit Kurzem steigen sie", sagt Siergiej. Darüber hinaus gibt es Vorbehalte gegenüber russischem Gas. Von dem großen Nachbarn möchte sich die Regierung in Energiefragen keinesfalls abhängig machen.
Folglich ist Smog hier kein Phänomen, das die Menschen lediglich aus Fernsehbildern asiatischer Megacitys wie Peking oder Neu-Delhi kennen. Es betrifft Kleinstädte wie Großstädte.
In Krakau zum Beispiel, das mit seinem malerischen Marktplatz und dem Königsschloss im vergangenen Jahr fast 13 Millionen Touristen angezogen hat, wundern sich die Einheimischen im Winter nicht über Spaziergänger mit Atemschutzmasken. Nicht ohne Grund hat sich hier 2012 die Organisation „Polnischer Smogalarm" gegründet. Anfangs eine lokale Initiative, gibt es mittlerweile 31 Ableger im ganzen Land. Die meisten Aktivisten machen ehrenamtlich mit. Piotr Siergiej arbeitet sogar hauptberuflich für PAS. Die Organisation rückt das Thema Smog weiter in die Öffentlichkeit, betreibt aber auch im Hintergrund Lobbyarbeit gegen Kohle.
Krakau, Polens zweitgrößte Stadt, befindet sich in einer Kessellage, ähnlich wie Stuttgart in Deutschland, das wegen seiner hohen Stickoxidwerte Dieselfahrverbote verhängen muss. Die Luftqualität in Krakau ist besonders schlecht. Das Gleiche gilt für das etwas weiter westlich gelegene Kattowitz (polnisch Katowice), wo die Weltklimakonferenz stattfindet - in Teilen auf einem ehemaligen Bergwerksgelände. Polen richtet das Treffen bereits zum dritten Mal aus - jetzt jedoch in der Region des Landes, die am stärksten von Smog betroffen ist.
„Das ist schon bemerkenswert", sagt Siergiej. „Es ist aber nicht nur Kattowitz, die ganze Gegend, das Oberschlesische Industrierevier, steht in Polen wie nichts anderes für Schwerindustrie, Kohle und schlechte Luft." Fast die gesamten polnischen Steinkohlevorkommen befinden sich dort, seit Jahrhunderten werden Rohstoffe aus der Erde geholt. Das größte Eisenhüttenwerk des Landes ganz in der Nähe trägt den Namen „Katowice".
Feinstaubrekord in WarschauDie Hauptstadt Warschau, wo PAS-Sprecher Siergiej lebt, mutet dagegen wie ein Kurort an. Aber auch hier ist das Thema Smog allgegenwärtig. Gleich vor dem Zentralbahnhof steht wuchtig der Kulturpalast. Das stalinistische Hochhaus überragt sogar die gläsernen Bankentürme des modernen Warschau. Von der Aussichtsplattform aus können die Besucher eigentlich gut über die Weichsel hinausblicken. Beton fast bis zum Horizont. Im Winter allerdings sind die Hochhäuser und Plattenbauten manchmal von Smog umgeben.
Das Licht bricht dann nur schwach durch, dass Touristen höchstens eine Ahnung von der Größe der Stadt bekommen. Im Radio gibt es Smogdurchsagen, in denen die Einwohner schon mal aufgefordert werden, das Haus nur zu verlassen, wenn es wirklich notwendig ist. Und Smog-Apps scheinen vielen eine Alternative zu Dating-Apps zu sein. Warschau steht zwar besser da als Krakau oder Kattowitz, Menschen mit Atemschutzmasken sind nur selten auf der Straße zu sehen. Aber besorgniserregend sind die Zahlen trotzdem. „Bei 50 Milligramm pro Kubikmeter ist der Grenzwert für Feinstaub überschritten", erklärt Siergiej.
Im Rest Europas übertrifft man ihn durchschnittlich an 35 Tagen im Jahr. In Warschau wurde er 2016 76-mal überschritten, im Jahr darauf 79-mal, und 2018 wurden bisher an 119 Tagen Grenzüberschreitungen gemessen. Diese Werte stammen vom Hauptinspektorat für Umweltschutz (GIOS), einer staatlichen Einrichtung. „Dieses Jahr wird ein Rekordjahr", sagt Siergiej. Ein Grund dafür ist, dass es in den vergangenen Monaten ziemlich warm und trocken war und noch mehr Autos gefahren sind. „Wir reden immer über Diesel, darüber sollten wir aber nicht vergessen, dass Reifenabriebe und Bremsklötze auch eine Wirkung haben", so Siergiej. „Wenn es nicht regnet, dann wird der Staub, der so entsteht, noch stärker zur Belastung."
In polnischen Kleinstädten wie Slesin oder gar in Dörfern sind weniger Autos die Ursache für die schlechte Luft. Dort sind es: die Kohleöfen. Unter den 50 Städten mit der stärksten Luftverschmutzung in der EU findet sich auf Platz acht ein Ort namens Godow. 13.000 Menschen leben in dem Städtchen in der Woiwodschaft Schlesien im Süden Polens. Es gibt dort keine Industrie und keine Kraftwerke. Allein das, was die Einwohner verheizen, ist für den Smog verantwortlich. In Godow steht eine Messstation. „Wir können also davon ausgehen", sagt Siergiej, „dass in vielen anderen Orten, in denen es auch keine Industrie gibt, die Werte ähnlich hoch sind." Gäbe es in Polen landesweit nicht nur 150 Messstationen, sondern zum Beispiel 1500, dann müsste man entsprechend mehr Grenzüberschreitungen feststellen.
„Schmutzfink" im KellerImmer noch heizen viele Polen mit „kopciuchy", was sich mit „Stinker" oder „Schmutzfink" übersetzen lässt. Gemeint ist günstige, aber minderwertige und besonders gesundheitsschädigende Kohle. Seit Juli ist zwar deren Verkauf verboten, aber nicht das Verbrennen. In vielen Haushalten wird sie noch gelagert. Ohnehin versucht die polnische Regierung, den Kohleverkauf stärker zu regulieren.
Ab nächstem Jahr etwa sollen Zertifikate für Kohlesorten eingeführt werden. Auch manche Gemeinden versuchen, des Smogproblems Herr zu werden. Hier soll das Heizen mit Kohle oder Holz gänzlich verboten werden, dort gibt es Förderprogramme für moderne Öfen in Haushalten. Die Regierung hat angekündigt, in den nächsten Jahren Milliarden von Zloty zu investieren, um den Smog loszuwerden.
Es passiert also etwas. Aktivisten wie Piotr Siergiej von PAS oder auch polnische YouTuber und Prominente haben in den vergangenen Jahren ein Bewusstsein für das Smogproblem geschaffen. Siergiej erzählt, dass die Presseschau seiner Organisation immer schneller wachse und er selbst immer mehr Anfragen von Medien bekomme. Die Politik reagiert auf den Druck. Siergiej ist das jedoch zu wenig. Tatsächlich wirkt es bisweilen so, als würde die polnische Regierung einen Schritt nach vorne und zwei zurück gehen.
Erst im September nannte Premierminister Mateusz Morawiecki auf einer Veranstaltung in Schlesien Kohle Polens „schwarzes Gold ". Bereits zuvor kündigte er an, in zwei neue Kohleminen investieren zu wollen. Der Verbrauch im Land ist so hoch, dass Polen sogar Kohle importiert. „Polen steht mit der Kohle", so lautet ein altes Sprichwort.
Natürlich kennt das auch Siergiej. Er mag aber nicht daran glauben. „Der IT-Sektor trägt heute im selben Maß zum Bruttosozialprodukt bei wie die Kohleindustrie", sagt er. Dennoch dürfte Polen auf absehbare Zeit Europas Kohleland bleiben und das Smogproblem nicht so schnell in den Griff bekommen. Die Klimakonferenz in Kattowitz kann darüber nicht hinwegtäuschen.
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